Zur Deeskalation im Ukraine-Konflikt  ist ein Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Kremlchef Wladimir Putin geplant.
Zur Deeskalation im Ukraine-Konflikt  ist ein Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Kremlchef Wladimir Putin geplant. Denis Balibouse/Pool Reuters/dpa

Während Russlands Führung Panzer vor der ukrainischen Grenze massiert, sich Gefechte mit den Separatisten im Osten des Landes häufen und Russland zuletzt deren „Volksrepubliken“ anerkennen will, soll ein Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Kremlchef Wladimir Putin Entspannung bringen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe den beiden am Sonntag ein solches Treffen und anschließend ein weiteres mit allen Beteiligten vorgeschlagen, hieß es aus seinem Amtssitz in Paris, dem Élyséepalast. US-Präsident Biden habe „im Prinzip“ einem Treffen mit Putin zugestimmt, teilte das Weiße Haus mit. Bedingung sei allerdings, dass Russland vorher nicht in die Ukraine einmarschiere.

Von Seiten des Kreml wurden bislang nur die Telefonate bestätigt. „Es gibt soweit keine konkreten Pläne dazu“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau, was ein Gipfeltreffen angehe. Grundsätzlich seien Gespräche aber möglich - sowohl am Telefon als auch persönlich.

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Die Regierung in Washington propagiert Zweifel, ob es überhaupt noch dazu kommen kann: „Wir haben gerade in den letzten 24 Stunden weitere Bewegungen russischer Einheiten an die Grenze gesehen, für die es keine andere gute Erklärung gibt, als dass sie sich für einen Angriff in Position bringen“, sagte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Montagmorgen im US-Fernsehen. Man könne allerdings keinen genauen Tag vorhersagen - ein Angriff sei allerdings in den „kommenden Stunden oder Tagen“ möglich.

Demonstranten haben eine lange ukrainische Fahne über der berühmten Treppe in Odessa („Panzerkreuzer Potemkin“) ausgerollt, um Einigkeit zu zeigen.
Demonstranten haben eine lange ukrainische Fahne über der berühmten Treppe in Odessa („Panzerkreuzer Potemkin“) ausgerollt, um Einigkeit zu zeigen. AP/Emilio Morenatti

Der französische Staatschef hatte am Sonntagabend sowohl mit Biden als auch zwei Mal mit Präsident Putin telefoniert. Der Inhalt des Gipfels solle am Donnerstag von US-Außenminister Antony Blinken und seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow bei einem Treffen bestimmt werden. „Wir sind immer bereit für die Diplomatie“, erklärte das Weiße Haus. Die US-Regierung drohte Moskau im Falle eines Einmarsches erneut mit Sanktionen. Man sei bereit, schnelle und schwerwiegende Konsequenzen zu verhängen, sollte Russland den Krieg wählen, hieß es. Derzeit scheine Russland die Vorbereitungen für einen umfassenden und baldigen Angriff auf das Nachbarland fortzusetzen.

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Aufmarsch von 150.000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine

Trotz des Aufmarschs von etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine weist Russland die Befürchtungen des Westens zurück. „Es gibt keine Invasion, und es gibt auch keine solchen Pläne“, sagte der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow . Sein Land wolle vielmehr die diplomatischen Bemühungen fortsetzen. Russland fordert vom Westen rechtlich verbindliche Garantien für seine Sicherheit. Antonow erklärte, das westliche Militärbündnis sei keine „friedliebende NGO“ (Non-Governmental Organisation / Nicht-Regierungsorganisation). „Wir wollen nicht, dass die nächste Welle der Nato-Erweiterung stattfindet“, sagte Antonow mit Blick auf Bestrebungen der Ukraine, der Allianz beizutreten.

Die Nato bewertet Russlands Verhalten  skeptisch.  Ihr Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, Russland habe versprochen, Truppen aus der Grenzregion abzuziehen, stocke sie aber auf. Es sei zwar nicht zu spät für einen Kurswechsel Russlands, aber das Risiko eines Angriffs steige.

Laut Kreml vereinbarten Macron und Putin außerdem, dass angesichts der aufgeflammten Gewalt in der Ostukraine, die Suche nach Lösungen intensiviert werden soll - unter anderem im sogenannten Normandie-Format mit Vertretern Russlands und der Ukraine unter deutsch-französischer Moderation. Ziel sei, dass in der Ostukraine der Waffenstillstand wieder eingehalten werde und es Fortschritte bei der Beilegung des Konflikts gebe.

Verletzungen des Waffenstillstands in der Ostukraine

In der Ostukraine stehen sich seit 2014 ukrainische Armee und von Moskau unterstützte Separatisten gegenüber. UN-Schätzungen zufolge sind bereits mehr als 14.000 Menschen getötet worden.

Entlang der Front gab es zuletzt zunehmende Verletzungen des Waffenstillstands, wer da wen zuerst beschießt, ist kaum zu klären.

Aus Russland gab es die Meldung, ein Grenzposten bei Rostow am Don sei von der Ukraine aus über das Separatistengebiet hinweg beschossen und zerstört worden. Die Ukraine bestreitet, damit zu tun zu haben. Nach russischer Darstellung sollen zwei ukrainische Schützenpanzer zerstört und fünf Mann getötet worden seien, die auf russisches Territorium vorgedrungen seien. Allerdings an einem Grenzabschnitt zwischen Russland und dem Separatistengebiet Luhansk.

Im Westen wird befürchtet, dass Kremlchef Wladimir Putin die Kämpfe als Vorwand für einen Einmarsch in das Nachbarland nutzen könnte.

