Das niedersächsische Atomkraftwerk Emsland bei Lingen soll Ende 2022 abgeschaltet werden.
Das niedersächsische Atomkraftwerk Emsland bei Lingen soll Ende 2022 abgeschaltet werden. dpa/Friso Gentsch

Der Vorschlag von Wirtschaftsminister Robert Habeck, zwei der drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke Ende des Jahres nicht stillzulegen, sondern als Reserve für die Stromversorgung im Winter vorzuhalten, hat nicht nur die Opposition aufgebracht. Auch die FDP stellt sich gegen den grünen Koalitionspartner.

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Habeck hatte erklärt, Isar 2 und Neckarwestheim sollten bis Mitte April 2023 noch zur Verfügung stehen, um nötigenfalls einen zusätzlichen Strom für Süddeutschland liefern zu können. Ein nunmehr zweiter Netz-Stresstest habe das Ergebnis gebracht, „dass stundenweise krisenhafte Situationen im Stromsystem im Winter 22/23 zwar sehr unwahrscheinlich sind, aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden können“, verlautete sein Ministerium.

Reservehaltung bedeutet, dass die Kraftwerke Isar 2 (Bayern) und Neckarwestheim (Baden-Württemberg) ohne neue Brennstäbe weiterlaufen. Das AKW Emsland dagegen soll wie geplant stillgelegt werden. Im ersten Quartal 2022 war der Anteil des Atomstroms auf rund 6 Prozent gefallen, nachdem Ende 2021 drei AKW stillgelegt worden waren.

FDP will durch Atomenergie die Strompreise begrenzen

Die FDP will alle drei  AKW am Markt halten, um über ein größeres Stromangebot die Preise zu drücken. „Es ist eine Frage der Vernunft, jetzt jede klimaneutrale Kilowattstunde zu ermöglichen. Denn die Gaskraftwerke treiben die Preise“, schrieb FDP-Vize Johannes Vogel. „Habecks Notreserve (...) erscheint auch als politischer Notausgang.“ Der „Notausgang“ ist der Ablehnung des Weiterbetriebs durch die grüne Partei geschuldet.

Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, nannte die Ergebnisse des Stresstests „wenig wert, denn die Annahmen sind zu optimistisch. Sie sind politisch bestimmt und nicht aus der Realität abgeleitet.“ 

CDU/CSU erwarten Gaskrise auch im Winter 2023/24

Bei der Union sieht man den Optimismus Habecks, was die Gasversorgung im kommenden Jahr angeht, skeptisch. „Das Problem dürfte nicht der kommende, sondern der darauffolgende Winter sein“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU).  Es spreche vieles dafür, dass es 2023 nicht gelingen werde, die Gasspeicher zu füllen. Vor diesem Hintergrund müssten zusätzliche Brennstäbe für die AKW  bestellt werden. Die Entscheidung von Habeck sei „ideologiegetrieben“.

Die Ökonomin Veronika Grimm plädierte für eine Verlängerung der Laufzeiten um fünf Jahre. Dies gelte auf jeden Fall für die drei Kraftwerke, die noch am Netz seien. Zudem müsse man prüfen, ob man auch weitere Atomkraftwerke wieder „an den Markt“ bringen könne. Grimm ist Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, den „Wirtschaftsweisen“.

Zuspruch für Habeck kam hingegen vom Koalitionspartner SPD. Fraktionsvize Matthias Miersch begrüßte das Stresstest-Ergebnis und Habecks Empfehlung als „gute Grundlage für faktenbasierte und sorgfältige Beratungen“. 

Neue russische Erklärungen für Gas-Lieferstopp

Unterdessen kamen aus Russland, das seine Gaslieferung durch die Ostsee eingestellt hat, neue Erklärungen dafür. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, eine wegen eines angeblichen Konstruktionsfehlers Öl verlierende Kompressor-Turbine der Pipeline Nord Stream I bedeute könne wegen der westlichen Sanktionen nicht repariert werden. Der Hersteller, Siemens Energy, widersprach: „Solche Leckagen beinträchtigen im Normalfall den Betrieb einer Turbine nicht und können vor Ort abgedichtet werden.“ Eine bereits reparierte Turbine lässt Russland nicht ins Land.