Gefangene erschossen
Das lange Schweigen des Edmond Réveil
In Frankreich werden Überreste deutscher Kriegsgefangener exhumiert. Die Bergung ist dem schlechten Gewissen eines Résistance-Kämpfers zu verdanken.

Es sind die Verbrechen an den Verbrechern, die erst nach fast 80 Jahren in Frankreich an die Oberfläche treten. So langsam beginnt man auch dort über Erschießungen von deutschen Kriegsgefangenen zu sprechen. Das war lange tabu. Doch nun brach ein alter Mann sein Schweigen und auch andere beginnen zu reden.
„Alle wussten es, niemand hat darüber gesprochen“, erinnert sich André Nirelli, französischer Landwirt im Ruhestand. Von der Terrasse seines Hofes kann er seinen Blick über die hügelige Landschaft der südwestfranzösischen Corrèze schweifen lassen. „Dort waren sie untergebracht“, sagt er und zeigt auf eine große Scheune aus Kalkstein zu seiner Linken.
Wehrmachtssoldaten und Kollaborateurin wurden im Wald erschossen
Sie - das waren 46 Wehrmachtssoldaten und eine der Kollaboration verdächtigte Französin, die sich im Frühsommer 1944 in der Hand einer Gruppe französischer Widerstandskämpfer befanden. Von dieser Scheune aus wurden die Gefangenen in ein Waldstück nahe der Ortschaft Meymac geführt, wo sie Gruben ausheben mussten. Am 12. Juni 1944 wurden sie erschossen.
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Der Ort liegt unweit von Tulle, wo SS-Soldaten drei Tage zuvor 99 Zivilisten an Balkonen und Laternen aufhängten. Eine andere SS-Einheit verübte unweit am 10. Juni in Oradour-sur-Glane das schlimmste Massaker des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa mit 643 Toten.
Ende Juni hatte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Nähe von Meymac mit der Suche nach den Überresten der erschossenen Deutschen begonnen. Am Mittwoch begann die Exhumierung der Leichen. Die Arbeiten sollen bis Ende August dauern.

Letzter Augenzeuge brach sein Schweigen
Auslöser der Suche war der Bericht des letzten Augenzeugen der Exekutionen, der nach mehr als sieben Jahrzehnten sein Schweigen gebrochen hatte. „Es war ein Kriegsverbrechen“, sagte der 98 Jahre alte Edmond Réveil, der nicht ahnte, welches Aufsehen er auslösen würde.
Seine französische Widerstandsgruppe habe die deutschen Gefangenen damals „geerbt“ und wusste nicht, was sie mit ihnen machen sollte. Sein Kommandeur, ein deutschsprachiger Elsässer, habe „wie ein Kind geweint“, als er mit den Deutschen sprach. Wie die Wehrmachtsoldaten vor der Erschießung Fotos ihrer Familien ansahen. „Es waren keine jungen Soldaten, die Jungen waren in Russland“, erinnert sich der alte Mann. Der 98 Jahre alte Réveil berichtete, die Partisanen seien damit überfordert gewesen, eine große Gruppe von Kriegsgefangenen zu versorgen. „Es war kein Racheakt“, betonte er. Er selbst habe nicht geschossen.
Fragen danach, warum er so lange schwieg und was ihn nun im hohen Alter zum Reden bewog, wich er aus. „Es musste gesagt werden“, murmelte er nur. Hatte er Angst vor strafrechtlicher Verfolgung? Wollte er die Kameraden nicht verraten, die gelobt hatten, nicht darüber zu reden?
Trotz ihres Schweigegelübdes hatte es sich damals in Meymac herumgesprochen. „Wenn die ein paar Gläser getrunken hatten...“, erinnert sich Nirelli. Als er zehn Jahre alt war, beobachtete er im Wald, wie dort menschliche Skelette ausgegraben wurden. „Die Schädel haben mich beeindruckt“, erinnerte er sich. „Einer hatte hinten ein Loch.“

Vergebliche Suche nach Gräbern erschossener deutscher Kriegsgefangener
Tatsächlich hatte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge schon in den 60er Jahren nach den Überresten der deutschen Soldaten gesucht. Elf von ihnen wurden geborgen und auf einem deutschem Soldatenfriedhof in Westfrankreich bestattet.
Es deutet einiges darauf hin, dass die Sorge bestand, dass das Ansehen der französischen Widerstandskämpfer beschädigt werden könnte. „Es herrschte eine Omertà“, erklärt der Bürgermeister von Meymac, Philippe Brugère. „Niemand wollte, dass die Geschichte hochkocht und das Bild des Widerstands beschmutzt.“
Dieses Gefühl ist auch heute noch zu spüren. „Réveil hätte besser daran getan zu schweigen“, sagt der frühere Landwirt Nirelli. Andererseits habe er Verständnis für die Nachkommen der deutschen Soldaten, die auf diese Weise Gewissheit bekämen. „Vielleicht muss man auch erst wissen, was passiert ist“, fügte er nachdenklich hinzu.
Réveil wirkt erleichtert, dass er durch sein Geständnis eine lebenslange Last losgeworden ist. Er wünscht sich, dass für die toten Deutschen im Wald von Meymac ein Gedenkstein aufgestellt wird. Es wäre eine Premiere in Frankreich.