Aus für Ostsee-Pipeline würde Milliarden kosten
Der Mordversuch am Kreml-Kritiker belastet die deutsch-russischen Beziehungen schwer. Das Projekt Nord Stream 2 steht wieder zur Diskussion - ein teures Druckmittel

Im Fall um den vergifteten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny schert Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einen harten Kurs gegen Russland, bietet Kreml-Chef Wladimir Putin die Stirn. Die Frage ist nur: Welchen Preis ist sie bereit zu zahlen? Ein Stopp des Pipeline-Projekts Nord Stream 2 könnte Deutschland teuer zu stehen kommen.
Die osteuropäischen Verbündeten kritisieren das Projekt scharf, die USA attackieren es sogar mit Sanktionen: Seit Jahren kämpft die Bundesregierung gegen massiven Widerstand für Nord Stream 2, die umstrittene Gas-Pipeline durch die Ostsee zwischen Russland und Deutschland. Nur noch gut 150 Kilometer der insgesamt 2360 Kilometer langen Stränge der Pipeline fehlen. Doch jetzt, kurz vor der Ziellinie, steht die Unterstützung der Bundesregierung wegen des Mordanschlags aus Alexej Nawalny auf der Kippe.
Die Forderungen nach einem Stopp des Projekts werden lauter - auch in Merkels eigener Partei. Zuletzt schlug Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz, einen zweijährigen Baustopp vor. Wie teuer käme Deutschland ein mögliches Aus fürs Mammut-Projekt zu stehen?

Wirtschaftliche Kosten: Milliarden-Investitionen versenkt Im Falle eines Baustopps müssten Investitionen - auch deutscher Unternehmen - in Höhe von 8 Milliarden Euro abgeschrieben werden, sagt Timm Kehler, Vorstand von Zukunft Erdgas, einer Initiative der deutschen Gaswirtschaft. Weiterhin müssten die bereits aufgelaufenen Kosten für die Anbindungspipelines von 4 Milliarden Euro von den Gaskunden gezahlt werden, ohne dass diese genutzt würden. Rund 120 Firmen aus zwölf europäischen Ländern seien direkt am Bau und Betrieb der Pipeline beteiligt.
„Ein Totalverlust beider Pipeline-Investitionen könnte für einzelne europäische Unternehmen zu Schäden in Milliardenhöhe führen und würde Arbeitsplätze vor allem in Ostdeutschland kosten“, sagt Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Und Timm Kehler ist sicher: „Bei einem Stopp werden die Gaspreise in der EU spürbar ansteigen, da das knappere Angebot die Preise nach oben treiben wird.“
Wirtschaftliche Nebenwirkung: Brückentechnologie ausgebremst Gas wird von der Bundesregierung als „Brückentechnologie“ gesehen. Denn bis Ende 2022 steigt Deutschland aus der Atomkraft aus und bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung, die ersten Blöcke gehen in den kommenden Jahren vom Netz. Der notwendige Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne aber stockt derzeit. Dazu kommt: Die Gasförderung in der EU ist rückläufig. Um den Bedarf zu decken, seien „zuverlässige, wirtschaftliche und nachhaltige zusätzliche“ Gaslieferungen erforderlich, argumentiert die Nord Stream 2 AG. Das sehen auch viele in der Koalition so.

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Politische Kosten: Ukraine-Verhandlungen auf der Kippe Ein Ausstieg aus Nord Stream 2 wäre aber auch eine Zäsur für die politischen Beziehungen zu Russland. Die Bundesregierung hat sich trotz aller Differenzen mit Präsident Putin bemüht, den Dialog aufrecht zu erhalten - nicht zuletzt wegen weiterer Gespräche über eine Lösung des Konflikts in der Ostukraine unter deutscher und französischer Vermittlung. Eigentlich ist in den nächsten Wochen ein Außenministertreffen in Paris geplant. Ob das nun wirklich stattfinden wird, ist sehr fraglich.
Politische Nebenwirkung: Streitthema mit USA abgeräumt Sollte die Bundesregierung Nord Stream 2 die Unterstützung entziehen, würde sie eines der Hauptstreitthemen mit den USA abräumen. US-Präsident Donald Trump attackiert die Pipeline mit Sanktionen - und es ist nicht davon auszugehen, dass sich das bei einer Wahl seines Kontrahenten Joe Biden zum Präsidenten ändern würde.