Einnahmeausfälle und Staatsausgaben
Corona-Pandemie: Und wer bezahlt das alles?
Einnahmeausfälle von Hunderten Milliarden Euro. Zugleich steigen die Staatsausgaben drastisch an. Wer könnte diese Kosten tragen? Vier Szenarien.

Der sonst so trübe November ist der Monat der guten Nachrichten, so frohlockte der sonst so mürrische Olaf Scholz (SPD). Am Mittwoch hatten die Wirtschafts-Sachverständigen der Bundesregierung eine konjunkturelle Erholung prophezeit. Am Donnerstag präsentierte nun der Bundesfinanzminister die Ergebnisse der aktuellen Steuerschätzung. Seine Botschaft: Der Bundeshaushalt wird zumindest nicht noch ärger gerupft als ohnehin absehbar war. „Wir sehen positive Zeichen“, sagte er. Selbst die coronabedingten Schließungen im November scheinen Staat und Wirtschaft nicht zu überfordern.
Zuletzt hatten die fünf großen Wirtschaftsinstitute im September für die Bundesregierung ihre gemeinsame Prognose abgegeben, mit welchen Einnahmen der Staat in diesem und in den kommenden Jahren rechnen darf. Seither haben sich nur marginale Abweichungen ergeben, aber immerhin: Die Ökonomen rechnen mit Mehreinnahmen. Und Scholz geht davon aus – so viel ließ er sich bei der Pressekonferenz am Donnerstag entlocken –, dass der vorgesehene Finanzrahmen für dieses Jahr eingehalten werden kann. Selbstverständlich ist das nicht. Immerhin hat die Bundesregierung den Gastronomen und Geschäftsinhabern, die im November pausieren müssen, großzügige Unterstützung versprochen. Mehr als zehn Milliarden dürften die sogenannten Novemberhilfen kosten.
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Teuer genug wird die Corona-Pandemie trotzdem. Erst 2022 erreichen die Staatseinnahmen wieder das Niveau von 2019. Und die Bundesrepublik wird dann voraussichtlich mit rund 300 Milliarden Euro mehr verschuldet sein als vor der Krise. Wie soll der Staat diese Schulden in der Zukunft wieder abtragen? Muss er das überhaupt? Und wer trägt diese Last? Vier Szenarien.
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Szenario 1: Die Reichen tragen die Last der Pandemie
Linke Politiker und Ökonomen interessieren sich derzeit besonders für das Jahr 1952. Damals beschloss die junge, CDU-geführte Bundesrepublik eine Maßnahme, die bei heutigen Unionspolitikern Schnappatmung auslösen würde: den Lastenausgleich, eine Vermögensabgabe. Die Hälfte ihres Besitzes sollten Vermögende abgeben, um unter anderem Kriegsheimkehrer und Vertriebene zu entlasten. Dass die Reichen darüber nicht verelendeten, dafür sorgte die Konzeption der Abgabe. Sie war nicht auf einmal, sondern über 30 Jahre gestreckt in vierteljährlichen Raten zu leisten. Und der Stichtag für die Bemessung war die Einführung der D-Mark in den Westzonen, der 21. Juni 1948. Durch das Wirtschaftswachstum mehrten sich die Vermögen in der folgenden Zeit viel schneller, als der Staat sie abschöpfen konnte.
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Auch heute noch wäre das Konzept anwendbar, meint die Linke. Sie hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung mit einer Studie zum Thema beauftragt. Ergebnis: 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr könnte der Staat einnehmen, belastet würden je nach Ausgestaltung höchstens zwei Prozent der Bevölkerung. Mit den Einnahmen möchte Linke-Fraktionsvize Fabio de Masi freilich keine Schulden zurückzahlen, sondern öffentliche Investitionen anschieben.
Auch bei der SPD gibt es Sympathien für das Konzept. „Menschen, die auch nach der Krise zu den wohlhabendsten zehn Prozent der Gesellschaft gehören, können durchaus einen größeren Beitrag leisten bei der Krisenbewältigung“, sagte der SPD-Finanzpolitiker Lothar Binding der Berliner Zeitung. Auch der Finanzminister und SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz will bei der Wahl im nächsten Jahr mit der Forderung antreten, Einkommen oberhalb von 200.000 Euro jährlich stärker zu besteuern.
Schönheitsfehler an dem Modell: Für Immobilienvermögen – eine der wichtigsten Anlageformen – gibt es derzeit keine gute Bewertungsgrundlage. Sie wird erst Ende 2024 mit der Reform der Grundsteuer vorliegen.
