Berliner brüllen, reden, küssen und tanzen gegen Rassismus und Diskriminierung
Deutlich weniger Teilnehmer bei „Black Lives Matter“. Ausgelassene Stimmung trotz Corona-Regeln beim Christopher Street Day.

Geballte Fäuste ragen an der Siegessäule gen Himmel. Das„Black Power“-Symbol ist zur Geste der Solidarität mit George Floyd geworden. Es ertönen laute Sprechchöre: „Black Lives Matter“ („Schwarze Leben zählen“). Zeitgleich ziehen Schwule und Lesben auffällig bunt gekleidet durch Berlin. Bei über 30 Grad Celsius haben am Sonnabend mehrere Tausend Menschen gegen Rassismus und Diskriminierung demonstriert.
Etwas überraschend blieb die „Black Lives Matter“-Demo hinter ihren Erwartungen zurück, während zum Christopher Street Day (CSD) mehr als dreimal so viele Menschen strömten, als angemeldet waren. „Ich glaube, es ist zu heiß heute und die Leute wollen was anderes unternehmen“, sagt eine 26-jährige Demonstrantin aus Wedding. Oder ist im schnelllebigen Berlin das Interesse für Anti-Rassismus-Proteste schon wieder abgeebbt? Verwundert schauten sich die ersten Protestler gestern um 12.30 Uhr auf der Straße des 17. Juni um. Zu Beginn der erneuten Kundgebung unter dem Motto „Black Lives Matter“ hatten sich nur vereinzelte Grüppchen mit Pappschildern vor dem Großen Stern in Tiergarten versammelt.
Doch die anfängliche Enttäuschung wich, als in der kommenden Stunde Hunderte weitere Protestler dazukamen. Laut Polizei waren es nach 14 Uhr etwa 1100 Teilnehmer, 400 weniger als angemeldet. Die Resonanz im Netz war deutlich größer. Immerhin hatten sich bis Freitagmittag mehr als 8000 Menschen im Internet angemeldet, weitere 20 000 zeigten sich interessiert. Zur Erinnerung: Anfang Juni protestierten auf dem Alexanderplatz wegen des durch einen US-Polizisten getöteten Afroamerikaners George Floyd mehr als 15.000 Menschen.
„Auch wenn wir diesmal keine 15.000 sind, haben wir die Macht, etwas zu verändern. Jeder von uns. Die Proteste gegen Rassismus dürfen nicht nur ein Trend sein“, rief einer der Redner ins Mikrofon. Eine Rednerin appellierte an alle Demonstranten, ihre Wut auf Rassisten ausschließlich auf Kundgebungen in verbaler Form rauszulassen. „Nicht randalieren oder Geschäfte zerstören“, betonte sie. Andere forderten eine Revolution gegen das ausbeuterische System. Die 24-jährige Vanessa H., die vor kurzem selbst Opfer von Rassismus durch einen Polizisten in einem Drogerie-Markt wurde, sagte: „Wir dürfen uns nicht von Hass leiten lassen“. Es bringe nichts, nur radikale Parolen zu rufen. Die 24-Jährige hatte das Wort ergriffen, als sich eine Aktivistin das Mikro schnappte und brüllte: „Die deutsche Polizei ermordet unsere Geschwister!“
Zwischen den vielen Redebeiträgen wechselten sich Black Music und tosender Applaus ab. Regelmäßig ertönten aus den Lautsprechern auch Aufforderungen, die Abstandsregeln einzuhalten. Um den Infektionsschutz zu gewährleisten, wurden vom Veranstalter im Vorfeld Markierungen im Abstand von 1,50 Metern auf den Boden geklebt. Fast alle Teilnehmer trugen eine Maske und hielten sich brav an den Mindestabstand.
Auch beim CSD kam es laut Polizei zu keinen schwerwiegenden Vergehen. Bei dem bunten Demonstrationszug unter dem Motto „Pride Berlin: Save our Community, Save our Pride“ zogen über 3500 Schwule, Lesben und transgeschlechtliche Menschen durch mehrere Stadtteile. Es ging vom Nollendorfplatz über Potsdamer Straße, Wilhelmstraße und Unter den Linden zum Alexanderplatz. „Vereinzelt wurde der Mindestabstand unterschritten. Das ist bei einem Umzug aber auch schwieriger einzuhalten“, bilanzierte Polizeisprecher Thilo Cablitz. Polizisten sprachen die Leute darauf an. Liebende küssten sich gelegentlich, andere konnten ihre Hände nicht voneinander lassen. Den Aufforderungen, Abstand zu halten und Masken zutragen, seien fast alle sehr schnell nachgekommen.
Die offizielle CSD-Parade mit Zehntausenden Teilnehmern und diversen Partywagen hätte eigentlich am 25. Juli stattfinden sollen. Doch der Umzug war wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden. Die Polizei zeigte sich zufrieden. „Alle Demonstrationen verliefen friedlich“, erklärte der Polizeisprecher. Sogar bei dem motorisierten Protest von Attila Hildmann kam es zu keinen groben Auseinandersetzungen. Der umstrittene Vegan-Koch hatte als Protest gegen die Corona-Politik eine Auto-Kolonne organisiert. Die rund 80 Fahrzeuge (200 Teilnehmer) waren einmal quer durch die Stadt gefahren.