Eine Diesellok schleppt einen Kohlezug durchs Ruhrgebiet. Inzwischen sind viele Kohlewaggons verschrottet.
Eine Diesellok schleppt einen Kohlezug durchs Ruhrgebiet. Inzwischen sind viele Kohlewaggons verschrottet. imago/Gottfried Czepluch

Die Energiepolitik des Bundes läuft Gefahr, auf Grund zu laufen. Das findet jedenfalls Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt. Er wirft den verantwortlichen Politikern vor, kurzsichtig zu handeln und damit die Grundversorgung mit Diesel, Heizöl und Kohle zu gefährden. Auch bei den Vertretern der Güterbahnen herrscht Verwirrung darüber, was der Bund so anstellt.

Konkret befürchtet Jens Schwanen, dass es im Osten Deutschlands und speziell in Berlin und Brandenburg zu einer Mangelversorgung mit Diesel und dem stoffgleichen leichten Heizöl kommen wird, wenn Deutschland kein russisches Erdöl mehr kaufen wird. Ende des Jahres wird die Drushba-Pipeline im Zuge der Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs zu den Raffinerien in Schwedt an der Oder und Leuna bei Merseburg stillgelegt.

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„Die wissen, dass das ein Problem wird, und deshalb ist das Verkehrsministerium auf uns zugekommen und hat nachgefragt, ob wir jährlich zwei Millionen Tonnen Diesel beziehungsweise Heizöl zusätzlich von Hamburg aus liefern können, 1,5 Millionen Tonnen ins Tanklager Magdeburg, eine halbe Million nach Berlin.“

Das Zehn-Meter-Problem: Schiffshebewerk  ist zu klein

Das sei aus zwei Gründen überaus problematisch. Zunächst seien viele Binnenschiffe mit anderen Verträgen gebunden (dazu unten mehr). Vor allem aber gibt es ein genau zehn Meter langes Problem.

Das am weitesten verbreitete Binnenschiff mit maximaler 3000-Tonnen-Fracht ist 110 Meter lang, und das kommt bei den gegenwärtigen Bedingungen von Hamburg gar nicht an die gewünschten Ziele. Es kann wegen des langanhaltenden Niedrigwassers die Elbe nicht nutzen, sondern müsste auf den Elbe-Seiten-Kanal ausweichen, um weiter zum Mittellandkanal zu gelangen.

Ein Tankschiff fährt ins Schiffshebewerk Scharnebeck. Dessen Tröge sind für die zusätzlich benötigten Binnenschiffe aber zu kurz: Sie kommen nicht nach Berlin durch.
Ein Tankschiff fährt ins Schiffshebewerk Scharnebeck. Dessen Tröge sind für die zusätzlich benötigten Binnenschiffe aber zu kurz: Sie kommen nicht nach Berlin durch. dpa/Philipp Schulze

Allerdings muss dafür das Schiffshebewerk Scharnebeck bei Lüneburg benutzt werden, und dessen Hebetrog misst nur 100 Meter. Die Schiffe passen nicht hinein. Zwar fahren Tankschiffe über diese Wasserstraße, die in das Schiffshebewerk passen, aber zusätzlicher Verkehr müsste mit längeren Schiffen abgewickelt werden.

Ideen, schnell neue Tanker zu bauen, würden sich bei Preisen von vier bis fünf Millionen Euro und einem Jahr Bauzeit erledigen, denn eine kurzfristige Hilfe ist so nicht zu erwarten.

Ein 3000-Tonnen-Schiff ersetzt 150 Lastwagen

Die Bahn falle unter anderem wegen Waggonmangels als Ersatz aus, und der Lkw verbiete sich. Schwanen: „Um ein 3000-Tonnen-Schiff zu ersetzen, braucht man rund 150 Lastwagen.“

Grundsätzlich habe es Deutschland seit 1990 versäumt, die ostdeutschen Flüsse für die Binnenschifffahrt zu ertüchtigen, in der Folge seien die West-Ost-Bahnstrecken und die Autobahn A2 schon vor der Krise überlastet gewesen.

