Der Krieg um die Ukraine verändert Pläne und Gewissheiten
Russlands Außenminister verkündet, dass die Ukraine erobert werden soll.

„Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“ Dieser 2500 Jahre alte Satz des griechischen Philosophen Heraklit wird bis heute diskutiert: Was hat der Mann gemeint? In Zeiten des seit Februar tobenden blutigen Kampfes in der Ukraine wird aber eines klar: Der Krieg ist mindestens ein großer Veränderer.
Russlands imperialistisches Kriegsziel
Das fängt bei den Kriegszielen des Aggressors Russland an. Im April tönte Außenminister Sergej Lawrow, man wolle die Regierung in Kiew nicht beseitigen. Jetzt, nachdem russische Truppen schwere Niederlagen erlitten haben und mühselig kleine Siege erringen, sagt derselbe Minister: „Wir helfen dem ukrainischen Volk auf jeden Fall, sich von dem absolut volks- und geschichtsfeindlichen Regime zu befreien.“ Das russische und das ukrainische Volk würden künftig zusammenleben.
So etwas nennt man gemeinhin Imperialismus oder Kolonialismus.
Der Angriff Russlands bringt gleichzeitig alte und auch neuere Gewissheiten in Deutschland ins Wanken. Wegen der deutschen Vergangenheit und weil kein anderes Nato-Land bislang westliche Kampfpanzer-Modelle an die ukrainische Armee geliefert hat, tat es Deutschland auch nicht. Bislang wurden nur sieben Selbstfahrlafetten („Panzerhaubitze 2000“) in die Ukraine geschickt. 15 Gepard-Flakpanzer waren im Mai versprochen, jetzt sind endlich die ersten drei samt Munition geliefert worden.

Doch weil sogenannte Ringtausche nicht richtig funktionieren (Nato-Länder wie Polen beispielsweise schicken sowjetische Panzermodelle in die Ukraine und bekommen, so die Idee, Leopard-2-Panzer), weicht diese Position auf. Man „zeigt sich offen“ für direkte Lieferungen. Bei den Grünen in Person von Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, bei der FDP in Person von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Vorsitzenden des Bundestags-Verteidigungsausschusses.
Strack-Zimmermann meint damit nicht nur die Dutzenden von bereits wieder einsatzfähig gemachten, von der Bundeswehr ausgemusterten Marder-Schützenpanzern, die sich die Ukraine dringend wünscht, sondern auch von Leopard-2-Panzern, die allerdings nicht auf Halde stehen. Weshalb der Ringtausch mit Polen auch nicht geklappt hat.

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Große Änderungen deuten sich auch bei der Energiepolitik an. Wie in Stein gemeißelt schien der endgültige Atomausstieg zum Jahresende. Seit Wochen, unter anderem von der Union gefordert, wird über eine Verlängerung der Laufzeit der letzten drei Atomkraftwerke debattiert, Neckarwestheim 2, Emsland und Isar 2. Sie können zwar nicht heizen, aber rund sechs Prozent des deutschen Stroms liefern.
Atomkraftwerke weiter laufen lassen, um nicht Gas oder Kohle verbrennen zu müssen?
Fallen sie weg, müsste ihr Strom voraussichtlich mit dem knappen Gas, Steinkohle oder der besonders umweltbelastenden Braunkohle erzeugt werden. Oder importiert werden. Was nicht so sicher zu sein scheint, weil Frankreich eine Reihe seiner Kernkraftwerke abgeschaltet hat.
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Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant für den Fall des Wegfalls russischen Gases bereits mit Kohle-Verstromung, was ur-grünen Vorhaben zuwiderläuft. Da erscheint eine auf Zeit verlängerte Atomstrom-Produktion ohne klimaschädlichen CO2-Ausstoß als das kleinere Übel. Jetzt muss abgewartet werden, was ein zweiter sogenannter „Stresstest“ bringt. Er soll klären, unter welchen Umständen die deutsche Stromversorgung gesichert ist.

Und so sagte SPD-Ko-Chefin Saskia Esken folgerichtig, man sei in der Atomfrage mit ihren Problemen – Atommüll, keine frischen Brennstäbe – „nicht ideologisch unterwegs“. Das Zauberwort heißt „Streckbetrieb“. Er würde bedeuten, dass die drei Atommeiler bei gedrosselter Leistung mit den alten Brennstäben weiterlaufen.
Auch hier zeigte sich Göring-Eckardt offen, im Gegensatz zur Parteifreundin Annalena Baerbock. Allerdings: Auch die Außenministerin lässt sich ein Hintertürchen offen, indem sie auf den Stresstest verweist.
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