Jacqueline aus Straßburg, die in Berlin studiert, zog ein helles Kleid für 20 Euro an Land.
Jacqueline aus Straßburg, die in Berlin studiert, zog ein helles Kleid für 20 Euro an Land. Berliner KURIER/Markus Wächter

Ein schickes Kleid für festliche Anlässe für 20 Euro, das war das Richtige für das schmale Budget der Studentin Jacqueline, auch wenn es einen Fleck hat: „Das bekommt man weg!“ Die junge Französin zählte zu den Hunderten von Menschen, die am Sonntag (und deutlich vor dem offiziellen Beginn um 12 Uhr) zum großen Fundus-Verkauf der Komödie am Kurfürstendamm im Schiller-Theater strömten, um Schnäppchen zu schlagen.

Komödie am Kurfürstendamm, der Wanderzirkus wider Willen

Theater-Chef Martin Woelffer und seine Mitstreiter hatten nicht wirklich freiwillig dazu eingeladen. Der Flohmarkt war die Konsequenz aus dem Schicksal, das der Bühne übel mitspielt, sie wider Willen zu einer Art Wanderzirkus machte.

Trotz glühender Hitze kamen Hunderte über Mittag zum Schiller-Theater, aus dem die Komödie am Kurfürstendamm wieder ausziehen muss.
Trotz glühender Hitze kamen Hunderte über Mittag zum Schiller-Theater, aus dem die Komödie am Kurfürstendamm wieder ausziehen muss. Berliner Zeitung/Markus Wächter

Mitte 2018 musste sie aus seinem Räumen am Kudamm-Karree raus und ins Schiller-Theater als Notlösung rein, weil der Stammsitz mit den beiden Bühnen Komödie beziehungsweise Theater am Kurfürstendamm abgerissen wurde.

Marion Kracht gab mit rotem Filzstift Autogramme in Serie, zum Beispiel für ihre Fans Beatrix Drexler und Thorsten Scheibe.
Marion Kracht gab mit rotem Filzstift Autogramme in Serie, zum Beispiel für ihre Fans Beatrix Drexler und Thorsten Scheibe. Berliner KURiER/Markus Wächter

Es gelang dann zwar, den Bauherren dort wenigstens eine neue Bühne abzutrotzen. Thorsten Scheibe, der sich mit seiner gleichfalls theaterbegeisterten Partnerin Beatrix Drexler gerade ein Autogramm von Marion Kracht abgeholt hatte, weiß jedoch um den Stand der Dinge: „Wie immer in Berlin, es dauert.“

Ende 2022 ist für die Komödie am Kurfürstendamm im Ausweichquartier Schiller-Theater Schluss

Vielleicht 2025 wird die neue Bühne fertig, aber die Komödie muss Ende 2022 aus dem Schiller-Theater raus, weil die Komische Oper rein soll: Ihr Haus wird saniert.

Marie mit Gebirgslandschaft: Das 5-Euro-Werk wird ihr  Schlafzimmer zieren.
Marie mit Gebirgslandschaft: Das 5-Euro-Werk wird ihr Schlafzimmer zieren. Berliner KURIER/Markus Wächter

Woelffer ist zwar guter Hoffnung, dass die Verhandlungen zu einem guten Ende führen und die Komödie am Potsdamer Platz weiter spielen kann, aber weder er noch der Senat oder der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf haben Räume für den Fundus gefunden.

Kiste auf, und schon gab’s Gedränge wie am Grabbeltisch im  Schlussverkauf.
Kiste auf, und schon gab’s Gedränge wie am Grabbeltisch im Schlussverkauf. Berliner KURIER/Markus Wächter

Requisiten der Komödie am Kurfürstendamm gingen weg wie warme Semmeln

Also wurde entrümpelt: Hunderte von Kleidern und Sakkos, Blusen, Hemden, Mäntel, Tücher, englische Bühnenscheinwerfer in British Racing Green aus den 1950er-Jahren, ästhetisch herausfordernde Steh- und Deckenlampen, eine tätowierte männliche Schaufensterpuppe, ein Ghetto-Blaster und ein uraltes Röhrenradio, ein Bündel mit fünf Eishockey-Schlägern, eine Riesen-Hantel aus Styropor oder ein schwarzes Bakelit-Telefon mit Wählscheibe.

