Erdogan, hier mit Ehefrau Emine, guckt inzwischen sogar dann grimmig, wenn er das erste türkische E-Auto Togg T10X vor seinem in ein Naturschutzgebiet gepflanzten Palast vorstellt.
Erdogan, hier mit Ehefrau Emine, guckt inzwischen sogar dann grimmig, wenn er das erste türkische E-Auto Togg T10X vor seinem in ein Naturschutzgebiet gepflanzten Palast vorstellt. Adem Altan/AFP

Recep Tayyip Erdogan kam vor 20 Jahren mit Versprechen an die Macht, die den Menschen in der Türkei Hoffnung gaben: Korruption bekämpfen, Misswirtschaft beenden, das Land demokratisieren. Auch seine erfolgreiche Kommunalpolitik als Bürgermeister Istanbuls verschaffte dem islamisch-konservativen Politiker Rückhalt. Nach dem Erdrutsch-Wahlsieg seiner damals neuen Ak-Partei (AKP) 2002 versprach Erdogan: „In der Türkei wird, so Gott will, eine neue weiße Seite aufgeschlagen.“ Ziel sei der Beitritt zur EU und die Integration in die Weltwirtschaft, man wolle den Lebensstil aller Bürger respektieren.

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Parteienbündnis will der Herrschaft Erdogans ein Ende setzen

Heute mit Beginn des Wahlkampfs der AKP klingen diese Worte für viele wie aus einer anderen Welt. Erdogan, seit 2003 Ministerpräsident und seit 2014 Präsident, hat heute fast alle Macht in Händen. Dennoch wirkt er so schwach wie nie. Ein Bündnis aus sechs Parteien hat mit seinem Kandidaten Kemal Kilicdaroglu (74) gute Chancen, Erdogan am 14. Mai zu schlagen, trotz dessen Wahlgeschenken und dem Versprechen, die im Februar durch ein Erdbeben verwüsteten Gebiete im Südosten binnen eines Jahres wieder aufzubauen.

Ein optimistischer Recep Tayyip Erdogan bei der Wahl 2002, die ihn 2003 ins Amt  des Ministerpräsidenten brachte. Mit der säkularen Türkei Atatürks, dessen Bild hinter ihm hängt, hat die Erdogan-Türkei nicht mehr viel zu tun.
Ein optimistischer Recep Tayyip Erdogan bei der Wahl 2002, die ihn 2003 ins Amt des Ministerpräsidenten brachte. Mit der säkularen Türkei Atatürks, dessen Bild hinter ihm hängt, hat die Erdogan-Türkei nicht mehr viel zu tun. Kerim Okten/epa/dpa

„Für die Türkei geht es an der Urne um die Frage Autoritarismus oder Demokratie“, sagt Gönül Tol, Direktorin des Türkei-Programms am Nahost-Institut in Washington. Würde Erdogan abgewählt, wäre das eine Zäsur.  

Erdogans erste Regierungsjahre waren von Reformen und Erfolg geprägt. Das durchschnittliche Pro-Kopf Einkommen wuchs alleine in den ersten zwei Legislaturperioden der AKP um mehr als das Dreifache. Erdogan beschnitt die Übermacht des Militärs,  2005  begann er offizielle Beitrittsverhandlungen mit der EU. Selbst den blutigen Konflikt mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK schien er beenden zu können.  

Die eigenen Reformen hat Erdogan vielfach rückgängig gemacht

Viele seiner Reformen hat Erdogan inzwischen zurückgedreht. Die EU-Beitrittsgespräche liegen auf Eis, Regierungsgegner sitzen im Gefängnis, ein Großteil der Medien steht unter Erdogans Kontrolle. Den Friedensprozess mit der PKK beendete Erdogan 2015, die legale prokurdische Partei HDP kriminalisiert er, lässt Funktionäre einsperren und ihre Bürgermeister entmachten.

Vor fünf Jahren führte er nach dem gescheiterten Putsch 2016 per Volksentscheid ein Präsidialsystem ein, das ihm weitreichende Befugnisse bescherte. Wichtige Entscheidungen gehen seitdem durch ein Nadelöhr: Erdogans pompösen Präsidentenpalast in Ankara.

Die zeitweilig auf 80 Prozent gestiegene Inflation hat sich zwar auf rund 50 Prozent abgeschwächt, ist aber noch immer auf einem 20-Jahre-Hoch. Vor allem Lebensmittel sind trotz gestiegenen Mindestlohns teuer für die Türken geworden. Viele junge Leute denken ans Auswandern.

Er gilt als Pragmatiker im Kampf um den Machterhalt.  So schlug er erst den Weg der Demokratie und der Menschenrechte ein, dann einen islamistisch-populistischen, schließlich einen nationalistischen. „Er ist ein politisches Chamäleon, das ständig seine Farben ändert, um zu überleben“, so Tol. Außenpolitisch beteiligt er sich einerseits nicht an Sanktionen gegen Russland wegen des Überfalls auf die Ukraine, beliefert die aber mit Drohnen und ermöglichte über Verhandlungen mit Russland den Transport ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer.

Islamistische Parteien stehen an der Seite Erdogans

Für die Wahl hat Erdogan neue Allianzen geschmiedet. Bereits 2018 war er im Bündnis mit der ultranationalistischen MHP angetreten. Nun wird er unter anderem auch von der islamistischen Neuen Wohlfahrtspartei und der kurdisch-islamistischen Hüda Par unterstützt. Das sorgt sogar in den eigenen Reihen für am Ende erfolglose Kritik. Die beiden islamistischen Parteien wollen etwa Regulierungen zum Schutz von Frauen gegen Gewalt abschaffen.  

Die Parlamentswahlen, die gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen stattfinden, sind durchaus wichtig. Der AKP könnte dabei ein neues Wahlsystem helfen, das es ihr erleichtert, eine Mehrheit zu erlangen. Wird der Kampf ums Präsidentenamt nicht in der ersten Runde entschieden, hätte die Partei, die schon das Parlament gewonnen hat, in einer Stichwahl einen psychologischen Vorteil.

Der Wahlkampf wird sich voraussichtlich auf die vom Erdbeben betroffenen Provinzen konzentrieren, großteils AKP-Hochburgen. Das Beben hat in der Türkei Zehntausende Menschen das Leben gekostet und Millionen obdachlos gemacht. Betroffene sind frustriert, viele werfen der Regierung vor, vor allem anfangs in der Erdbebenhilfe versagt und zuvor Baumängel geduldet zu haben.