Boris ganz und gar gaga: Britischer Premier wollte sich Coronavirus spritzen lassen
Enthüllungen über illustrieren, wie grotesk Boris Johnson die Gefahr des Covid-19-Erregers unterschätzte.

Die britische Öffentlichkeit ist süchtig nach Skandalen. Jetzt gab es wieder „Stoff“: Der einstige Chefberater von Premierminister Boris Johnson, Dominic Cummings, packte vor einem Ausschuss des Unterhauses aus. Die Ärmel aufgekrempelt, ohne Schlips und mit weit geöffnetem Hemd, knallte er Erinnerungen an die Corona-Politik Johnsons heraus, die es in sich hatten. Das gipfelte in der Behauptung, Johnson habe sich von seinem medizinischen Berater mit dem Coronavirus infizieren lassen wollen, um dessen Ungefährlichkeit zu beweisen.
Cummings sagte über das Jahr 2020: „Im Februar dachte Boris Johnson, es sei nur eine Gruselgeschichte. Er dachte, das sei die neue Schweinegrippe.“ Weiter behauptete er, Johnson habe gesagt: „Ich werde Chris Whitty dazu bringen, mir das Coronavirus live im Fernsehen zu injizieren, damit jeder merkt, dass es nichts ist, vor dem er Angst haben muss.“

Dazu kam es nicht, aber angesteckt hat sich Johnson trotzdem, wurde schwer krank und musste tagelang auf einer Londoner Intensivstation behandelt werden. Im Gegensatz zu ihm kamen 128.000 Briten aber nicht mit dem Leben davon. Cummings sagte, Zehntausende seien gestorben, die nicht hätten sterben müssen.
Cummings warf Johnsons Regierung vor, 2020 noch viel schlimmere Fehler gemacht zu haben: „Im März wurde uns eindeutig gesagt, dass die Menschen getestet werden, bevor sie in Pflegeheime zurückkehrten.“ Erst nach Wochen hätten Johnson und er herausgefunden, dass das nicht stimmte. „Wir haben sie nicht geschützt, ganz im Gegenteil: Wir haben Leute mit Corona zurück in die Pflegeheime geschickt“, sagte Cummings. Pflegeheime hätten lange weder über ausreichend Schutzausrüstung verfügt noch über Testmöglichkeiten für Mitarbeiter. Das habe einen Dominoeffekt erzeugt. Corona-Erkrankte hätten ihrerseits andere Menschen infiziert, „und dann hat es sich wie ein Lauffeuer verbreitet“.
Cummings beschrieb eine Regierung auf Zick-Zack-Kurs: Der eigentliche Plan sei gewesen, eine Herdenimmunität zu erreichen, indem sich die Bürger anstecken und danach immun seien. So habe Mitte März 2020 ein Spitzenbeamter gesagt, Johnson solle zu Coronavirus-Partys aufrufen, ähnlich wie Eltern Windpockenpartys für ihre Kinder veranstalten.
Als er, Cummings, eine schärfere Einreisepolitik wie in Taiwan gefordert habe, wetterte der Premier lieber gegen den landesweiten Lockdown. Demnach sagte Johnson laut Cummings, er hätte sich lieber wie der Bürgermeister aus dem Spielfilm „Der Weiße Hai“ verhalten sollen, der trotz des menschenfressenden Raubfischs die Strände nicht schließt - aus Sorge um den Tourismus. Johnson habe zudem zugegeben, er habe vor Cummings mehr Angst als vor dem Chaos in der Regierung. „Chaos bedeutet, dass alle zu mir als Verantwortlichem hochblicken werden“, habe Johnson ihm gesagt.
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Cummings, der während der Einvernahme meinte, sein Einfluss sei viel geringer gewesen als in den Medien berichtet, rechnete mit der Führungselite des Landes und mit Johnson im Speziellen ab. Er sei für die Führung einer Regierung ungeeignet. Es gebe Abertausende Menschen, die kompetenter seien, sagte der im November 2020 abservierte Chefberater.
Schuld sei das System, das Führungspersönlichkeiten wie Johnson oder den früheren Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei hervorbringe. Er bezog die Kritik ausdrücklich auch auf sich selbst. „Es ist einfach unglaublich, dass jemand wie ich dort war, genauso wie es unglaublich ist, das Boris Johnson dort war, und dass Jeremy Corbyn bei der letzten Wahl zur Abstimmung stand.“ Dabei gebe es unter den Berufsbeamten viele brillante Köpfe, doch zu viele Verantwortliche wie Johnson oder Gesundheitsminister Matt Hancock seien inkompetent. „Das Problem in dieser Krise war, dass immer wieder Löwen von Eseln geführt wurden.“
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Johnson verteidigte sich im Plenum des Unterhauses: „Wir haben in jeder Phase versucht, den Verlust von Menschenleben zu minimieren.“ Der Umgang mit der Pandemie sei „entsetzlich schwierig“. Johnson betonte: „Keine der Entscheidungen war einfach. Es ist für jede Region traumatisch, in einen Lockdown zu gehen.“
Im Übrigen muss er sich keine großen Sorgen wegen Cummings' Aussagen machen: Johnsons lockerer Umgang mit der Wahrheit hat ihm in der Vergangenheit nicht geschadet, bei Wahlen war seine Tory-Partei kürzlich erfolgreich, wegen einer gelungenen Impfkampagne sind Ansteckungszahlen drastisch zurückgegangen und viele Einschränkungen wurden zurückgenommen.