Nach Schmuggel oder wegen falscher Haltung
Die letzte Rettung: Hier finden leidende Schildkröten ein Asyl
Der Hang zu exotischen Tieren lässt in Deutschland den Wildtierhandel boomen. Streng geschützte Arten werden nach Schmuggel oder falscher Haltung beschlagnahmt und möglichst artgerecht untergebracht. Susanne Altvater hat sich auf Landschildkröten spezialisiert.

Susanne Altvater hebt eine Maurische Landschildkröte hoch. „Die kam vor fünf Jahren per Schiff von Nordafrika nach Europa. Gemeinsam mit weiteren Artgenossen wurde sie dann von Frankreich per Auto nach Deutschland gebracht“, erzählt die 50-jährige Umweltjuristin aus Kruge (Märkisch-Oderland). Der Schmuggel flog damals auf, die exotische, da hier nicht heimische Art fand Asyl bei Altvater.
Sie sei vor Jahren vom Brandenburger Landesumweltamt gefragt worden, ob sie den heimischen Garten zu einer Auffangstation für exotische Landschildkröten machen könnte. Die Tiere würden in ihren Heimatländern in der Natur gefangen, um sie andernorts zu Geld zu machen, sagt die gebürtige Bayerin. Damals hatte sie sich bereits einen Namen als Expertin für diese Reptilien gemacht, deren Ausstrahlung und Gelassenheit sie fasziniert.
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Aktuell leben in den großzügigen, mit Steinmauern eingefassten Anlagen in Altvaters Garten 35 Griechische, 9 Maurische Landschildkröten sowie 10 aus Nordosteuropa stammende Steppenschildkröten. Die meisten Exemplare waren zuvor von Behörden wie Landesumweltamt oder Zoll beschlagnahmt worden.
Schildkröten bekommen bei Susanne Altvater Asyl
„Wenn ich verletzte oder geschwächte Tiere aufpäppele, entwickele ich automatische eine starke Bindung zu ihnen. Und die erkennen mich auch, sobald ich mich ihnen nähere“, erzählt Altvater, die an mehreren Gartenteichen selbst Europäische Sumpfschildkröten züchtet, die einzige in Deutschland heimische Art, die allerdings in freier Natur kaum noch vorkommt.
Auf die Schildkröte kam sie einst durch ihren Mann, der als Kind winzige Griechische Landschildkröten geschenkt bekommen hatte, klein und handlich. „Das ist ja ein Umstand, den sich viele Leute beim Kauf nicht bewusst machen: Schildkröten können sehr alt werden, 60 bis 80 Jahre sind keine Seltenheit. Und sie wachsen“, sagt Altvater. Wer aber kümmere sich um die Tiere, wenn die einst damit beschenkten Kinder längst aus dem Haus sind?

Häufig in Deutschland in freier Natur gefundene Arten seien die aus Nordamerika stammenden Schmuckschildkröten, die es regulär im Zoohandel zu kaufen gibt. „Die einstigen Besitzer haben sie einfach ausgesetzt“, sagt die Expertin aus Kruge.
Diese Tendenz kann auch Christiane Schröder, Geschäftsführerin des Brandenburger Naturschutzbundes (NABU), bestätigen. „Das betrifft auch andere exotische Arten, nicht nur Schildkröten. Die mit zweieinhalb Metern viel zu groß gewordene Schlange wird auf diese Weise ebenso entsorgt wie der sich stark vermehrende gemeine Sonnenbarsch, der in unseren heimischen Gewässern im Nu die Brut von Fischen und Amphibien frisst“, macht sie deutlich.
Corona als Problem auch für Schildkröten
Die Corona-Pandemie habe das Problem noch verschärft, sagt Schröder. „Aus lauter Langeweile haben sich viele ein Tier angeschafft. Die sozialen Medien fördern dabei den Hang zum Exotischen, denn man will ja auffallen“, erklärt sie und befürchtet, dass noch mehr dieser nicht heimischen Tiere in der Natur landen, sobald die Urlaubszeit anbricht oder das Homeoffice vorbei ist.
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Die Deutschen seien in Europa ganz vorn mit dabei, was den Kauf von Wildtieren betrifft, meint Umweltjuristin Altvater. Ob dieser Handel illegal sei oder nicht, spiele für potentielle Käufer meist keine Rolle. Ein paar Klicks und die Lieferung komme frei Haus. „Finger weg vom Internetkauf“, warnt die Schildkröten-Expertin. „Zuchtpapiere sind leicht zu fälschen. Der Kunde erfährt nicht wirklich, wie und wo die Tiere aufgewachsen sind.“

Das Thema Tierschutz müsste bereits in der Schule wichtiger Bestandteil des Unterrichts sein, glaubt Altvater, Abgeordnete von Bündnis 90/die Grünen im Kreistag Märkisch Oderland. Sie sieht aber auch die Politik in der Pflicht. „Wir haben eigentlich genügend Gesetze, die illegalen Handel oder teils verbotene Haltung exotischer Tiere ohne entsprechendes Zertifikat unterbinden. Es fehlt an Durchsetzung und Kontrolle“, meint sie.
Schildkröten sind Schmuggelware
Das Landesamt für Umwelt (LfU) stellte nach eigenen Angaben im Durchschnitt der letzten zehn Jahre pro Jahr etwa 2500 Bescheinigungen für geschützte, meldepflichtige Arten aus, bei denen die Herkunft geprüft ist. Etwa 8000 Halter solcher Arten seien im Landesamt für Brandenburg registriert. „Das Problem ist, dass zahlreiche geschützte Arten und eben die nicht geschützten Wildtierarten nicht meldepflichtig sind und damit von den Behörden - abgesehen von solchen Studien - nicht erfasst werden“, erläuterte LfU-Referent Thomas Frey. „Der Internethandel hat hier sicher insgesamt deutlich zugenommen.“ Das gelte insbesondere für kleinere Arten, die teilweise mit der Post versandt werden.
Häufig werden die zu schmuggelnden Tiere per Flugzeug nach Deutschland gebracht, sagt Andreas Graf, Sprecher des Potsdamer Hauptzollamtes, in dessen Zuständigkeit der Flughafen Berlin-Brandenburg liegt. „Drei lebende Maurische Landschildkröten beschlagnahmten wir dort 2019, außerdem eine Boa, einen Graupapagei und einen Grünwangen-Rotschwanzsittich“, sagt er. Im vergangenen Jahr sei der Flugverkehr aufgrund der Corona-Pandemie stark zurück gegangen, Zöllner hätten keine lebenden, geschmuggelten Tiere gefunden, deren Einfuhr laut Washingtoner Artenschutzabkommen verboten ist.

Auch der Zoll kooperiere mit Auffangstationen – entweder in Zoos oder bei qualifizierten Züchtern, wo eine artgerechte und fachmännische Unterbringung sicher ist, sagt Graf. Die beschlagnahmten Tiere würden allerdings Eigentum des Bundes bleiben. „Sie werden in Plastikrohren versteckt, verschnürt und verpackt, können sich während der oftmals langen Reise nicht bewegen“, erklärt Altvater, deren meiste Reptilien-Schützlinge aus aufgedeckten Schmuggel-Fällen in Schönefeld stammen. Nicht alle Exemplare hätten überlebt. Die Tiere würde es zwar lange ohne Wasser und Nahrung aushalten. „Sie sind dann aber völlig ausgetrocknet und geschwächt.“