Wenn Heizen mit dem Gasherd tötet
Bei Gasexplosionen in Russland sind in diesem Monat bereits zehn Menschen gestorben. Weil viele Mieter in ihren Wohnungen frieren, heizen sie mit Gasherd. Eine tödliche Gefahr.

Wenn es im September kalt wird, aber noch nicht kalt genug für den offiziellen Start der Heizperiode, schalten viele Menschen in Russland den Gasherd oder Ofen an, um sich aufzuwärmen. In Noginsk nahe Moskau riss eine Detonation sieben Menschen in den Tod, darunter zwei Kinder. Eine neue Saison tödlicher Wohnungsexplosionen sei eröffnet, kommentierten Medien. Am vergangenen Wochenende starben drei Menschen in Jelez, rund 350 Kilometer südlich von Moskau.
Auch wenn die Ursachen nicht restlos geklärt und oft auch Gaslecks in maroden Leitungen der Grund für die Unglücke sind, löste der Vorfall in Noginsk eine Debatte in der Energiegroßmacht Russland aus. Eine Diskussion darum, ob die Regeln für den Start der Heizperiode noch zeitgemäß sind. Ein Erlass des Energieministeriums von 2003 sieht vor, dass Kommunen die Fernwärme erst anstellen, wenn die mittlere Außentemperatur an fünf Tagen hintereinander nicht über acht Grad Celsius steigt.
In Russland gehört Frieren in den Wohnungen zum Alltag
In Russland dagegen gehört Frieren in den Wohnungen in dieser Übergangszeit zum Alltag. Manch einer hilft sich mit einem Radiator. Verbreitet ist aber vor allem das Heizen mit dem Gasofen. Das ist zwar billig, aber verboten und gefährlich, weil die Flamme ausgehen kann. Das Gas strömt dann oft über Nacht aus. Und am Morgen, wenn etwa das Licht angeschaltet wird, knallt es. Oft mit tödlichen Folgen. Allein in Noginsk wurden Wohnungen auf mehreren Etagen eingerissen. Neben den Toten gab es mehr als 20 Verletzte.
„Um die Wiederholung einer solchen Tragödie wie in Noginsk zu verhindern, bitte ich Sie, die Möglichkeit zu prüfen, die vorgeschriebene Temperatur zum täglichen Mittelwert zu erhöhen – von acht auf zehn Grad, um die Heizperiode zu starten“, schrieb die Parlamentsabgeordnete Jelena Wtorygina an Regierungschef Michail Mischustin. Und sie bat darum, auch den Zeitraum für das Hochfahren der Fernwärme zu verkürzen – von fünf auf drei Tage.

Der kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta zufolge geht der Großteil der Unglücke auf marode Leitungen und mangelnde Kontrollen der Gasinfrastruktur zurück. Die Zahl der Gasexplosionen steigt seit Jahren, wie das Blatt beklagt. Nach Angaben der Gilde der Ingenieure für die Gasausstattungen gab es 2017 mehr als 90 Explosionen landesweit, 2018 schon 130 und 2019 dann 188.
Die Explosionen wie in Noginsk und Jelez kommen dem russischen Machtapparat ungelegen vor der Parlamentswahl an diesem Sonntag. Gerade feiert der Gasriese Gazprom die Fertigstellung der Ostseepipeline Nord Stream 2.
Viele Mieter würden aber lieber zahlen als frieren
Für viele Menschen in Russland ist das späte Heizen ein ähnlich großes Ärgernis wie das zeitweise Abstellen des warmen Wassers im Sommer. Aktuell ist aber in diesen Tagen nun der Griff an die Heizkörper in den Wohnungen und Büros besonders gängig. Viele schauen zudem gespannt auf die Wettervorhersage. Und jedes Jahr kommt es einem Festtag gleich, wenn die Heizung endlich warm wird.
Eine Änderung der bisherigen Vorschriften ist allerdings nicht in Sicht. Der Duma-Abgeordnete Igor Toroschin meinte, dass die Normen aus medizinischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten „optimal“ seien. Als Mitglied im Parlamentsausschuss für Wohnungspolitik sagte er, die finanzielle Belastung der Bürger bleibe auf diese Weise geringer. Sonst müssten die Menschen schließlich mehr bezahlen, je länger die Heizperiode dauere. Viele Mieter würden aber lieber zahlen als frieren.
Im vergangenen Jahr machte Moskau eine Ausnahme wegen der Corona-Pandemie, um das Immunsystem der Menschen nicht noch durch kalte Wohnungen zu schwächen. Aktuell sterben aber deutlich mehr Menschen in Russland an dem Virus als vor einem Jahr. In Moskau liegt die Temperatur in dieser Woche laut Vorhersage bei knapp über zehn Grad tagsüber. Bürgermeister Sergej Sobjanin kündigte am Montag an, dass jede Wohnung in Europas größter Stadt bis zum Wochenende warm sein soll – pünktlich zur Parlamentswahl.