Jens Schwanen übt deutliche Kritik an der deutschen Verkehrspolitik
Jens Schwanen übt deutliche Kritik an der deutschen Verkehrspolitik privat

Neben dem Diesel-Öl-Problem gibt es ein zweites: Kohle und Kalk. Der Bund nimmt zur Zeit stillgelegte Steinkohlekraftwerke als Ersatz für Gaskraftwerke in Betrieb. Das „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ schreibt aber vor, dass diese Kraftwerke eine Kohlereserve für 30 Tage haben müssen.

Lange hatten die Kraftwerksbetreiber geschwiegen (ein Insider: „Die haben alle Angst vor der Bundesregierung“), erst kürzlich kam die Essener Steag mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit, dass es wohl nicht gelingen werde, zwei für das Wiederanfahren im November vorgesehene Kohlemeiler im Saarland mit ausreichend Steinkohle zu versorgen. Das sei „wegen der aktuell angespannten Logistiksituation beim Schienenverkehr“ wohl vorher nicht zu schaffen.

Warum  Mangel an Kalk den Betrieb von Kohlekraftwerken verhindern kann 

Ähnliches gilt für sogenannten Branntkalk: Dieser Stoff wird benötigt, um die Abgase der Kraftwerke zu entschwefeln, dabei entsteht Gips.

Dem KURIER liegt das Schreiben eines Unternehmens an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor, in dem man schon jetzt Probleme mit der Versorgung schildert. Die Bahn habe schwere Kapazitätsprobleme, weil sie wegen des Rhein-Niedrigwassers dort für die Schifffahrt einspringen müsse und vorrangig Steinkohle transportieren soll. Komme nicht genug Kalk an, könnten die Kraftwerke Umweltvorschriften nicht einhalten. Das könnte Weiterbetrieb beziehungsweise Inbetriebnahme gefährden.

Der Kohlehafen des Kraftwerks Heyden in Nordrhein-Westfalen, das im Juli 2021 stillgelegt worden war und jetzt wieder befristet in Betrieb geht. 
Der Kohlehafen des Kraftwerks Heyden in Nordrhein-Westfalen, das im Juli 2021 stillgelegt worden war und jetzt wieder befristet in Betrieb geht.  imago/Jochen Tack

Schwanen würde in diesem Zusammenhang die Bundespolitik gerne an ihr eigenes Desinteresse an der Verkehrspolitik erinnern. „Im Sommer 2020 hat sie uns verkündet, dass man aus der Verbrennung von Kohle aussteigen werde. Den Binnenschiffern wurde deutlich gemacht, dass es keine Ausgleichszahlungen für das wegfallende Geschäft geben würde, sondern die Unternehmen sollten sich neue Geschäftsfelder suchen.“

Daraufhin haben die Unternehmen (das deutsche Binnenschiffsregister umfasst rund 2000 Frachtschiffe) den Schiffsraum in andere Märkte abgezogen. Sie transportierten mehr Container, Getreide, Futtermittel, Baustoffe und Erden. Jetzt käme die Politik an und wolle wieder Kohle transportiert haben.

Schwanen: „Den Schiffen ist es egal, was man in ihre Frachträume lädt. Aber auf Knopfdruck kann man sie nicht bereitstellen. Die Güterschifffahrt ist zur Zeit voll beschäftigt.“  Die Binnenschiffer würden daran arbeiten, denn man wolle ja Kunden bedienen. In den vergangenen Jahren sei man in der Lage gewesen, bis zu 35 Millionen Tonnen Kohle zu liefern.

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Binnenschifffahrt ist in einer dreifachen Ausnahme-Situation

Sie seien aber in einer mehrfachen Ausnahmesituation. Das fange mit dem Wassermangel im Rhein an, der als „Aorta der deutschen Großindustrie“ mit seinen Nebenwasserstraßen 80 Prozent der Schiffsfracht in Deutschland bewältige – die Schiffe können nicht voll beladen werden, sie müssen für die gleiche Fracht mehrfach fahren, das wird teuer.

Dazu kommt die Aufgabe für Schiffe (und die Bahn), Getreide aus der Ukraine zu holen, und eben der Schwenk zurück zur Kohle.

