Regierungskurs soll Opposition einschränken
Demo gegen PiS: Hunderttausende Polen haben Angst um Demokratie
Eine halbe Million Polen protestierten wohl am Sonntag in Warschau gegen den Kurs der PiS-Regierung. Auch USA und EU sind dagegen.

Nach ersten Berichten sind mehrere hunderttausend Polen in Warschau auf die Straße gegangen. Mit vielen polnischen und EU-Fahnen protestierten sie gegen die Politik der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, der sie vorwerfen, die Demokratie zu untergraben und um jeden Preis verhindern zu wollen, die Parlamentswahl im Herbst zu verlieren. Die Teilnehmer pfeifen und tröten, Maria Kopycka (70) hat eine Trommel dabei. Ihren Rucksack hat sie mit einer weißen Plüsch-Ente dekoriert. Eine Anspielung auf den „Enterich“ (kaczor), wie die PiS-Gegner Parteichef Jaroslaw Kaczynski nennen.
„Ich bin stinksauer“, sagt die Rentnerin, die aus dem schlesischen Czestochowa nach Warschau gereist war. „Ich fühle, dass unser Land in totalitäre Zeiten zurückfällt. Und das will ich nicht.“
Aufgerufen zu der Demo hatte der frühere Regierungschef und Ex-EU-Ratspräsident, Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO). Er führt die Opposition in den Wahlkampf. Andere Initiativen und Parteien haben sich dem Aufruf angeschlossen, Korrespondenten in Polen führen das auf zunehmende Unzufriedenheit mit der PiS-Regierung und Wut auf die PiS zurück.
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Regierungspartei PiS schoss ein Eigentor
Die Befürchtungen, das Wahlergebnis beeinflussen zu wollen, hat die PiS selbst gerade befeuert. Am Montag hatte der formal aus der PiS ausgetretene Präsident Andrzej Duda ein Gesetz unterschrieben, das die Einsetzung einer Untersuchungskommission zur russischen Einflussnahme vorsieht.

Das Gesetz sieht die Bildung einer Untersuchungskommission vor, die viele Vollmachten hat. Das Gremium soll prüfen, ob Amtsträger in den Jahren 2007 bis 2022 unter dem Einfluss Moskaus Entscheidungen getroffen haben, die die Sicherheit des Landes gefährden.
Das von der PiS eingebrachte Gesetz scheint wie maßgeschneidert, um vor allem Donald Tusk, der wieder Premier werden will, im Wahlkampf zu diskreditieren oder sogar aus dem politischen Leben zu verbannen. Polnische Medien sprechen von einer „Lex Tusk“, ein auf ihn zielendes Gesetz. Denn in seiner Zeit als Ministerpräsident wurden Öl- und Gas-Lieferverträge mit Moskau abgeschlossen.
EU und USA protestierten gegen das Anti-Tusk-Gesetz
An dem üblen Beigeschmack ändert auch nicht, dass Duda nach heftiger Kritik der EU und der USA mittlerweile zurückgerudert ist und Änderungen an dem Gesetz angekündigt hat.
In der ursprünglichen Version war vorgesehen, dass die Kommission Strafen verhängen und ein Amtsverbot von bis zu zehn Jahren verhängen darf. Laut Dudas Änderungsvorschlag soll das Gremium nun lediglich feststellen, „dass eine Person, die unter russischem Einfluss gehandelt hat, eine ordnungsgemäße Erfüllung des öffentlichen Interesses nicht gewährleisten kann“.

Das erinnert an die Kampagne gegen Tusk bei der Präsidentschaftswahl 2005: Damals wurde Tusk zum Verhängnis, dass sein Großvater in der Wehrmacht war. Dass der nur formal Deutsche Jozef Tusk da nach mehrmaliger KZ-Haft 1944 nicht freiwillig hingegangen und bald desertiert war, nutzte dem Enkel nichts. Der musste auch mit der unterschwelligen Vorwurf der Rechten leben, als Kaschube kein richtiger Pole zu sein.
KZ-Propaganda gegen die Opposition
Wenn es um die Diskreditierung der Opposition geht, schreckt die PiS bis heute vor Grenzüberschreitungen nicht zurück. Dies zeigte ein Anfang der Woche von der Partei verbreiteter Video-Clip. Zu Aufnahmen aus dem deutschen Konzentrationslager Auschwitz, wo die Deutschen mehr als eine Million Menschen – zumeist Juden – ermordet hatten, wurde das Logo der Demonstration am 4. Juni eingeblendet und sowie Frage: „Willst du wirklich unter diesem Motto mitgehen?“
Die Teilnehmer des Protestmarsches gegen die PiS sollten so verunglimpft werden. Doch das dürfte die Wut auf die Regierenden bei vielen noch mehr angestachelt haben.
Geklagt hatte die Kommission.
Sie wirft der Regierung in Warschau vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden und die Gewaltenteilung zu untergraben. Hierzu waren bereits mehrere Entscheidungen des EuGH ergangen.
2021 hatte der Vizepräsident des Gerichtshofs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein tägliches Zwangsgeld in Höhe von einer Million Euro gegen Polen verhängt.
Mit Beschluss vom 21. April 2023 wurde das tägliche Zwangsgeld auf 500.000 Euro halbiert, nachdem Polen Änderungen an dem Gesetz, vor allem über die umstrittene Disziplinarkammer für Richter wieder abgeschafft hatte.
Diese Änderungen reichen nach Ansicht von EU-Justizkommissar Didier Reynders noch nicht aus. „Trotz einer Reihe wichtiger positiver Veränderungen, bleiben ernste Vorbehalte und Sorgen“, gab Didier Reynders Ende der vergangenen Woche vor dem Europäischen Parlament zu bedenken.
Bis heute habe Polen die Auflagen des Europäischen Gerichtshofs nicht erfüllt, für die Unabhängigkeit der Gerichte zu sorgen.
Der Regierungsstil der PiS trifft in weiten Teilen der polnischen Gesellschaft vor allem der großen Städte auf Widerstand. Das beginnt mit der ständigen Auseinandersetzung Warschaus mit Brüssel (die Mehrheit unterstützt die EU), führt über ein brachiales Abtreibungsrecht und das Auf-Linie-Bringen der Medien bis hin zur Politisierung der Justiz, um die PiS-Herrschaft zu stützen.
Tusk war von 2007 bis 2014 polnischer Regierungschef und gilt als schärfster politischer Gegner des mächtigen PiS-Chefs Jaroslaw Kaczynski, dem „Enterich“.
Der 66-jährige Danziger Tusk pflegte enge Kontakte zur damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und versuchte auch, Polens Verhältnis zu Russland zu verbessern. Die PiS unterstellt ihm daher abwechselnd, er sei ein Lakai Deutschlands oder des Kremls.