Die Rente reicht nicht: Deutlicher Anstieg der privaten Pleiten bei Menschen über 60
Die Zahl der Privatinsolvenzen in Deutschland ist 2022 gegenüber 2021 stark geschrumpft, liegt aber höher als im Vor-Corona-Jahr 2019. Besonders hoch ist der Anstieg der Zahlen bei Senioren

Die Zahl der Privatinsolvenzen ist 2022 auf 96.231 gesunken, 11,7 Prozent weniger als 2021 (109.031). Das berichtet der Informationsdienstleister CRIF in seinem „Schuldenbarometer 2022“. Der starke Anstieg der Insolvenzen im Jahr 2021 habe sich damit umgekehrt. Allerdings steckt in den Zahlen nur die halbe Wahrheit: Viele Menschen, die schon 2020 in einer finanziellen Klemme steckten, hielten ihre Insolvenzanträge bis 2021 zurück. Aktuell sei eine besonders starke Tendenz zur Pleite bei älteren Bundesbürgern zu sehen: Ihre Rente reicht nicht.
Die große Menge an Privat-Pleiten 2021 ist darauf zurückzuführen, dass die Schuldner von einer Gesetzesreform profitieren wollten, die das „Restschuldbefreiungsverfahren“ von sechs auf drei Jahre verkürzt hat. Deshalb stellten sie ihre Anträge erst im Jahr 2021. Da war die Gesetzesänderung in Kraft und ermöglichte es, schneller schuldenfrei zu werden.
Deutlicher Anstieg der privaten Pleiten gegenüber 2019
Aussagekräftiger ist der Vergleich mit den privaten Pleiten 2019 – vor Gesetzesreform und vor Corona. Gegenüber diesem Jahr lag die Zahl von 2022 um 10,8 Prozent höher (2019: 86.838).
Die finanzielle Situation vieler Privatpersonen in Deutschland bleibt durch die stetig steigenden Miet- und Energiepreise und die allgegenwärtige Inflation angespannt.
Frank Schlein, Geschäftsführer von CRIF Deutschland: „Die Wirtschaft in Deutschland befindet sich weiterhin im Krisenmodus. Durch die weiter steigenden Kosten ist eine Verschuldungswelle in Deutschland möglich. Wenn die Kosten stark steigen, wird es für Personen, die schon bislang am Existenzminimum leben, schwierig. Gerade für finanz- und einkommensschwache Haushalte wird sich die finanzielle Lage zuspitzen – auch weil die finanziellen Reserven durch Einbußen in der Corona-Pandemie aufgebraucht worden sind.“
Viele suchen ihr Heil beim Sparen
Wirtschaftliche Krisen wirkten sich mit einer gewissen Verzögerung auf die Verbraucher aus. Da in den Insolvenzstatistiken vor allem die Vergangenheit abgebildet wird, würden die Folgen durch die erhöhten Kosten vor allem ab 2023 einen Einfluss auf die Insolvenzzahlen haben. Positiv sei zu bewerten, dass viele Bundesbürger derzeit eine hohe Sparmotivation aufgrund von wirtschaftlicher Unsicherheit oder Zukunftsängsten haben.
Man gehe deshalb davon aus, dass es 2023 wieder bis zu 100.000 Privatinsolvenzen geben werde.
Dabei müssten die Betroffenen gar nicht hoch verschuldet sein. Ein Großteil von ihnen hat in der Gesamtsumme Schulden von knapp unter 10.000 Euro. Die mittlere Schuldenhöhe liege unter 18.000 Euro.
Ältere Menschen mit besonders starkem Zuwachs bei Privatinsolvenzen gegenüber 2019
Insgesamt meldeten im vergangenen Jahr 14.907 Personen, die 61 Jahre und älter sind, Privatinsolvenz an. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum steht in dieser Altersgruppe ein Plus von einem Prozent dem Rückgang über alle Altersgruppen gegenüber.
Im Vergleich zum Jahr 2019 stiegen die Zahlen bei älteren Bundesbürgern sogar um 57,3 Prozent, während sie bei den 18- bis 20-Jährigen (bei sehr kleiner Fallzahl) um 55,1 Prozent zurückgingen, in allen anderen Altersgruppen prozentual nur einstellig anstiegen.
Lesen Sie hier, wie sich ein Mann aus der Privatinsolvenz kämpfen will >>
„Für viele Senioren reichen Einkommen oder Rente nicht mehr aus, sie müssen eine Privatinsolvenz anmelden“, sagte Schlein. Auch die Zahl der Älteren und Alten, die auf Grundsicherung angewiesen sind, weil ihre Rente nicht reicht, steige ständig an. Im Jahresvergleich von September 2021 zu September 2022 stieg die Zahl um zwölf Prozent. „Durch die weiterhin hohe Inflation und die Energiekrise erwarten wir in der Altersgruppe 61 Jahre und älter auch 2023 steigende Insolvenzzahlen.“
Deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern
Bundesweit gab es 2022 im Durchschnitt 116 Privatinsolvenzen je 100.000 Einwohner. Die nördlichen Bundesländer Deutschlands verzeichnen im Vergleich zu den südlichen Bundesländern mehr private Insolvenzen. Bremen führt die Liste mit 188 Insolvenzfällen je 100.000 Einwohner an, gefolgt von Hamburg mit 167 und Niedersachsen mit 154.
Deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegen zudem die Länder Schleswig-Holstein (141), Mecklenburg-Vorpommern (139) sowie Nordrhein-Westfalen und das Saarland (je 132).
Berlin verzeichnete eine Quote von 124, Brandenburg von 126 auf 100.000 Einwohner.
Im Süden Deutschlands gibt es weniger Privatinsolvenzen pro 100.000 Einwohner
Im Bezug auf die Einwohnerzahl am wenigsten Privatinsolvenzen verzeichneten Bayern (74 Fälle je 100.000 Einwohner), Baden-Württemberg (83) und Thüringen (97).
Die stärkste Veränderung bei den Privatinsolvenzen verzeichnete Bremen mit einem Rückgang um 23,4 Prozent, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 18 Prozent weniger. In Berlin waren es 2022 gegenüber dem Vorjahr 9,2 Prozent weniger, in Brandenburg 6,4 Prozent. Hessen hatte mit einem Rückgang um 2,1 Prozent die geringste Veränderung im Jahresvergleich.
Ein verändertes Bild ergibt sich, wenn man die aktuellen Zahlen mit 2019 vergleicht. Gegenüber dem Vor-Corona-Jahr sanken die Zahlen nur in Sachsen-Anhalt (minus 8,8 Prozent) und im Saarland (minus 6,5). In allen anderen 14 Bundesländern stiegen sie dagegen teilweise deutlich, am stärksten in Hamburg (plus 23,2 Prozent) und Hessen (plus 22,3 Prozent).
In Berlin lagen die Zahlen 2022 um 9,9 Prozent höher als 2019, in Brandenburg waren es 5,3 Prozent.
Hilfe bei Überschuldung kann man bei verschiedenen Beratungsstellen bekommen, in Berlin beispielsweise beim Deutschen Roten Kreuz oder bei der Diakonie.