Kniefall von Willy Brandt in Warschau

50 Jahre Abbitte für deutsche Schuld

Der Kniefall des damaligen Kanzlers gilt bis heute als einzigartiges Symbol des Versöhnungsprozesses nach dem Zweiten Weltkrieg. 50 Jahre danach wird die historische Geste umfassend gewürdigt.

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Bundeskanzler Willy Brandt 1970 vor dem historischen Kniefall in Warschau 1970.
Bundeskanzler Willy Brandt 1970 vor dem historischen Kniefall in Warschau 1970.imago images/Sven Simon

In den vergangenen Jahrzehnten haben etliche Bundespräsidenten, Kanzler und deutsche Außenminister um Vergebung für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg gebeten. Eine Geste jedoch stellt alles in den Schatten, was je über die deutsche Schuld und die Sühne für die Nazi-Gräuel gesagt wurde: Am 7. Dezember 1970 fiel der damalige Kanzler Willy Brandt am Denkmal für die Helden des jüdischen Ghettos in Warschau auf die Knie, um der Millionen Opfer der Hitler-Diktatur zu gedenken.

Kanzler Willy Brandt kniet am 7. Dezember 1970 vor dem Mahnmal im einstigen jüdischen Ghetto in Warschau, das den Helden des Ghetto-Aufstandes vom April 1943 gewidmet ist. 
Kanzler Willy Brandt kniet am 7. Dezember 1970 vor dem Mahnmal im einstigen jüdischen Ghetto in Warschau, das den Helden des Ghetto-Aufstandes vom April 1943 gewidmet ist. dpa

Das Bild wurde zu einer Ikone der Nachkriegszeit, zum bis heute stärksten Symbol des Versöhnungsprozesses zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Kriegsgegnern. Es ist in Geschichtsbüchern weit über Deutschland und Polen hinaus zu finden. An diesem Montag jährt sich der Kniefall zum 50. Mal. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird an das historische Ereignis mit einer Rede erinnern.

Brandts Kniefall war nicht geplant

Heute steht in der Nähe des Denkmals, vor dem Brandt einst kniete, der futuristische grüne Bau des Museums der Geschichte der polnischen Juden. 1970 war der Platz um das Denkmal groß und leer, an manchen Stellen noch gesäumt von Kriegsruinen.

Eine Tafel erinnert an Brandts Kniefall vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos.
Eine Tafel erinnert an Brandts Kniefall vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos.imago images/IPON

Von der Geste wurden damals selbst die engsten Berater Brandts überrascht. Egon Bahr, damals Staatssekretär im Kanzleramt, verpasste den Kniefall, obwohl er nur wenige Meter entfernt stand. Er sei erst darauf aufmerksam geworden, als es plötzlich still wurde und jemand flüsterte: „Er kniet“, erzählte Bahr später.

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Brandt selbst hat stets beteuert, dass die Geste spontan war. „Ich hatte nichts geplant, aber Schloss Wilanow, wo ich untergebracht war, in dem Gefühl verlassen, die Besonderheit des Gedenkens am Ghetto-Monument zum Ausdruck bringen zu müssen“, schrieb er in seinen Erinnerungen. „Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“

Polen ignorierte zunächst die Versöhnungsgeste

In Polen entfaltete die Geste allerdings zunächst kaum Wirkung. Das lag auch daran, dass die Staatsmedien sie ignorierten. In Zeitungen wurde das Bild später oft so geschnitten, dass man nicht sehen kann, ob der Kanzler steht oder kniet.

„Brandts Geste kam der kommunistischen Führung nicht gelegen“, erklärt der Historiker Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy-Brandt-Zentrums der Universität Wroclaw (Breslau). Seit Kriegsende hätten die Kommunisten den Polen beigebracht, dass die bösen Deutschen im Westen seien – diese Propaganda habe man nicht von einem Tag auf den anderen umstellen können.

Die Geste stand damals im Zusammenhang mit dem Vertrag über eine Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen, der am selben Tag unterzeichnet wurde. Darin erkannte Deutschland die Oder-Neiße-Linie faktisch als Westgrenze Polens an – und verzichtete damit auf ein Drittel des deutschen Territoriums vor dem Krieg zugunsten Polens.

Unter anderem deswegen traf der Kniefall Brandts damals in Deutschland nicht nur auf Zustimmung. Die Entspannungspolitik Willy Brandts gegenüber Moskau, der DDR und den Staaten des Warschauer Pakts spaltete das Land. Heute besteht eine deutlich größere Einigkeit in Deutschland über die Bedeutung des Kniefalls für die deutsche Nachkriegsgeschichte. Abgeschlossen ist dieser Versöhnungsprozess allerdings noch immer nicht. Die rechtskonservative polnische Regierungspartei PiS hat mehrfach die Frage der Reparationen für Kriegsschäden wieder aufgegriffen. Der PiS-Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk nennt Brandts Versöhnungsgeste deshalb lediglich als „Augenwischerei“ und fragt: „Was ist das für eine Entschuldigung, was für eine Buße für die Verbrechen, wenn darauf keine Wiedergutmachung gegenüber Polen folgt?“