Einst Extremexpedition – heute Massentourismus : Vor 200 Jahren wurde erstmals die Zugspitze bestiegen
Firmen nutzen die Kulisse für Präsentationen oder Feiern, Politiker wählen sie für publikumswirksame Auftritte, Paare geben sich hier das Ja-Wort. Die Zugspitze als Deutschlands höchster Berg hat Symbolkraft. Vor 200 Jahren gelangte der erste Mensch auf den Gipfel.

Allein die Nacht davor muss eine Tortur gewesen sein. Bei der Übernachtung in einer Hirtenhütte sei er „von einer Menge Flöhe dergestalt gemartert“ worden, dass er „wachend am Feuer die halbe Nacht mit Tötung derselben zubringen musste“, notierte Josef Naus in seinem Tagebuch. Gegen 4 Uhr am 27. August 1820 brach der Tiroler Vermessungstechniker in Diensten des bayerischen Königs Maximilian I. auf. Um 11.45 Uhr gelang ihm nach achtstündigem Aufstieg sowie „einigen Lebensgefahren und außerordentlichen Mühen“ die erste nachgewiesene Besteigung der 2962 Meter hohen Zugspitze. Den königlichen Auftrag zur Vermessung von Deutschlands höchstem Berg allerdings konnte er nicht mehr ganz nachkommen: Ein heftiges Gewitter zwang den 27-Jährigen und seine Begleiter - der Bergführer Johann Tauschl und ein Messgehilfe - zum übereilten Abstieg.
200 Jahre nach der Erstbesteigung ist von der Einsamkeit des Berges kaum etwas übrig. Oben gibt es eine Forschungsstation, eine Wetterwarte, Gastronomie, Skilifte, eine Kapelle. Rund 600.000 Gäste besuchen in normalen Jahren per Seilbahn den Berg. Er lockt nicht nur Ausflügler. Hochseilgeher zeigten über Deutschlands höchsten Abgründen ihre Künste, Chartstürmer Ed Sheeran gab ein Konzert. Hochzeitspaare schließen vor dem Resteis des schwindenden Gletschers den Bund fürs Leben, Firmen präsentieren neue Produkte, Politiker wählen die grandiose Landschaft für bildstarke Auftritte.
Lesen Sie auch: „Ewiges Eis“ verschwindet: Deutschland verliert seine Gletscher >>
„Die Zugspitze als höchster Berg Deutschlands hat eine große Ausstrahlung und Anziehung - weil der Berg an sich ein deutscher Rekord ist“, sagt der frühere Extrembergsteiger Reinhold Messner.

Brauchte Josef Naus damals von dem „Flohhüttchen“ der Hirten acht Stunden bis zum Gipfel, so bringt die neue Seilbahn Gäste heute in zehn Minuten vom Eibsee 2000 Höhenmeter hinauf zum Gipfel. Neben der neuen Seilbahn gibt es die historische Zahnradbahn und die Seilbahn auf der österreichischen Seite.
Auch unerfahrene Bergsteiger wollen auf die Zugspitze
Tausende versuchen trotzdem den Anstieg zu Fuß. Der Gipfelsturm aus eigener Kraft erlebe mit dem Bergsport einen Boom, berichten Bergführer. Entsprechend oft muss die Bergwacht ausrücken - viele haben weder die Erfahrung noch die Kondition für die wenngleich gut erschlossene Tour.

Noch im 19. Jahrhundert schien der riesige Felszacken unbezwingbar. Bis heute gibt es unerschlossene Routen. Der Extrem-Kletterer Stefan Glowacz plant die Erstbegehung der wohl schwersten Route, sie dürfte im elften Schwierigkeitsgrad liegen. Und auch Reinhold Messner sieht trotz der Auslegung auf Touristen noch „mächtige Wände“, an denen Abenteuer erlebbar seien.
Messner wie Glowacz haben die massive Erschließung der Alpen stets kritisiert. Nachhaltigkeit werde nachrangig gegenüber Profit und Kommerz, schimpft Glowacz. Messner sagt aber auch: „Heute sind 99 Prozent der Alpen-Besucher in der Ferienzeit gar keine Bergsteiger, sondern sie kommen, um sich im Gebirge zu erholen. Das ist ihr gutes Recht.“
Lesen Sie auch: Vor 40 Jahren gelang Reinhold Messner seine „Mondlandung“ >>
Der Spagat zwischen Erschließung und Umweltschutz begleitet den Bergtourismus seit seinen Anfängen. Schon der Bau des - heute oft auf viele Wochen ausgebuchten - Münchner Hauses auf der Zugspitze ab 1894 war heftig umstritten. 1925 protestierten rund 4000 Menschen gegen den Bau der Zahnradbahn und die damit aus ihrer Sicht einhergehende Industrialisierung der bayerischen Berge. Die Bahn wurde ein Erfolgsprojekt, 20 Millionen Gäste nutzen sie.