Oben Chefsache, unten Chaos
Große Vorhaben, die nur langsam vorankommen

Foto: imago images/Panthermedia
Vor zwei Monaten hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Thema Schule und Corona mit einem Treffen im Kanzleramt zur Chefsache gemacht. Im September folgte ein zweiter Schulgipfel. Seitdem habe sich zu wenig bewegt, kritisieren Bildungsgewerkschaften.
Sie befinden, dass es bei der schnelleren Digitalisierung der Schulen in Corona-Zeiten kaum Fortschritte gebe. „Den Ankündigungen des Schulgipfels sind noch viel zu wenig Taten gefolgt. Die Mühlen mahlen langsam und so werden die Erwartungen, dass alles von heute auf morgen umgesetzt wird, enttäuscht“, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe. In einem „Zuständigkeitswirrwarr zwischen Bund, Ländern und Kommunen“ blieben viele der Maßnahmen hängen. Denn Bildungspolitik ist weitgehend Ländersache.
Der Verband Bildung und Erziehung rechnet damit, dass noch Monate vergehen, bis sich sichtbar etwas an den Schulen getan hat. „Ich gehe davon aus, dass es noch bis Ende dieses Schuljahrs dauert, um in Sachen Digitalisierung eine halbwegs akzeptable Situation an den Schulen herzustellen“, sagte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann.
Am 13. August hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chefin Saskia Esken, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Vertreter mehrerer Bundesländer vereinbart, dass Lehrer mit Dienstlaptops ausgestattet, alle Schulen „schnellstmöglich“ an das schnelle Internet angeschlossen werden und Schüler eine Internetflatrate für maximal 10 Euro bekommen sollen. Bei einem zweiten Gespräch im Kanzleramt im September wurde zudem der Aufbau sogenannter digitaler Kompetenzzentren für die Lehrerweiterbildung vereinbart.
Von wegen Dienst-Laptops
Für 500 Millionen Euro des Bunds sollten Laptops für Hunderttausende Lehrer beschafft werden. Falls Schulen geschlossen oder Klassen und Lehrer in Quarantäne geschickt werden, sollen die Lehrkräfte mit Dienstgeräten über sichere Kanäle und Lernplattformen mit den Schülern kommunizieren, Online-Unterricht durchführen und Leistungen bewerten können. VBE und GEW fragten in ihren Landesverbänden nach, fanden kaum Geräte. „Bis heute müssen an die 90 Prozent der Lehrkräfte ihre Privatgeräte nutzen.“
In manchen Familien gibt es keinen Computer zur Bearbeitung von Schulaufgaben und auch keinen Internetzugang für die Kinder. Deshalb wurde im Zuge der Corona-Krise ein 500-Millionen-Euro-Programm für Leih-Rechner für bedürftige Schüler aufgelegt. Berlin zum Beispiel hatte zwar im Frühjahr 9500 Tablets an sozial benachteiligte Schulkinder verteilt, es sollen aber laut Senat „zeitnah“ weitere 40.000 werden, bezahlt mit 27,5 Millionen Euro aus dem Sofortausstattungsprogramm des Bundes. Dafür wurde Ende September immerhin begonnen, die Ausschreibung vorzubereiten.
Wo bleibt die Schüler-Flatrate?
Nach dem letzten Schulgipfel war dann auch von Fortschritten beim Thema Schüler-Flatrate die Rede. Es habe Gespräche mit mehreren Telekommunikationsanbietern gegeben, die eine Flatrate für zehn Euro anbieten wollten, hieß es.
Der VBE konstatiert: „Von der Vorstellung, dass für jede Schülerin und jeden Schüler der Zugang zu einem günstigen Internetzugang gewährleistet ist, sind wir noch weit entfernt.“ Die GEW hat noch keine Rückmeldungen darüber, ob die 10-Euro-Flatrate schon irgendwo angekommen ist. Am Montag kündigte Vodafone nun eine solche Flatrate an: „Zehn Euro netto pro Monat für die feste Ende-zu-Ende-Verbindung zum Schulserver“, wie es in einer Mitteilung hieß. Schulträger könnten den Tarif für ihre Schüler noch im November buchen.
Auch beim schnellen Netz und der Lehrer-Weiterbildung hapere es. GEW-Chefin Tepe: „Die Fort- und Weiterbildungslandschaft mit Angeboten für die Lehrkräfte, die sie für das Lehren in der digitalen Welt fit machen sollen, gleicht weiterhin einer Wüste, in der man die Oasen suchen muss.“ Auch beim schnellen Internet hapere es. „Was in Städten schon mal klappt, bleibt auf dem Land genauso oft ein Wunschtraum.“
Beckmann kritisierte, die Politik habe die Lösung all dieser Fragen zu lange zu wenig ernst genommen. Der VBE-Vorsitzende bemängelte außerdem, dass durch eine „jahrelange Schönfärberei“ im Schulbereich ein massiver Personalmangel entstanden sei – da hülfen Computer nicht.