Die Tröste-Tiere aus dem Heim
Im Berliner Tierheim lesen Kinder Katzen vor. In Corona-Zeiten geht das auch von zu Hause aus.

Menschliche Stimmen beruhigen Katzen, tagsüber läuft im Katzenhaus des Berliner Tierheims oft das Radio. Katzen sind ausdauernde und geduldige Zuhörer. Seit einem knappen Jahr kommen daher jeden Freitag und seit kurzem auch donnerstags Berliner Kinder ins Tierheim um den Katzen etwas vorzulesen. Davon profitieren die Kinder, die mit den tierischen Gefährten ihre Lesefähigkeit verbessern und die Katzen, die den menschlichen Kontakt genießen. Auch jetzt in Corona-Zeiten spenden die Fellfreunde weiter Trost. Digital.
Normalerweise setzen sich die Kinder jeweils für eine halbe Stunde zu der Katze und lesen selbst gewählte Geschichten. Pippi Langstrumpf, Garfield, oder Petterson und Findus. Ohne Eltern, nur Mohrle und Max oder Schnurri und Jacqueline. Doch jetzt, wo es wegen der Corona-Schließungen keinen Publikumsverkehr im Tierheim gibt, ist das preisgekrönte Projekt ins Kinderzimmer umgezogen. Die kleinen Vorleser produzieren zu Hause Video- oder Audiodateien, die den Katzen dann vorgespielt werden. Die Tiere bleiben so Tröster in unsicheren Zeiten, die Kinder haben eine Aufgabe, die sie mit Gewissenhaftigkeit erfüllen.
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„Von den Eltern haben wir die Rückmeldungen dass ihre Kinder die Lesestunde mit den Katzen sehr fleißig vorbereiten. Die Kinder üben, denn sie haben das Ziel wollen den Katzen ein schönes Erlebnis bereiten“, sagt Annette Rost, die Marketingleiterin des Tierheims. Sie hat sich das Projekt ausgedacht, nachdem sie von einem ähnlichen Projekt in den USA las. Vor kurzem hat die Stiftung Bildung und Gesellschaft die Idee ausgezeichnet.

„Katzen urteilen nicht, wenn ein Kind sich verhaspelt. Das nimmt Ängste und Scheu vor dem Vorlesen“, beschreibt Annette Rost die Vorteile. Wenn ein Kind großes Glück habe, springe eine Katze ihm beim Vorlesen sogar auf dessen Schoß. Ein schöneres Lob gibt es kaum.
Doch dieser direkte Kontakt fehlt derzeit. Die digitalen Vorlesestunden sind kein Ersatz für das eigentliche Programm. „Aber die Kinder verlieren so den Kontakt zum Tierheim nicht, bleiben motiviert weiter zu üben - bis wir irgendwann die Türen wieder öffnen dürfen“, sagt Annette Rost.

Und so flattern in diesem Tagen selbstgeschriebene Aufsätze oder und selbe geschriebene und eingesprochenen Geschichten aus dem Lieblingsbuch ins Mailpostfach des Tierheims. Die Kinder sollen einen Aufsatz schreiben, idealerweise eine Katzen- oder Tiergeschichte. Diesen lesen sie vor und nehmen sie auf. „Mit der Datei, Video oder Audio, gehen wir ins Katzenhaus und spielen sie ab“, so Annette Rost. Die Kollegen machen dann für die Kinder Beweisfotos vom Einsatz ihrer digitalen Vorlesesituation. „Kinder möchten erst genommen werden, sie sollen spüren, auf uns können sie sich verlassen.“
Tiere spenden Trost und vermitteln ein Gefühl von Geborgenheit, weiß Annette Rost. Gerade in den letzten Wochen häuften sich im Tierheim Anfragen, ob man nicht ein Tier auf Zeit ausleihen könne. „Viele haben jetzt Zeit in Kurzarbeit oder im Homeoffice. Für ein Tier wäre so ein Vorgehen aber traumatisierend“, sagt Annette Rost. „Wir suchen ein Zuhause für immer.“