Wann können wir endlich mehr testen?
Erst mangelt es den Laboren hierzulande an Geräten, jetzt fehlt der Chemikalien-Nachschub für die Virustests. Dabei wäre es wichtig, so viele Menschen wie möglich zu überprüfen.

Opfer Nummer eins in den USA war ein junger Mann in Seattle, frisch aus Wuhan zurück. Er hatte Husten und Fieber. Das ließ die Ärzte aufhorchen. Die Behörden taten, was zu tun ist: Sie isolierten die engsten Kontakte, suchten nach Infektionswegen. Dann machten sie einen verhängnisvollen Fehler: Sie prüften nicht, ob sie Corona-Opfer übersehen hatten.
Fünf Wochen lang wurde im US-Bundesstaat Washington niemand mehr auf Sars-CoV-2 getestet. Als man erneut begann, war der Erreger längst im Untergrund. In den folgenden Tagen zählte man in der Region mehr als zwanzig Todesopfer. Das Virus hatte sich still in der Bevölkerung ausgebreitet. Inzwischen verzeichnen die USA die weltweit meisten bestätigten Corona-Fälle.
„Du kannst kein Feuer löschen, wenn du nicht weißt, wo es brennt“, warnte kürzlich WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Testen, testen, testen!“, laute das Motto im Kampf gegen die Pandemie. Das ist jedoch schwierig. Denn mindestens zwei von drei Infizierten stecken sich bei jemandem an, der keine oder nur sehr milde Symptome hat. Verhindern lasse sich das nur mit einem Kraftakt wie in Südkorea, sagt die Epidemiologin Emma Hodcroft vom Biozentrum der Universität Basel. Mit 5744 Tests pro Million Einwohner liegt das Land weltweit an der Spitze.
Labore kommen mit der Arbeit nicht hinterher
Symptomlose Überträger lassen sich nur dann herausfiltern, erklärt Hodcroft, wenn jeder die Chance auf einen Test bekommt, egal ob mit oder ohne Krankheitsanzeichen. Wer von seiner Infektion nichts weiß, wird das Virus ahnungslos in der Welt verbreiten. Sie plädiert noch aus einem zweiten Grund für eine Großfahndung: Ob Schulschließungen und soziale Distanzierung ihren Zweck erfüllen oder die Gegenmaßnahmen gar verschärft werden müssen, lasse sich nicht beurteilen, wenn der Erreger untertaucht. Dafür müssen die Ausbreitungswege des Virus nachvollziehbar bleiben.
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Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat sich vergangene Woche trotzdem entschlossen, die Kriterien, nach denen entschieden wird, ob eine Person untersucht wird oder nicht, enger zu fassen. Menschen mit milden Symptomen werden gebeten, zu Hause zu bleiben, Abstand zu anderen zu halten und auf den Test zu verzichten. Die Behörde hatte kaum eine andere Wahl: Die Labore kommen mit der Arbeit nicht hinterher. Manche Patienten mussten schon eine Woche auf ihr Testergebnis warten.
Zunächst waren nur die Maschinen das Nadelöhr. Bislang ist man bei der Corona-Diagnostik auf das aufwendige PCR-Verfahren angewiesen. Es macht selbst schwache Virusspuren nachweisbar, weil sogenannte Primer sich unter allen Erbgutmolekülen in der Probe gezielt diejenigen heraussuchen, die von dem gesuchten Erreger stammen. Werden sie fündig, ist das das Startsignal für das Enzym DNA-Polymerase, den entsprechenden Genabschnitt so lange zu vervielfältigen, bis die Menge für den Nachweis ausreicht. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass zuvor die RNA mit dem Bauplan des Erregers in DNA, den Code der menschlichen Gene, umgeschrieben wird.
Für Pandemie waren Großlabore nicht ausgestattet
Herzstück der Analytik ist ein sogenannter Thermocycler, der das Erbgutgemisch immer wieder erhitzt und abkühlt. Unter Hitze werden die DNA-Ketten aufgespalten. Sinken die Temperaturen, können die Primer binden und den Kopierprozess in Gang setzen. Je weniger Zyklen für den Nachweis notwendig sind, desto mehr Viren waren in der Probe. Ungefähr fünf Stunden dauert das Procedere.
Für eine Pandemie waren die Großlabore in Kliniken und Praxen aber nicht ausgestattet. Sie rüsteten hektisch Thermocycler nach. Inzwischen mangelt es weniger an Geräten, sagt Knud-Peter Krause vom Labor MDI Limbach Berlin, sondern an Reagenz-Nachschub. Für die Untersuchungen ist sein Team auf Testkits und Reagenzien angewiesen.
Zunächst hatte die Industrie nur Schwierigkeiten, die RNA-Extraktoren zu bestücken. Diese Maschinen werden gebraucht, um das Erbgut aus den Proben zu fischen. Nun werden aber auch die anderen Chemikalien und Ersatzteile knapp, weil die Produzenten, die vor allem in China und den USA sitzen, die Lieferungen schuldig bleiben. Von täglich 40 auf 1800 Tests hat Krauses Labor die eigenen Kapazitäten in den letzten Wochen hochgerüstet. In zwei Tagen stehen die Maschinen wieder still, wenn nicht doch noch eine Lieferung mit Reagenzien kommt. Andere Labore berichten, sie hätten die Zahl ihrer Tests wegen fehlendem Reagenznachschub um 80 Prozent reduzieren müssen.