Uff: Thomas aus Oberkrämer hatte an der silberfarbenen Bühnen-Bulldogge zu schleppen.
Uff: Thomas aus Oberkrämer hatte an der silberfarbenen Bühnen-Bulldogge zu schleppen. Berliner KURIER/Markus Wächter

Thomas aus dem brandenburgischen Oberkrämer schleppte eine gewaltige, silberfarbene  Kunststoff-Bulldogge weg, beschädigt und 25 Euro billig, die er vor sein Haus stellen wird.

Marie aus Steglitz erbeutete blitzverliebt das 5-Euro-Gemälde einer Gebirgslandschaft: „Das kommt in mein Schlafzimmer.“

Der tätowierte Nackedei aus dem Komödie-Fundus reiste im Oldtimer-Kabrio ab.
Der tätowierte Nackedei aus dem Komödie-Fundus reiste im Oldtimer-Kabrio ab. Berliner KURIER/Markus Wächter

Julia und Nico aus Hamburg, zum Seeed-Konzert nach Berlin gekommen, machten in glühender Mittagshitze Anprobe: Sie wurschtelte sich in eine karierte Stoffhose, er in ein Nadelstreifen-Sakko – zu groß, aber mit Einstecktuch.

Wow, mit Einstecktuch: Julia ist angetan vom Accessoire des Nadelstreifen-Sakkos, das Nico anprobierte.
Wow, mit Einstecktuch: Julia ist angetan vom Accessoire des Nadelstreifen-Sakkos, das Nico anprobierte. Berliner KURIER/Markus Wächter

„Alles geben wir natürlich nicht weg“, sagt Pressesprecherin Brigitta Valentin. Kostüme, die Modemacher Guido Maria Kretschmer mit eigener Hand für Katharina Thalbach im Stück „Ernst und seine tiefere Bedeutung“ von Oscar Wilde geschneidert hatte, blieben natürlich im Haus.

Tobias (l.) und Carsten Schulz besorgten sich ein Ton-Mischpult und eine Lichtsteuerungsanlage. Und einen Wildschwein-Kopf.
Tobias (l.) und Carsten Schulz besorgten sich ein Ton-Mischpult und eine Lichtsteuerungsanlage. Und einen Wildschwein-Kopf. GL

Einiges Ausrangierte wird der Theaterkunst weiter dienen: Carsten und Tobias Schulz – Vater und Sohn aus Groß Kreutz in Brandenburg – ergatterten für je 20 Euro ein Ton-Mischpult und eine Lichtsteuerungsanlage. Damit wollen sie ihre Theater-Truppe „Laien los“ technisch aufrüsten. Wofür der Kopf eines Plüsch-Wildschweins dienen wird, den Tobias auch mitnahm ist wohl noch nicht geklärt.

Theater-Chef Martin Woelffer ist voller Wehmut, weil Kudamm-Komödie wieder umziehen muss

Inmitten gut gelaunter Besucher gab Martin Woelffer angesichts der Massen zu Protokoll: „Heute ist ein spaßiger Tag, aber wir werden mit Wehmut aus dem Schiller-Theater gehen. Wir haben uns hier wohlgefühlt.“

Theater-Chef  Martin Woellfer auf Sitzen der  Komödie vom Kudamm: Schon nach kurzer Zeit waren zwei Dutzend verkauft. Einzeln für 50  Euro, Doppelsitze für 90 und drei gekoppelte Sitze für 120 Euro.
Theater-Chef Martin Woellfer auf Sitzen der Komödie vom Kudamm: Schon nach kurzer Zeit waren zwei Dutzend verkauft. Einzeln für 50 Euro, Doppelsitze für 90 und drei gekoppelte Sitze für 120 Euro. Berliner KURIER/Markus Wächter

Das Stück, dass dann am Abend gegeben wurde, könnte aber seine geheimsten Gedanken widerspiegeln: „Mord im Orientexpress“. Tröstlich nur, dass die Requisiten schon vor 16 Uhr restlos ausverkauft, die 17 Kleiderständer deutlich gelichtet waren.

Der Spielplan der Komödie am Kurfürstendamm im Schiller-Theater bis zum Jahresende ist hier zu sehen.

Lesen Sie auch: Energiepreis-Explosion: Am härtesten trifft es DIESE Bevölkerungsgruppen! >>