Der klare KURIER-Kommentar
DDR-Volksaufstand am 17. Juni 1953: Wir brauchen einen Gedenktag!
Warum der 17. Juni nicht wieder ein Feiertag sein sollte: Unsere Gastautorin Dr. Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, hat dazu eine klare Meinung.

„Wir wollen freie Menschen sein“, lautete eine der Forderungen, die die Menschen im Juni 1953 in der DDR in die Öffentlichkeit trugen. Mitte Juni 1953 war aus dem sozialen Protest gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen und die schlechten Lebensbedingungen ein Aufstand gegen die kommunistische Herrschaft geworden: Etwa eine Million Menschen gingen in der gesamten DDR in über 700 Städten und Gemeinden auf die Straße.
Sie forderten freie und demokratische Wahlen, die Absetzung der Regierung und die deutsche Einheit. Die SED-Führung verweigerte den Dialog. Den kommunistischen Funktionären war klar, dass freie Wahlen das Ende ihrer Herrschaft bedeuten würden. Die Macht der SED-Führung beruhte vor allem auf der Präsenz der sowjetischen Besatzungsmacht und deren Panzern.
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Während sich die SED-Führung bemühte, die Schuld am Aufstand westlichen Spionen anzulasten, kehrte unter der Bevölkerung Hoffnungslosigkeit ein: Mindestens 55 Todesopfer hatte der Aufstand gekostet. 15.000 Menschen wurden verhaftet und oft zu langen Haftstrafen verurteilt. Tausende flohen in den Westen.
Die SED-Führung reagierte auf den Aufstand mit Zuckerbrot und Peitsche. Zum einen wurde der forcierte „Aufbau des Sozialismus“ in der Wirtschaft abgebrochen. Die Produktion von Konsumgütern wurde verstärkt, um der Unzufriedenheit mit dem Lebensniveau zu begegnen. Zum anderen wurde der Sicherheits- und Überwachungsapparat massiv ausgebaut: Nie wieder sollte eine solche Protestbewegung entstehen können.
DDR-Volksaufstand: „Immer wurden die Proteste im Ostblock blutig niedergeschlagen“
Der Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR war die erste landesweite Erhebung gegen die kommunistische Herrschaft nach 1945. Nur drei Jahre später folgten die ungarische Revolution und Proteste in Polen. 1968 begehrten die Menschen in Polen erneut gegen die kommunistische Herrschaft auf, und in der ČSSR forderten die Menschen einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“.
Immer wurden die Proteste im Ostblock blutig niedergeschlagen. Die Bilder der sowjetischen Panzer, die die Aufstände niederwalzen, wurden zum Symbol für die brutale Gewalt, mit der der Freiheitswillen der Menschen unterdrückt und die kommunistische Herrschaft unter sowjetischer Führung im östlichen Europa gesichert wurde.
Doch zurück ins Jahr 1953: Nur drei Wochen nach dem Aufstand erklärte der Deutsche Bundestag den 17. Juni zum gesetzlichen Feiertag und zum „Tag der deutschen Einheit in Freiheit“. 1963 wurde der Tag durch Bundespräsident Heinrich Lübke zum „Nationalen Gedenktag“ erhoben. Der Tag wurde durch Sondersitzungen des Deutschen Bundestages, Gedenkansprachen und Veranstaltungen begleitet.
17. Juni: „Viele Menschen im Westen genossen den freien Tag“
Je länger der Aufstand zurücklag, umso mehr verblasste die Erinnerung an den Aufstand und das Schicksal der Menschen hinter dem Eisernen Vorhang: Viele Menschen im Westen genossen den freien Tag, ohne weiter über die historischen Hintergründe nachzudenken.
Nach der friedlichen Revolution in der DDR erinnerten Politiker aus Ost und West 1990 erstmals gemeinsam an den Volksaufstand. Es sollte jedoch das letzte Gedenken am 17. Juni als Feiertag sein: Mit der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 verlor der 17. Juni seinen Status als nationaler Feiertag, blieb aber ein nationaler Gedenktag.
17. Juni 1953: „Gedenken wir der Frauen und Männer, die sich mutig für Demokratie und Freiheit einsetzten“
Seit der Abschaffung des Feiertags ist immer wieder die Forderung zu hören, der 17. Juni möge wieder ein Feiertag sein, gegebenenfalls auf Kosten des Feiertags am 3. Oktober. Aber lassen Sie uns ehrlich sein: Würde ein freier Tag im Juni die Erinnerung an den Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft, gegen Unfreiheit und Unterdrückung wirklich befördern?
Der 17. Juni ist ein nationaler Gedenktag und in diesem Sinne soll er zum Denken anregen. Wir erinnern in diesem Jahr an den 70. Jahrestag des Aufstandes. Es ist der vermutlich der letzte runde Jahrestag, an dem Zeitzeugen von damals berichten können. Es ist ihr Vermächtnis und unser Auftrag, den 17. Juni zu einem Ge-DENK-Tag zu entwickeln, der darauf hinwirkt, dass irgendwann die Männer und Frauen, die sich in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR mutig für Demokratie und Freiheit einsetzten, dem Vergessen entrissen sind.
