Streit um Enklave
Armenier in Berg-Karabach: Besser hungern als aufgeben
Der Konflikt um Berg-Karabach schwelt weiter. Seit Beginn einer Blockade durch Aserbaidschan werden Lebensmittel in der Region knapp.

Während Russlands Angriffskrieg in der Ukraine weiter die Welt in Atem hält, ist es um den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach still geworden. Dabei schwelt er weiter, allerdings derzeit meist ohne Waffen.
Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die hauptsächlich von Armeniern bewohnte Enklave. Es gab bereits zwei Kriege um das Gebiet mit Tausenden Toten. Nach sechswöchigen Kämpfen mit allein 6500 Toten im Jahr 2020 hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang.
Aserbaidschan blockiert Zufahrt durch den Latschin-Korridor
Aserbaidschan blockiert nun schon seit Wochen die Durchfahrt von Armenien in die größtenteils von Armeniern bewohnte Region, die völkerrechtlich jedoch zu Aserbaidschan gehört. Baku hat seit Mitte Juli den Latschin-Korridor gesperrt – die einzige Verbindung zwischen Berg-Karabach und der Republik Armenien.
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Baku will nur aserbaidschanische Güter in die Region lassen und den Zugang zu Armenien größtenteils abriegeln. So hoffen die Aserbaidschaner, die Kontrolle über die restlichen Gebiete in Berg-Karabach zurückzuerhalten. Für eine Region, deren Einwohner nahezu vollständig armenisch sind und wo praktisch jeder Einwohner Verwandte in der Republik Armenien hat, ist das bisher undenkbar.

Die Rhetorik ist auf beiden Seiten unerbittlich
Die Rhetorik auf beiden Seiten ist dabei unerbittlich. „Der ehemalige ‚Latschin-Korridor‘ wurde als Tor für Separatismus und Besatzung missbraucht“, schrieb Vasif Huseynov, Analyst beim staatlichen aserbaidschanischen Think Tank Center for Analysis of International Relations, auf Twitter. „Für diejenigen, die humanitäre Fracht in die Region liefern wollen, ist die Agdam-Khankandi-Straße geöffnet.“
Die ethnischen Armenier in Berg-Karabach blockieren ihrerseits diese Route zur Versorgung aus anderen Teilen Aserbaidschans. „Was würden Sie tun, wenn ein Terrorist Ihnen den Zugang zu einer Wasserquelle in der Wüste versperrt, Sie eine Zeit lang foltert und Ihnen dann seinen Urin zum Trinken anbietet?“ schrieb Artak Beglaryan, ein Berater der nicht anerkannten Regierung von Berg-Karabach, auf Twitter. Die Armenier fürchten, dass eine Akzeptanz einer aserbaidschanischen Herrschaft der erste Schritt auf dem Weg zu einer ethnischen Säuberung der Region durch die Aserbaidschaner wäre.

Kaum noch Nahrungsmittel in Berg-Karabach
Berichte aus Berg-Karabach zeugen von der schwierigen Lage für die Menschen dort. Die Regale in den Supermärkten sind restlos leer. „Es ist schwer, einem Achtjährigen zu erklären, dass es nur Bohnen gibt und dass er Bohnen essen muss“, so Anna Grigorian, eine Bewohnerin, in einem Interview mit Radio Free Europe. Selbst Brot und andere Grundnahrungsmittel werden streng rationiert. „Der Zivilbevölkerung mangelt es derzeit an lebensrettenden Medikamenten und lebenswichtigen Gütern wie Hygieneprodukten und Babynahrung“, erklärte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in einer Erklärung vom 25. Juli. „Obst, Gemüse und Brot werden immer knapper und teurer, während andere Lebensmittel wie Milchprodukte, Sonnenblumenöl, Müsli, Fisch und Hühnchen nicht verfügbar sind.“
Grand Candy (the largest manufacturer of confectionery products in #Armenia) sent 2 trucks with sweets to #Artsakh.
— David Galstyan (@Aeternum7) August 2, 2023
They reacted to the words of a girl from Artsakh, who says they don't even have one candy left.
"We hope that they will reach the children".#NagornoKarabakh pic.twitter.com/PsVBokNstK
In einem herzzerreißenden Video lokaler Medien aus dieser Woche läuft ein kleines Mädchen aus Berg-Karabach durch die leeren Märkte der Hauptstadt der Region, Stepanakert, und beklagt fehlende Süßigkeiten. Als Reaktion schickte ein Süßwarenhersteller aus Armenien zwei Lkw mit gratis Süßigkeiten für die Kinder in Berg-Karabach. Sie sollen sich einer humanitären Lieferung des Roten Kreuzes aus Armenien anschließen. Ob diese die Region erreichen werden, ist ungewiss.
A man riding his horse through the half lighted central street in Stepanakert. Made this video last evening. Life has changed completely here since NK blocked. pic.twitter.com/VZnCxRg9ee
— Marut Vanyan (@marutvanian) August 2, 2023
Stepanakert wird zur „Hauptstadt der Cowboys“
Auch Treibstoff und andere wichtige Rohstoffe werden nicht in das abgeriegelte Bergkarabach durchgelassen. Der öffentliche Nahverkehr wurde stark heruntergefahren. Die Bewohner nutzen deshalb wieder häufiger Pferde und andere Tiere als Transportmittel. In sozialen Netzwerken nennen sie Stepanakert daher scherzhaft auch „Hauptstadt der Cowboys“.
Lediglich medizinische Evakuierungen gestatteten die Aserbaidschaner, bis sie einen der Patienten in Gewahrsam nahmen, weil er Kriegsverbrechen im Krieg zwischen Armenien und Berg-Karabach beschuldigt wird. Die Armenier bestreiten, dass es sich überhaupt um die gesuchte Person handelt.

Auch Olaf Scholz hat versucht zu vermitteln
Ob das rigorose Vorgehen der Aserbaidschaner zum Erfolg führt, ist noch nicht abzusehen. Derzeit halten sich sowohl die Europäische Union wie auch Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens mit Kritik an Aserbaidschan zurück. Einige EU-Staaten kaufen seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vermehrt Gas in Baku ein. Russland hingegen ist mit dem Krieg in der Ukraine schon überfordert und kann derzeit Armenien trotz eines Waffenbündnisses kaum unterstützen.
Immerhin: Aserbaidschan und Armenien führen immer wieder Friedensgespräche unter EU-Vermittlung. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz nahm daran schon teil. Beim letzten Treffen des armenischen Regierungschefs Nikol Paschinjan und des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew in Brüssel habe es einen „offenen, ehrlichen und substanziellen“ Austausch gegeben, teilte EU-Ratspräsident Charles Michel Mitte Juli mit. Er habe beide Seiten ermutigt, „mutige Schritte zu unternehmen, um entschiedene und unumkehrbare Fortschritte auf dem Weg zur Normalisierung sicherzustellen“, so Michel. Doch greifbare Ergebnisse brachten die Gespräche bisher nicht.