Szenario 2: Die Armen müssen für Corona zahlen
Nein, es würde wohl niemand darauf kommen, von den ökonomisch Schwachen einen direkten Beitrag zur Bewältigung der Krise zu fordern. Indirekt werden sie ihn aber doch erbringen. Nicht nur, weil schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse häufig auch befristet sind und zuerst gekündigt werden. Sondern auch, weil die Kürzungen staatlicher Leistungen sie zuerst treffen. Wer kaum die Miete zusammenbekommt, kann sich keine Zusatzrente leisten. Auch die absehbaren Finanzierungslücken bei den Kommunen dürften empfindliche Lücken reißen in jene soziale Infrastruktur wie Jugendklubs, Familienhilfe oder Schuldnerberatung, die vor allem ärmeren Menschen hilft. Gut zehn Milliarden Euro fehlen den Städten und Gemeinden nach Angaben des Deutschen Städtetags alleine im nächsten Jahr.
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Eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung kommt auf der Grundlage von 6000 Befragungen zu dem Ergebnis, dass Beschäftigte im Niedriglohnbereich in der Pandemie doppelt so häufig von Einkommenseinbußen betroffen sind wie Gutverdiener. Knapp die Hälfte der Befragten mit einem Einkommen von weniger als 1000 Euro netto machten entsprechende Angaben. Dagegen sagten mehr als 70 Prozent der Befragten, die mehr als 1700 Euro im Monat zur Verfügung haben, sie hätten keine Verdienstausfälle.
Szenario 3: Alle blechen für Corona
In welcher Weise breite Schichten an der Finanzierung der Corona-Krise beteiligt werden, kündigte sich am Donnerstag an. In der „Bild“-Zeitung warnte Alexander Gunkel, Vorstandsmitglied der Deutschen Rentenversicherung, dass deren Rücklagen durch die Krise schneller als vorhergesehen verbraucht werden. 2023 müsse der Rentenbeitrag darum deutlich angehoben werden, von 18,6 auf 19,3 Prozent des Bruttolohns. Bernd Raffelhüschen, Ökonom an der Universität Freiburg, erklärte in dieser Woche: „Wir haben noch nie eine so unsolide Finanzierung unserer Sozialsysteme erlebt.“ Nicht nur die Rentenversicherung, sondern auch Kranken- und Pflegeversicherungen nehmen in der Krise bei steigenden Ausgaben weniger ein. Auch ihre Puffer reichen nach Raffelhüschens Berechnungen für die Stiftung Marktwirtschaft ab 2022 aber nicht mehr aus.
Die Lücke lässt sich auf drei verschiedene Arten schließen: durch höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, die mit höheren Steuern oder Kürzungen gegenfinanziert werden müssten. Durch höhere Beiträge, die wegen der Beitragsbemessungsgrenzen vor allem die Mittelschicht träfen. Oder durch Leistungskürzungen. Die Politik steuert jedoch noch in eine andere Richtung: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht in seiner Pflegereform vor, den Eigenanteil bei der Heimpflege auf 700 Euro zu deckeln.
Szenario 4: Niemand kommt für die Corona-Kosten auf
Was wie ein kühner Gedanke wirkt, könnte ökonomisch durchaus sinnvoll sein: Der Staat zahlt die während der Pandemie aufgenommenen Schulden nicht zurück, sondern er lässt die Zeit über sie hinweggehen. So ist es nach der Finanzkrise geschehen. Getilgt wurden die seinerzeit aufgenommenen Kredite nicht. Die Schuldenquote – und die ist nach den Maastricht-Kriterien die einzig relevante Größe – sank trotzdem. Warum? Weil die Wirtschaft wuchs. Die Schulden fielen also weniger ins Gewicht.
Warum macht man es nicht einfach wieder genauso? Schließlich liegt Deutschland auch nächstes Jahr mit einer Staatsverschuldung von weniger als 80 Prozent der Wirtschaftsleistung deutlich unter den anderen G7-Staaten und den großen Euro-Ländern. Aber die Deutschen haben sich inzwischen strenge Regeln gegeben. Seit 2011 gilt die Schuldenbremse. Sie erlaubt dem Staat zwar, in Notlagen zusätzliche Kredite aufzunehmen. Es muss aber auch ein Tilgungsplan beschlossen werden.
Wie viel Zeit er für die Rückzahlung vorsieht, dafür enthält das Gesetz freilich keine konkreten Vorgaben. Die Koalition im Bund hat sich zunächst auf moderate 20 Jahre geeinigt. Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg will sich 25 Jahre Zeit nehmen, Rot-Rot-Grün in Berlin hat sich auf 27 Jahre geeinigt. Die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen will sich sogar 50 Jahre Zeit nehmen. Für solche langen Tilgungszeiträume sprechen die historisch niedrigen Zinsen, die irgendwann wieder steigen könnten.
Langlaufende Kredite sind übrigens keine Erfindung von Haushaltstricksern. 2010 tätigte das Finanzministerium eine historische Überweisung. 200 Millionen Euro Zinsen flossen letztmalig für eine Anleihe mit langer Geschichte. Es handelte sich um die letzte Verbindlichkeit aus dem Ersten Weltkrieg, fast 92 Jahre nach dem Ende der Kriegshandlungen.