Boris Johnson am 19. März: Gerade hat ihn Schwester Lily Harrington geimpft. Der Triumph des Premiers wird jetzt bröcklig.
Boris Johnson am 19. März: Gerade hat ihn Schwester Lily Harrington geimpft. Der Triumph des Premiers wird jetzt bröcklig. Foto: PA Wire/dpa/Frank Augstein

Im Streit um einen möglichen Exportstopp der EU gegen Corona-Impfstoffe für Großbritannien sucht Premierminister Boris Johnson das Gespräch: Sein Land könnte sich beim Impfen verzockt haben.

Johnson, dessen Regierung gern wegen der in Großbritannien höheren Impfquote prahlt, wolle noch vor dem EU-Gipfel diese Woche bei Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron dafür werben, die Ausfuhr nicht zu blockieren, berichtete die BBC. 

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EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Wochenende vor allem dem britisch-schwedischen Hersteller Astrazeneca damit gedroht, Exporte zu verbieten. Dabei könnte es um Astrazeneca-Impfstoff gehen, der in den Niederlanden produziert wird.

Aus EU-Kreisen hieß es am Montag, die britische Regierung habe bei ihrer Impfstrategie auf volles Risiko gesetzt. Sie habe alle verfügbaren Mengen sofort genutzt und nichts für die nötige Zweitimpfung zurückgehalten.

Nun sollten mögliche Engpässe aus der Produktion in der EU gedeckt werden, aus der ohnehin bereits mindestens 18 Millionen Impfdosen nach Großbritannien gegangen seien – zehn Millionen seit Einführung von Exportkontrollen am 1. Februar und der Rest davor. Dazu kommt, dass vor wenigen Tagen gemeldet wurde, einige Millionen Dosen aus indischer Produktion würden später kommen.

Solange Astrazeneca die EU-Verträge nicht erfülle, sei die Neigung begrenzt, auf eigene Ansprüche zugunsten Großbritanniens zu verzichten, hieß es weiter. Die Gefahr, Großbritannien könnte dann Zutaten für die Impfstoffproduktion in der EU zurückhalten, sei klein. Denn die EU liefere auch Rohstoffe für die Produktion in Großbritannien. „Das geht in beide Richtungen“, hieß es.

Es gibt allerdings innerhalb der EU auch Gegenrede zu einem Exportstopp. Der irische Ministerpräsident („Taoiseach“) Michael Martin sagte: „Ich bin sehr dagegen, ich denke, es wäre ein sehr rückwärtsgewandter Schritt.“ Er verstehe das Problem mit Astrazeneca, es gebe dort erhebliche Spannungen, weil der Hersteller seine Verträge mit der Europäischen Union nicht erfüllt habe, so Martin. Er warnte aber davor, die Lieferketten anderer Impfstoffproduzenten wie Moderna und Janssen/Johnson & Johnson zu untergraben.

Industrie gegen EU-Exportstopp

Der Chef des Darmstädter Pharma- und Chemiekonzerns Merck, Stefan Oschman, warnt vor möglichen Exportbeschränkungen für Impfstoffe aus der EU. „Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, über die ich mir große Sorgen mache. Ein Impfstoffkrieg wird allen schaden“, sagte der Manager dem Handelsblatt. Merck das produziert

Auch die USA handeln eigennützig, lagern Millionen Impfdosen von Astrazeneca, obwohl ihn die US-Arzneimittelbehörde FDA noch gar nicht zugelassen hat. Oschmann verteidigte das: „Mit Blick auf eine erwartete Markteinführung für ein solches Produkt ist das durchaus rational. Wenn die EU jetzt anfängt, Exportverbote in die USA zu verhängen, könnte die US-Regierung darauf leicht reagieren und vieles in der europäischen Pharma- und Biotechindustrie lähmen“, befürchtet der Merck-Chef. Das Unternehmen produziert unter anderem Einweg-Reaktoren und Filter für die Biotech- und Impfstoffproduktion überwiegend in den USA.

Auch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) warnte vor Exportstopps. Für einen Corona-Impfstoff brauche man Hunderte Bestandteile und Hilfsmittel, die von überall auf der Welt geliefert und in Vorbearbeitungsstufen zwischen verschiedenen Ländern ausgetauscht würden. Wenn nun immer mehr Länder zu einseitigen Exportstopps griffen, komme irgendwann die ganze Logistikkette ins Straucheln, so der vfa. «Das können weder Deutschland noch die EU, obwohl sie starke Produktionsstandorte sind, wegstecken.»

Die britische Gesundheits-Staatssekretärin Helen Whately sagte dem Sender BBC Radio 4: „Wir erwarten, dass die Europäische Union sich an ihre Verpflichtungen hält. Und ich bin mir sicher, dass der Premierminister mit seinen Kollegen in Kontakt sein wird.“ Wichtig sei, dass alle Länder mit ihren Impfungen vorankämen.

Boris Johnson sagte seinen Landsleuten, das Impfprogramm werde mit voller Kraft fortgesetzt: „Die Menschen in diesem Land sollten sich keine Illusionen machen. Die Erfahrung zeigt, dass eine Welle, die unsere Freunde trifft, auch bei uns landen wird.“

Nach den letzten verfügbaren Zahlen waren bis zum 20. März über 27,6 Millionen Briten das erste, 2,2 Millionen das zweite Mal geimpft. Damit hatten über 50 Prozent der Erwachsenen eine Spritze bekommen. In der EU waren es am 22. März erst 10,4 Prozent bei  insgesamt 54,5 Millionen Spritzen.  Bei der 2. Spritze lag Großbritannien dagegen mit 4,2 Prozent komplett Geimpfter 0,3 Prozent hinter der EU.