Währenddessen erklärte der Führer des ukrainischen Separatistengebiets Donezk, Denis Puschilin: „Ich rufe die männliche Bevölkerung auf, alle, die eine Waffe halten können, sich in den Kreiswehrkommandos einzufinden und aufzustehen für den Schutz ihrer Familien, Kinder, Frauen, Mütter und für unser Vaterland.“ Das wird von einer in russischen Staatsmedien breit dargestellten Evakuierung vorwiegend von Frauen und Kindern nach Russland begleitet.

Unabhängige Medien wie das Portal Meduza berichten, dass  nicht alle Menschen in Russland untergebracht werden konnten und es unter ihnen Zweifel gibt, dass die ukrainischen Regierungstruppen das Gebiet der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk angreifen.

Russland will „Volksrepubliken“ anerkennen

Am späten Montagnachmittag kam dann nach einer Sitzung des russischen nationalen Sicherheitsrats die Nachricht, dass Putin die Volksrepubliken wahrscheinlich noch am Montag als „unabhängige Staaten“ anerkennen wolle. Denn weder die Ukraine noch der Westen bräuchten den Donbass, in dem die Pseudostaaten liegen.

Russland sei klar, dass der Schritt angesichts der vom Westen angedrohten Sanktionen ernste Folgen haben werde, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew. Es gebe angesichts der Lage aber keine andere Möglichkeit, als die Gebiete anzuerkennen. Der Druck auf Russland werde beispiellos sein. Die Hoffnung sei aber, dass sich der Konflikt danach abkühle.

Medwedew erinnerte an seine Zeit als Präsident, als es 2008 zum Krieg mit Georgien kam. Damals hatte Russland die von Georgien abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien als Staaten anerkannt und dort Tausende Soldaten stationiert. Seither habe Russland gelernt, mit dem Druck zu leben.

Mehrere Redner erinnerten auch an Russlands Einverleibung der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim 2014, die Moskau auch gegen Protest des Westens durchgezogen habe. Das russische Parlament hatte in der vergangenen Woche eine Resolution an Putin verabschiedet mit der Bitte um Anerkennung der „Volksrepubliken Luhansk und Donezk“.

US-Regierung berichtet über russische Mord- und Entführungslisten

Die US-Regierung schrieb an UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet, sie befürchte Menschenrechtsverletzungen im Falle eines russischen Einmarsches. „Ich möchte Sie auf beunruhigende Informationen aufmerksam machen, die die Vereinigten Staaten kürzlich erhalten haben“, hieß es in dem Schreiben.

Die USA warnen darin vor gezielten Tötungen, Entführungen, ungerechtfertigten Inhaftierungen und der Anwendung von Folter. Diese Handlungen würden sich etwa gegen diejenigen richten, die sich den russischen Aktionen widersetzten, Journalisten und Aktivisten sowie gefährdete Bevölkerungsgruppen wie religiöse und ethnische Gruppen oder die Gemeinschaft der LGBTQI+. Die Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-, Inter- und queere Menschen und das Pluszeichen als Platzhalter für weitere Identitäten.

SPD-Chef fürchtet, russischer Angriff könne in unmittelbarer Zukunft beginnen

Die SPD hat weiter „maximales Engagement“ der Bundesregierung für die Abwendung eines russischen Angriffs auf die Ukraine in Aussicht gestellt. „Wir sehen, dass die russische Seite sich vorbereitet auf eine militärische Aktion, von der wir nicht wissen, ob sie stattfindet, aber es kann in den nächsten Tagen, in den nächsten Stunden passieren“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil am Montag in Berlin. „Solange es die kleinste Hoffnung gibt, dass es diplomatische Lösungen geben kann in diesem Konflikt, so lange muss es maximales Engagement geben für den Frieden.“

Klingbeil sagte: „Wladimir Putin erreicht wahrscheinlich das komplette Gegenteil von dem, was er eigentlich wollte. Er stärkt gerade die Nato, er sorgt dafür, dass die Nato so etwas wie eine Revitalisierung auch erlebt.“ Der SPD-Vorsitzende bekräftigte, dass Russland im Fall eines Einmarsches mit harten Sanktionen belegt werde. Es sei strategisch richtig, diese nicht vorab zu benennen.

Angesprochen auf die Forderung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) nach einer Erhöhung des deutschen Verteidigungshaushalts sagte Klingbeil, die SPD habe immer gesagt, dass die Bundeswehr optimal für Einsätze ausgestattet sein müsse. „An der Stelle wird nicht gespart.“ Lambrecht hatte dem Spiegel gesagt, der Ukraine-Konflikt habe gezeigt, „wie wichtig eine wirksame Abschreckung heute leider wieder ist“. Daraus müsse man innerhalb der Koalition „für die Finanzierung der Bundeswehr Schlüsse ziehen“.

EU vergibt Milliarden-Kredit an die Ukraine

Die Außenminister der EU-Staaten haben unterdessen eine finanzielle Nothilfe bewilligt. Bei einem Treffen in Brüssel beschlossen sie am Montag, dem Land einen weiteren Kredit in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zu gewähren. Die Unterstützung wurde in nur 21 Tagen im Schnellverfahren bewilligt, um die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität der Ukraine zu sichern. „Die anhaltenden Sicherheitsbedrohungen haben bereits einen erheblichen Kapitalabfluss ausgelöst“, so die EU.

Durch die erhöhte Unsicherheit verliere die Ukraine den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten. Nach Angaben der EU-Kommission haben die EU und ihre Finanzinstitutionen der Ukraine seit 2014 mehr als 17 Milliarden Euro in Krediten und Zuschüssen zur Verfügung gestellt.