Der ganze Vorgang sei ein „Lehrstück, wie extrem kurzsichtig das Denken und Handeln der Politik ist. Sie hofft, dass die Transportkapazität von irgendwo herkommen wird. Sie hat den Güterverkehr schlicht nicht mitgedacht.“

Der KURIER hätte gerne Stellungnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums von Robert Habeck (Grüne) und des Bundesverkehrsministeriums von Volker Wissing (FDP) zur Transportproblematik veröffentlicht. Die Ministerien sahen sich trotz mehrfacher Nachfrage offenbar nicht dazu in der Lage mitzuteilen, mit welchen zusätzlichen Frachtmengen man rechne und auf welchen Wegen und mit welchen Verkehrsmitteln man sie zu transportieren gedenke.

DB Cargo findet, alles sei in Ordnung

Der Sprecher der Bahn-Frachttochter DB Cargo teilte lediglich mit, alles sei in Ordnung. „DB Cargo ist der größte Lieferant für Steinkohle auf der Schiene. Derzeit rollen wöchentlich rund 50 Züge mit jeweils knapp 3000 Tonnen Steinkohle zu verschiedenen Großkraftwerken. Deren Versorgung läuft derzeit ohne jegliche Probleme, die Lager können planmäßig gefüllt werden.“

Man bereite sich darauf vor, im Herbst „mittelfristig“ mehr Kohlezüge zu fahren. Den genauen Bedarf und Umfang kenne man derzeit noch nicht. Der Sprecher lobte die Rechtsverordnung, dass „versorgungsrelevante“ Züge Vorfahrt haben sollen, als „sinnvolle Vorsorgemaßnahme“ der Bundesregierung.

Der Verband „Die Güterbahnen“ sieht diese  „Energiesicherungstransportverordnung“  völlig anders. „Die komplexe und von unbestimmten Aussagen wimmelnde Verordnung wird die immer anspruchsvoller gewordene Aufgabe nicht einfacher machen, Güterzüge in einem Land der kaputten Schwellen, kranken Fahrdienstleiter, unkoordinierten Baustellen und fehlenden Fahrplaner durchs Netz zu bekommen. Selbst für viele ,Energiezüge‘ wird Vorfahrt per Verordnung wenig Nutzen bringen. Noch mehr Netz-Chaos für alle sowie deutlich höherer Aufwand und Streitigkeiten sind dagegen sicher zu erwarten.“

Die gleichen Positionen vertreten Eisenbahn-Gewerkschafter und Betriebsräte.

Kohlewaggons sind abgestellt, verschrottet oder in Polen

Ein privater Güterbahnunternehmer hat ebenfalls erhebliche Zweifel, dass die Bahn den zusätzlichen Verkehr und Kohletransport trotz der Vorrang-Regelung bewältigen kann.

Kohlewaggons seien wegen der angekündigten Stilllegung von Kohlekraftwerken in Größenordnungen abgestellt, verschrottet oder nach Polen abgegeben worden. Etliche seien zwar von einer dortigen DB-Tochter nach Deutschland zurückgeholt worden, das reiche aber ebenso wenig wie der Kohle-Transport mit Containern.

DB Cargo-Chefin Sigrid Nikutta am rumänischen Hafen von Konstanza, wo ihr Unternehmen am Transport ukrainischen Weizens beteiligt  ist.
DB Cargo-Chefin Sigrid Nikutta am rumänischen Hafen von Konstanza, wo ihr Unternehmen am Transport ukrainischen Weizens beteiligt ist. imago/Thomas Trutschel

Die DB Cargo-Chefin Sigrid Nikutta „stolziert über den Markt und sagt, ihr Unternehmen transportiere alles“, sagt der Eisenbahner. In Wahrheit aber müsse DB Cargo private Bahnunternehmen zur Hilfe holen, um ihre Aufträge abarbeiten zu können.

Das marode Bahnnetz macht mehr Schienenverkehr unmöglich

Das Hauptproblem aber sei, dass das Bahnnetz keine Kapazität mehr für mehr Züge habe: „Es gibt keinen koordinierten Verkehr mehr, nur noch Chaos.“ Stellwerke seien unbesetzt, es gebe sehr viele Baustellen, Weichen fielen aus.

Der Unternehmer: „Eine Ausweitung von Verkehr auf der Schiene ist angesichts dieser Umstände unmöglich. Schon jetzt bleiben Güterzüge in Deutschland einfach stehen, weil sie nicht mehr weiterfahren dürfen – der Zielbahnhof sei voll.“