Ein Jahr Kampf gegen Corona: Der Mann, der ein Kraftwerk vom Küchentisch aus überwachte
Vor einem Jahr kontrollierte Nico Wittlief im Homeoffice ein Heizkraftwerk, unterrichtete parallel seine Kinder. Nun ist er zurück in der Schaltzentrale.

Er ist wieder in seinem Revier. Weißer Bauhelm auf dem Kopf, Schutzmaske vor Mund und Nase: Nico Wittlief betritt im Blaumann sein Arbeitsreich, einen lichtdurchfluteten Raum mit vielen Computerbildschirmen. Was auf diesen zu sehen ist, würde manchen aus der Ruhe bringen. Nicht aber Wittlief, der, wenn sein Dienst begonnen hat, konzentriert auf ein Wirrwarr von Kästchen und Tabellen mit vielen Zahlen blickt. „Solange alles grün aufleuchtet und die Zahlenwerte stimmen, ist die Welt in Ordnung“, sagt Wittlief. Auch für ihn scheint die Welt fast in Ordnung zu sein, trotz Corona und all den mit der Pandemie verbundenen Widrigkeiten. Er ist endlich an dem Platz, an den er gehört.
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Wittlief, 34 Jahre alt, verheiratet, vier Kinder, ist der Leiter des Instandhaltungsteams des Heizkraftwerks des Berliner Energieversorgers BTB GmbH in Adlershof. Der Raum, in dem er sitzt, ist die Schaltzentrale, von der aus er vier gasbetriebene Motoren, eine Turbine und mehrere Kessel mit 100 Grad Celsius heißem Wasser überwacht. In einem mehr als 140 Kilometer langen Verbundnetz mit zwei weiteren Heizkraftwerken sorgen sie dafür, dass über 30.000 Haushalte, Schulen und Krankenhäuser in Treptow, Köpenick und Neukölln mit Fernwärme versorgt werden. An die Unternehmen der benachbarten Wissenschaftsstadt Adlershof wird auch Strom geliefert.
Die Corona-Herausforderung: Das Unmögliche möglich machen
Eigentlich müssen Wittlief, der Team-Leiter, und seine sieben Mitarbeiter, die die Kraftwerksanlagen nicht nur überwachen, sondern auch warten, stets vor Ort sein. Sollte nämlich eines der Kästchen auf den Computer-Bildschirmen, die zum Beispiel Kessel oder Motoren symbolisieren, auf Gelb oder Rot springen, müssen Wittlief und Kollegen sofort in die Kraftwerkshallen, um den Fehler zu beheben.
Vor Corona hätten Wittlief und die Frauen und Männer in seinem Team es nicht für möglich gehalten, dass sie eines Tages von zu Hause aus dafür sorgen würden, dass die Berliner sicher Wärme und Strom bekommen. „Vielleicht ist es das einzig Positive an der Pandemie: dass sie uns im Alltag zwingt, plötzlich das scheinbar Unmögliche möglich zu machen“, sagt Wittlief.
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Vor einem Jahr haben wir Wittlief nicht in seiner Schaltzentrale, sondern im Homeoffice in seiner Charlottenburger Wohnung besucht. Damals saß er am Küchentisch, via Laptop überwachte er das Adlershofer Heizkraftwerk. Per Internet stand die Verbindung zur Schaltzentrale. „Um die Ansteckungsgefahr zu mindern, wurde unser Team aufgeteilt, wir waren abwechselnd im Werk oder im Homeoffice“, sagt Wittlief. Drei Tage in der Woche machte er von zu Hause aus seinen Job.
Es funktionierte. Mit dem Handy stand er mit den Kollegen im Werk in Kontakt. Blinkte ein Kästchen auf dem Bildschirm des Laptops gelb oder sogar rot auf, griff Wittlief vom Küchentisch aus ein. „Einmal fiel das Notstromaggregat aus“, erinnert er sich. „Von daheim organisierte ich neue Batterien, die die Kollegen vor Ort einbauten.“ Wenn richtig Not am Mann war, musste der Chef schnell ins Werk. „Das passierte, als ein größerer Schaden an einem Dampfkessel repariert werden musste.“

Foto: camcop media/Andreas Klug
Die größte Herausforderung dabei: Wittlief war nicht allein am Küchentisch, seine vier Kinder saßen neben ihm, packten Bücher, Papier und Schreibzeug aus, wenn wegen Corona Kita und Schule geschlossen blieben. Dann wurde der Kraftwerksteamchef auch noch zum Kindergärtner für die damals dreijährige Tochter Lina. Und zum Lehrer für Lia, 6, Lennon, 8, und Lana, 10, denen er half, Mathe- oder Deutsch-Aufgaben zu lösen. „Meine Frau Claudia konnte damals nicht so oft ins Homeoffice“, sagt Wittlief. „Daher war ich froh, dass es bei mir klappte.“
Beruf und Kinderbetreuung unter einem Hut zu bringen, war durchaus eine Herausforderung. „Plötzlich muss man Situationen bewältigen, die es im normalen Arbeitsalltag nicht gibt“, sagt Wittlief. „So saß ich in einer Telefonkonferenz, als plötzlich die Jüngste, die auf der Toilette war, rief und ich ihr den Po abwischen musste, während ich am Handy weiter wichtige Arbeitsdinge besprach.“
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So war die Situation vor einem Jahr. „Damals hoffte ich, dass Corona in paar Monaten vorbei ist“, sagt Wittlief. In der Tat konnte er im Sommer wieder ins Kraftwerk. Im Winter verschärfte sich mit dem zweiten Lockdown die Lage erneut. Wittlief musste zurück ins Homeoffice, an den Küchentisch.
Auch die Kinder waren wieder dabei, da die Schulen erneut schlossen und die Kitas auf Notbetreuung umstellten. Obwohl Wittliefs Job systemrelevant ist, nahm er die Jüngste aus dem Kindergarten. „Lina wäre dort das einzige Kind in der Notbetreuung gewesen, also blieb sie zu Hause“, sagt Wittlief. „Zum Glück kann nun auch meine Frau mehr im Homeoffice sein oder sich bei nötiger Büropräsenz ihre Arbeitszeit so einteilen, dass wir uns bei der Kinderbetreuung abwechseln.“

Seit einigen Wochen können die Kinder wieder in die Schule und in die Kita – und Wittlief wieder zurück in das Heizkraftwerk. Aufgrund der aktuellen Pandemiebestimmungen gilt: „Einmal in der Woche bin ich daheim.“ Wittlief ist froh darüber, wieder die meiste Zeit im Schaltraum arbeiten zu können. „Das gibt mir in diesen Zeiten ein Stück Normalität zurück.“ Und doch: Homeoffice und die strenge Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln im Kraftwerk hätten sich sich bewährt, sagt Wittlief. „In unserem Team gab es noch keinen Corona-Fall.“