Vor der Küste Dänemarks sprudelt Gas in die Ostsee.
Vor der Küste Dänemarks sprudelt Gas in die Ostsee. AP/Armed Forces of Denmark

Drei riesige Lecks klaffen in den Röhren von Nord Stream 2 und in beiden Röhren der Nord-Stream-1-Pipeline, Gas sprudelt ungebremst in die Ostsee. Die Europäische Union hält Sabotage als Ursache für wahrscheinlich – und droht mit Gegenmaßnahmen. „Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch im Namen der 27 Mitgliedstaaten. Jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur sei völlig inakzeptabel und werde „mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet werden“.

Nach einem ersten Druckabfall in der Nacht zum Montag waren die Lecks entdeckt worden. Der dänische Klima- und Energieminister Dan Jørgensen bestätigte von Geologen, dass es am Montag zunächst um 2.03 Uhr eine Explosion an Nord Stream 2 südöstlich von Bornholm gegeben habe sowie um 19.03 Uhr eine weitere an Nord Stream 1 nordöstlich von der Insel entfernt.

Legten Kampftaucher die Sprengsätze?

Die Gasleitungen lägen in einer Wassertiefe von 70 bis 80 Metern und bestünden aus Stahl und Beton. Die Größe der Lecks deute darauf hin, dass es sich nicht um ein Unglück etwa mit einem Schiffsanker handeln könne.

Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 in Lubmin.
Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 in Lubmin. dpa/Stefan Sauer

Wie die Anschläge auf die Pipelines abliefen, können Experten nur mutmaßen. Einerseits könnten Kampftaucher Sprengsätze auf den Pipelines platziert haben. „Technisch gesehen ist das nicht schwierig. Es erfordert nur ein Boot und einige Taucher“, so Anders Puck Nielsen, Forscher des Royal Danish Defense College in Kopenhagen.

Drei Lecks waren an den Pipelines entdeckt worden.
Drei Lecks waren an den Pipelines entdeckt worden. Grafik: Kraska; Quelle: Nord Stream 2, Dänische Seeschifffahrtsbehörde, dpa

Wurden Unterwasserdrohnen auf die Pipelines angesetzt?

Oder die Sprengsätze wurden mithilfe von ferngesteuerten Unterwasserdrohnen in Stellung gebracht. „Sie steigen ab und orten ganz genau, wo sich die Leitungen befinden“, so Kenneth Øhlenschlæger Buhl vom Department of Strategy and War Science an der Norwegian Defence Academy. Auch hier wäre es denkbar, dass das explosive Material schon vor Tagen oder sogar Wochen platziert wurde.

Zufall oder Absicht – die Europäische Union hat ihre Schlüsse gezogen. Bereits am Dienstag war in Polen, Schweden, Dänemark und Russland ein Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden an beiden Pipelines als für denkbar gehalten worden. Auch aus Sicht deutscher Sicherheitskreise sprach vieles für Sabotage. Und sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des Aufwands nur ein staatlicher Akteur infrage kommen, hieß es.

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Russland oder die USA Drahtzieher der Anschläge?

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hält dabei Russland für den Drahtzieher. Aus sicherheitspolitischer Perspektive diene ein solcher Sabotageakt der Abschreckung und Bedrohung. „Es ist deshalb wahrscheinlich, dass Russland auf diese Weise versucht, einerseits Verunsicherung in der europäischen Bevölkerung zu schüren und anderseits auf staatlicher Ebene ein weiteres Mal auf die Bedrohungsmöglichkeit durch den Angriff auf kritische Infrastruktur hinweist“, sagte Kiesewetter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Dass die Nord-Stream-Pipelines als Werkzeug und Energie als Waffe gegen Deutschland eingesetzt würden, habe Russland bereits in der Vergangenheit gezeigt, sagte der CDU-Politiker. „Deshalb würde ein solcher Sabotageakt auch zu der von Staatsterrorismus geprägten und hybriden Vorgehensweise Russlands passen.“

Polens früherer Verteidigungs- und Außenminister Radosław Tomasz Sikorski bedankte sich hingegen bei den USA für die zerstörten Pipelines. Unter ein Foto von einem der drei Gaslecks schrieb er bei Twitter: „Thank you, USA“ (Danke, USA).

In einem weiteren Tweet bezeichnete er die Lecks dann als „special maintenance operation“ (spezielle Wartungsoperation) in Anspielung auf Russlands Krieg in der Ukraine, den die Russen als „spezielle Militäroperation“ bezeichnen. Bisher ist noch unklar, ob Sikorski nur einen Witz machen wollte oder tatsächlich die USA beschuldigt. Sikorski gilt als Transatlantiker.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht mit Sanktionen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht mit Sanktionen. dpa/Virginia Mayo

Zuvor hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den möglichen Tätern mit härtesten Konsequenzen gedroht. „Jede vorsätzliche Störung der aktiven europäischen Energieinfrastruktur ist inakzeptabel und wird zu der schärfsten möglichen Antwort führen“, drohte von der Leyen mit Sanktionen. Man werde jede Untersuchung unterstützen, die darauf abziele, Klarheit über die Vorgänge zu erlangen, kündigte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell an. Zudem werde man Schritte unternehmen, um die Energiesicherheit robuster zu machen.