Habt ihr sie noch alle?

Bodo Ramelow kritisiert Pauschalurteile über Ossis, Joachim Gauck sieht „Rückbindung an Autoritäres“

Wie rechts ist der Osten? Seit zwei kommunalen Wahlerfolgen der AfD und den Höhenflügen der Partei in Umfragen wird das kontrovers diskutiert.

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Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) beklagt Pauschalurteile über Ostdeutsche.  (Archivfoto)
Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) beklagt Pauschalurteile über Ostdeutsche. (Archivfoto)Martin Schutt/dpa

Wie rechts ist der Osten? Seit zwei kommunalen Wahlerfolgen der AfD und den Höhenflügen der Partei in Umfragen wird das kontrovers diskutiert. Jetzt haben sich auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck in die Debatte eingeschaltet. Mit sehr unterschiedlichen Aussagen. 

Nach den jüngsten kommunalpolitischen Wahlerfolgen der AfD hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (67) beklagt, dass über Ostdeutsche Pauschalurteile gefällt würden. „Was wir gerade erleben, ist eine teilweise Verzerrung der Realität“, sagte Ramelow der Zeitung Thüringer Allgemeine. „Aus skandalisierender Berichterstattung und verkürzten Analysen entsteht die falsche Wahrnehmung, dass die 52 Prozent der Wähler, die im Kreis Sonneberg für einen AfD-Landrat gestimmt haben, alles Nazis sein müssten.“

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Die AfD erlebte in Umfragen zuletzt einen Höhenflug - derzeit steht sie bundesweit bei etwa 20 Prozent. In Thüringen waren die Werte höher. Dort wurde im Landkreis Sonneberg der AfD-Politiker Robert Sesselmann zum ersten AfD-Landrat Deutschlands gewählt. In Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt wurde ein AfD-Politiker zum hauptamtlichen Bürgermeister bestimmt.

Wer Nazis sucht, der findet sie auch

Ramelow sagte, es werde ausgeblendet, „welche sozialen und politischen Friktionen wir haben und was die AfD im Moment in ganz Deutschland hochtreibt“. Zugleich kritisierte Ramelow in dem Interview einen Teil der überregionalen Medien. „Wenn ich den ganzen Tag mit Kamerateams in Sonneberg und Umgebung unterwegs bin und nach Nazis suche, dann finde ich die auch“, sagte er. „Und wenn dann jemand sagt, ich will Adolf Hitler wiederhaben: Solche Deppen gab es immer. Und es gibt sie auch in Westdeutschland.“

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15 Millionen Menschen als undankbare Ossis diffamiert

Der Thüringer Regierungschef warf der AfD vor, allein auf negative Emotionen zu setzen. „Sie bündelt Ängste, Vorurteile und Aggressionen, was vor allem in Ostdeutschland funktioniert.“ Daraus resultiere "wiederum eine laute, medial extrem verstärkte Ablehnung durch Westdeutschland, die pauschal 15 Millionen Menschen als undankbare Ossis diffamiert - was dann wiederum von der AfD emotional genutzt wird. Diese Prozesse funktionieren wie eine selbsterfüllende Prophezeiung", sagte Ramelow. 

Der Linke-Politiker mahnte; „Wir müssen alle unsere Strategien und unseren Umgang miteinander überdenken. So höre ich in meiner Partei aus Westdeutschland Stimmen, die sagen, der Landkreis Sonneberg ist verloren. Man sollte jetzt als Nicht-Deutscher möglichst schnell Sonneberg verlassen. Da habe ich zurückgefragt: Habt ihr sie noch alle?

Dasselbe gilt nach Ansicht von Ramelow für die CDU. "Friedrich Merz hat gesagt, dass er die AfD halbieren wolle. Aber das Einzige, was wir erleben, ist doch, dass er gegen Sozialdemokraten, Linke und vor allem Grüne wettert. Und die Thüringer CDU noch viel stärker. Am Ende schadet sie damit allen Parteien außer der AfD, also auch sich selbst“, sagte der Linke-Politiker in dem Zeitungsinterview. 

Gauck sieht im Osten „sehr starke Rückbindung an Autoritäres“

Nach Einschätzung des früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck (83) hat die AfD keine Chance, in Deutschland  die Regierung zu stellen. „Diese Typen kommen bei uns nie an die Macht in Deutschland“, sagte der frühere Pastor in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. Auf Nachfrage sagte der parteilose Theologe: „Deutschland ist doppelt geimpft: Wir hatten eine braune Diktatur, eine rote. Und eine weitere wollen wir nicht. Also: Wir bleiben bei unserer relativ gut funktionierenden, liberalen Demokratie.“

Joachim Gauck, der ehemalige Bundespräsident bei einer Veranstaltung. (Archivfoto) 
Joachim Gauck, der ehemalige Bundespräsident bei einer Veranstaltung. (Archivfoto) imago

Zur starken Zustimmung für die rechte AfD, gerade in Ostdeutschland, sagte Gauck, unter den Ostdeutschen gebe es – auch wegen der gut 40 Jahre DDR-Vergangenheit – eine „sehr starke Rückbindung an Autoritäres“. Doch müsse sich die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft klarmachen: „Es sind keine Charaktermängel, die die Ossis da kollektiv haben.“ Denn natürlich gebe es auch im Westen Anhänger einer nationalpopulistischen Gesinnung, und Diktatur „können alle“.

Das ist der Grund für die Unterschiede zwischen Ossis und Wessis

Gauck fügte hinzu: „Wenn die Hessen und Bayern 44 Jahre draufgekriegt hätten auf die zwölf Jahre Nazi-Diktatur, dann wären sie heute auch eine andere Völkerschaft.“ Der Grund für die Unterschiede zwischen Ossis und Wessis, die nicht geleugnet werden sollten, sei: „Lange politische Ohnmacht bleibt nicht ohne Folgen.“ Gauck stammt selbst aus Rostock und war in der DDR Kirchenfunktionär.