Der Shutdown rückt näher: Kommen ÖPNV-Verbot und Homeoffice-Pflicht?
Diskussion über zeitnahe Verschärfungen der Corona-Maßnahmen werden immer lauter

Deutschland rückt dem kompletten Shutdown immer näher.
Angesichts weiterhin hoher Infektionszahlen und großer Sorge um die aufgetauchten Coronavirus-Mutationen hat die Diskussion über zeitnahe Verschärfungen der Corona-Maßnahmen gewaltig an Fahrt aufgenommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will schon am Dienstag und nicht erst wie geplant am 25. Januar mit den Ministerpräsidenten der Länder über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten.
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In einer Sitzung des CDU-Präsidiums am Donnerstagabend soll sich die Kanzlerin sehr besorgt gezeigt haben. Sie denkt offenbar an drastische Maßnahmen. Zur Begründung verwies Merkel auf Großbritannien und Irland, wo die Infektionszahlen in rasender Geschwindigkeit angestiegen sind. Die Situation sei dort „dramatisch“, die Menschen trauten sich nicht mehr auf die Straße. Ein derartige Entwicklung müsse man für Deutschland vermeiden.
Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer rechnet mit Beratungen in der kommenden Woche. „Kindergärten komplett runterfahren, Schulen abschließen, wirklich Betretungsverbote in den Pflegeheimen, wenn kein negativer Schnelltest vorliegt - solche Dinge müssen wir besprechen“, sagte der CDU-Politiker am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „maybrit illner“.
Wird das Homeoffice zur Pflicht?
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte im Spiegel angesichts der Pandemielage eine Sondersitzung des Bundestags in der kommenden Woche. „Solange die Infektionszahlen nicht runtergehen, können die Lockdown-Maßnahmen nicht beendet werden und es werden weitere Maßnahmen nötig sein, besonders in der Arbeitswelt“, so die Grünen-Politikerin. „Wir sollten uns die Frage stellen, ob letztlich nicht ein kompletter Lockdown von zwei bis drei Wochen besser ist als eine endlose Hängepartie“, sagte Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, dem Spiegel.
Längst wird offen über eine Verpflichtung der Arbeitgeber zum Homeoffice gesprochen.
Die britische Variante des Coronavirus zwinge zum Handeln, sagte Merkel. Einen Termin für die nächste Runde mit den Regierungschefs der Länder nannte sie nicht. Montag und Dienstag sollen im Gespräch sein. Merkel wurde mit den Worten zitiert, man sei in einem Wettlauf mit der Zeit und könne nicht bis zum 25. Januar warten.
„Sonst werden uns die Bürger das nicht verzeihen“
Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (42, CDU) wählte laut Bildzeitung dramatische Worte: „Wir müssen auf die Mutation reagieren. Sonst werden uns das die Bürger nicht verzeihen.“
Ganz ähnlich äußerte sich Sachsens Regierungschef im ZDF. Die Infektionszahlen seien durch den derzeitigen Lockdown nicht so zurückgegangen, „wie wir es gewollt haben und wie wir es brauchen“. Kretschmer verwies an dieser Stelle auch auf die womöglich ansteckenderen Virus-Mutationen, die die Infektionszahlen weiter in die Höhe treiben könnten.
Zahl der ÖPNV-Fahrgäste reduzieren
Seiner Ansicht nach sei auch ein Blick auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wichtig. „Der ÖPNV, da dürfen nicht so viele Leute mitfahren. Das ist aus meiner Sicht jetzt auch Gebot der Stunde.“ Einen Bericht der Bild-Zeitung, wonach im Kanzleramt über die Einstellung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs nachgedacht werde, wies Merkel nach Angaben mehrerer Teilnehmer aber am Donnerstagabend bei den CDU-Beratungen zurück.
Unbestritten blieb aber, dass die Zahl der Fahrgäste in Bussen und Bahnen „durch geeignete Maßnahmen“ massiv reduziert werden soll.
Maßnahmen konsequenter umsetzen
Auch der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, machte erneut deutlich, dass die bisherigen Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus aus seiner Sicht nicht ausreichen. In den ARD-Tagesthemen appellierte er zudem daran, die aktuellen Maßnahmen konsequenter umzusetzen.
„Wir brauchen mehr Teststellen, die die Mutation erkennen können“, forderte derweil Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag). „Außerdem helfen FFP2-Masken und eine konsequente Umsetzung des jetzigen Lockdowns“, so Söder, dessen Regierung für Bayern eine FFP2-Maskenpflicht im ÖPNV und im Einzelhandel ab Montag auf den Weg gebracht hat. Ob ein harter Lockdown bis Ostern nötig sei, wollte Söder nicht prognostizieren. „Aber: Auch ich bleibe im Team Vorsicht.“
Wettrennen mit Virus-Mutation
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach bei „maybrit illner“ von einem Wettrennen, die jetzige Welle schnell genug in den Griff zu bekommen, bevor sich die neuen Virus-Mutationen stärker ausbreiten. Wenn das nicht gelinge, „dann kommen wir aus dem Lockdown so schnell gar nicht mehr raus“. Ohne Verschärfungen werde dies nicht gelingen. Lauterbach erläuterte, das Durchschnittsalter in den großen Intensivstationen liege derzeit bei 60 Jahren. Darunter seien viele Jüngere, wobei sich Übergewicht als immer stärkerer Risikofaktor für schwerste Verläufe zeige.
„Wir sollten das Homeoffice verpflichtend machen - dort, wo es geht“, sagte Lauterbach den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Firmen selbst seien gut beraten, ihren Beitrag zu leisten, um den Lockdown erfolgreich zu Ende zu bringen. „Andernfalls können wir irgendwann gezwungen sein, auch Betriebe zu schließen“, sagte Lauterbach. „Möglicherweise müssten wir sogar an die Industrieproduktion heran.“
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, brachte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe eine mögliche Zielmarke von weniger als 1000 Covid-19-Intensivpatienten als Bedingung für Lockerungen ins Spiel. „In Ampelfarben gesprochen: In 11 von 16 Bundesländern ist die Ampel rot, dort gibt es weniger als 15 Prozent freie Intensivbetten“, sagte Marx. Lockerungen dürften erst kommen, wenn sich die Lage deutlich entspannt hätte. „Die Zahl der intensivmedizinisch versorgten Covid-19-Kranken muss dafür bundesweit stabil klar unter 1000 Patienten liegen.“ Aktuell werden demnach fast 5200 Covid-19-Patienten in ganz Deutschland intensivmedizinisch behandelt.