Nicht übers „Thermofenster“ informiert?

Bundesgerichtshof ermöglicht Schadenersatz für Diesel-Stinker, auch ohne Betrug des Herstellers

Der Europäische Gerichtshof hatte die Latte für Schadenersatz für Eigentümer von Dieselautos niedriger gehängt, der BGH folgte.

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Autohersteller bauten Software ein, die zwecks Motorschonung die Abgasreinigung drosseln oder stoppen soll. Das ist zwar kein Betrug, aber fahrlässig, urteilte der BGH. Dieselfahrer können jetzt auf Schadenersatz hoffen, wenn sie beim Kauf über das sogenannte Thermofenster nicht informiert wurden. 
Autohersteller bauten Software ein, die zwecks Motorschonung die Abgasreinigung drosseln oder stoppen soll. Das ist zwar kein Betrug, aber fahrlässig, urteilte der BGH. Dieselfahrer können jetzt auf Schadenersatz hoffen, wenn sie beim Kauf über das sogenannte Thermofenster nicht informiert wurden. René Traut/imago

Abertausende Eigentümer von Dieselfahrzeugen können auch dann Schadenersatz vom Hersteller verlangen, wenn er fahrlässig bei der Abgasreinigung vorgegangen ist und den Kunden nicht über die Existenz eines sogenannten Thermofensters informiert hat. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil. Bislang musste nachgewiesen werden, dass der Hersteller die Kunden sittenwidrig und vorsätzlich getäuscht hatte.

Drosselung oder Abschaltung der Abgasrückführung war vom Kraftfahrt-Bundesamt gebilligt worden

Thermofenster heißt die Zeit, in der die Reinigung des Abgases durch Rückführung nicht richtig funktioniert. Thermofenster-Technik steckt in Millionen von Dieselautos und decken unterschiedliche Temperaturbandbreiten ab, in denen sie die Rückführung der Abgase drosseln oder  ganz abschalten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hatte die Technologie gebilligt.

Laut Herstellern ist das bei bestimmten Temperaturen nötig, um den Motor zu schonen. Bisher waren Thermofenster auch aus Sicht des BGH keine von den Herstellern vorsätzlich und bewusst zur Täuschung des tatsächlichen Schadstoffausstoßes verbaute Schummelsoftware – und daher auch kein Grund für Schadenersatz.

Europäischer Gerichtshof wurde gegenüber den Herstellern rabiat

Der Europäische Gerichtshof hatte jedoch im März in einem deutschen Mercedes-Fall die Kriterien verschärft, sodass der BGH bei ihm  anstehenden drei Musterklagen gegen VW, Mercedes und Audi gezwungen war zu reagieren. Schon 2020 hatte der EuGH die Zügel gegen die Hersteller angezogen und  Abgasmanipulationen für Unrecht erklärt. 

Bis jetzt galt Sittenwidrigkeit als Kriterium für Schadenersatz, und das galt nach einem BGH-Urteil von 2020 im Prinzip nur für VW. Das Unternehmen hatte bei einem Dieselmotor (EA 189) eine Betrugssoftware installiert. Sie sorgte bei Behördentests dafür, dass die Abgasreinigung richtig funktionierte, und zwar nur dann. Das war im Herbst 2015 aufgeflogen.

Nach dem Urteil von Montag bekommen die Autoeigentümer einen pauschalen Ausgleich in Höhe des Wertverlustes, der ihnen durch im Motor verbaute Abschalteinrichtungen wie dass Thermofenster entstanden ist.

Bis zu 15 Prozent des Kaufpreises könnten Dieselfahrer zurückbekommen

In welcher Höhe genau dies der Fall sein kann, müssen die jeweils befassten Gerichte entscheiden. Die Vorsitzende Richterin vom BGH sprach von 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises. Ein Sachverständigen-Gutachten sei dafür nicht nötig.

Zehntausende Fälle sind bei den Gerichten anhängig. Sie haben es nach der Entscheidung des BGH aber künftig leichter, den Minderwert eines Wagens zu berechnen. Außerdem trugen die Richter in Karlsruhe der Tatsache Rechnung, dass arglosen Käufern ein Vertrauensschaden entstanden sei.

In der Annahme, sie würden ein besonders umweltfreundliches Auto erwerben, hatten sie sich für das jeweilige Auto entschieden. Sie hatten zudem darauf vertraut, dass das Auto europäischen Umweltnormen entspreche. Dafür müssten sie entschädigt werden, hieß es weiter.

Autokäufer muss die Existenz der Abschaltvorrichtung nachweisen

Der finanzielle Ausgleich werde dafür gezahlt, dass dem Auto eine Stilllegung drohen könnte. Kläger müssen im Verfahren dann zunächst eine Abschalteinrichtung nachweisen und Hersteller müssten im zweiten Schritt darlegen, dass sie kein Verschulden treffe.