Mit viel Rummel hat kürzlich der Pharmakonzern Roche sein Roboterlabor Cobas in die Corona-Diagnostik eingeführt. Es schafft 4000 Tests in 24 Stunden – und kommt jetzt vielerorts mit der Lieferung der Test-Kits nicht hinterher. Beim Pharmakonzern Bayer scheint man noch optimistisch zu sein. Das Unternehmen stelle bundesweit mehr als 40 Geräte zur Virusdiagnostik aus der Forschung bereit, teilte Bayer am Montag mit. Damit könne die bundesweite Covid-19-Analysekapazität um mehrere tausend Tests pro Tag erhöht werden, allein in Berlin könnten zukünftig jeden Tag bis zu tausend Tests zusätzlich durchgeführt werden.
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Ob das realisiert werden kann, bleibt abzuwarten. Baden-Württemberg hat angesichts dieser Engpässe bereits seine offiziellen Empfehlungen geändert. Dort sollen nur noch durch Alter oder Begleiterkrankungen besonders gefährdete Patienten getestet werden, außerdem medizinische Angestellte. Alle anderen müssen darauf hoffen, dass noch Kapazitäten übrig bleiben.
Eng geworden wäre es wahrscheinlich auch ohne Reagenzienmangel. Alle 5,5 Tage verdoppelt sich im Land momentan die Zahl der Infizierten, damit werde es zunehmend unrealistisch, noch allen Betroffenen einen Test anzubieten, sagt Stefan Brockmann vom Stuttgarter Landesgesundheitsamt. Schon jetzt tragen oder trugen hierzulande rund 60.000 Menschen das Virus in sich, dazu kommt eine große Dunkelziffer. In Süddeutschland sind das bereits zu viele Fälle, um mit dem Testen hinterher zukommen. In Berlin, sagt Labormediziner Knud-Peter Krause, sei diese neue Phase noch nicht erreicht. Ob es dabei bleibt, hänge vor allem vom Erfolg der kontaktreduzierenden Maßnahmen ab.
Schnelltests werden mittlerweile sogar im Internet angeboten
Das Bundesinnenministerium plant dagegen ganz im Sinne von Emma Hodcroft die Zahl der Tests massiv auszuweiten. Bald soll bereits ein „Eigenverdacht“ ausreichen, um sich und alle Kontaktpersonen für einen Test zu qualifizieren. Fachleute sind sich weitestgehend einig: Aktuell ist das unrealistisch.
Opfer des Kampfs um die Kapazitäten drohen diejenigen zu werden, die die Tests am notwendigsten bräuchten, mahnt die Virologin Daniela Huzly von der Uniklinik Freiburg: Menschen, die mit Atemproblemen in die Krankenhäuser eingeliefert werden und bei denen das Testergebnis entscheidend dafür ist, welche Therapie eingeleitet wird.
Eine mögliche Alternative wären Blutuntersuchungen, mit denen die vom körpereigenen Immunsystem gebildeten Antikörper gegen das Virus nachgewiesen werden. Diese Schnelltests werden mittlerweile sogar im Internet angeboten. Nach zwanzig Minuten, verspricht ein Anbieter, habe man Gewissheit, ob man infiziert ist oder nicht. Es reiche, zwei Tropfen Blut auf ein Kästchen aufzubringen, ein roter Streifen zeige, ob man positiv ist.
Massentestung laut Drosten spätestens ab Mai oder Juni
Das Verfahren misst die Antikörper, mit denen sich das Immunsystem gegen den Erreger wehrt. Die werden aber erst am Ende der ersten Erkrankungswoche gebildet. Eine frischere Infektion wird also übersehen. Zudem haben die Tests noch eine gewisse Fehlerrate, sagte der Berliner Virologe Christian Drosten in seinem Podcast im Norddeutschen Rundfunk. Verbesserte Techniken sollen das in den nächsten Wochen ändern – nur werden die nicht über das Internet für die Allgemeinheit verfügbar sein.
In New York hat der Biotechnologe Florian Krammer zum Beispiel einen Antikörpertest entwickelt, der den Erreger seltener mit anderen Viren verwechselt. Sein Verfahren soll schon drei Tage nach der Ansteckung anschlagen – zugleich aber auch wie alle Antikörpertests nachträglich verraten, ob jemand infiziert war.
Christian Drostens große Hoffnung ist ein Antigen-Test. Auch daran wird gearbeitet. Damit würden nicht die Gene, sondern die Eiweiße des Erregers aufgespürt. Aussehen soll das wie ein Schwangerschaftstest: eine Kassette mit einer Membran, auf der Antikörper sitzen, die sich gegen ausgesuchte Kennzeichen der Viren richten. Enthält der Abstrich tatsächlich den Erreger, binden diese nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip spezifisch dessen Proteine. Für einen weiteren Antikörper ist dies das Startsignal, sich an den entstandenen Antigen-Antikörper-Komplex zu binden und eine Farbreaktion auszulösen.
Weil die Viren sich so rasant vermehren, ist Drosten zuversichtlich, dass die Teststreifen schon zwei, drei Tage nach einer Infektion die Erreger nachweisen werden. Ab Mai oder Juni könnten die ersten Produkte verfügbar sein, prognostiziert der Virologe, dann wäre die Massentestung spätestens umsetzbar. Mindestens bis dahin gilt: Abstand halten.