Verjüngung von Nervenzellen lässt erblindete Mäuse wieder sehen
Mittels Gentherapie haben Forscher gealterte Zellen von Mäusen reprogrammiert. Die Zellen erlangten dadurch ihre Fähigkeit zurück, sich selbst zu heilen.

Nervenzellen umprogrammieren und damit Blinde wieder zu Sehenden werden lassen? Das klingt nach einem abgedroschenen Science-Fiction-Film. Und dennoch scheint genau das in der Realität möglich zu sein. Einem internationalen Team aus Alternsforschenden ist es laut einer Studie gelungen, Sehnerven von älteren Mäusen zu regenerieren. Ihre Erkenntnisse haben die Wissenschaftler im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.
Grundsätzlich sind Nervenzellen des Gehirns in jungen Lebensjahren anpassungsfähig und können sich neu bilden. Diese Fähigkeit geht mit dem Alter in fast allen Hirnregionen verloren. Durch angewandte Gentherapie ist eine Regenerierung auch von älteren Zellen wieder möglich. Zumindest war dies bei Experimenten an Labormäusen der Fall, welche durch eine Augenerkrankung oder eine mechanische Verletzung erblindet waren.
Lesen Sie auch: Gastbeitrag: Tierversuche - Warum sie notwendig sind
Für die Studie wurden Neurone des zuvor verletzten Sehnervs in ausgewachsenen Mäusen verjüngt, indem sogenannte Transkriptionsfaktoren in den Zellen dauerhaft aktiviert wurden. Das veränderte die Grundbausteine des Erbguts so, dass es jenen junger Mäuse glich. Labormäuse mit einem induzierten Grünen Star reagierten nach der Gentherapie wieder auf optische Reize und konnten sich immerhin anhand von Mustern in einem Raum orientieren. Die Forschenden schlossen daraus, dass das Sehvermögen der Mäuse wiedergekehrt war.
Feinregulierung von Genen
Die Arbeit geht auf die Idee der sogenannten Horvath-Clock zurück, mit der das biologische Alter eines Organismus anhand bestimmter, sogenannter epigenetischer Muster auf der DNA bestimmt und dessen zukünftige Gesundheit und Lebensspanne vorausgesagt werden kann. Diese epigenetischen Muster entstehen unter anderem durch sogenannte Methylierungen, also chemischen Gruppen, mit denen das Erbgut während der Embryonalentwicklung bestückt wird. Sie regeln die Aktivität der Gene.
Ihr Muster und damit auch die Zellfunktionen verändern sich im Laufe des Lebens, da gewisse Gene nur in bestimmten Lebensabschnitten gebraucht werden. So kann es sein, dass Funktionen im Alter verloren gehen, obwohl die eigentliche Information weiterhin in den Genen verankert ist. Diese Art der zeitweiligen Feinregulierung von Genen fällt in den Bereich der Epigenetik.
Verjüngung auch von menschlichen Zellen?
Aus der aktuellen Studie lassen sich zwei interessante Ergebnisse ableiten: einen möglichen therapeutischen Ansatz, Sehnerven wiederherzustellen sowie die Erkenntnis, dass eine biologische Verjüngung von Zellen auch bestimmte Funktionen reaktivieren könnte. „Die Studie ist technisch sehr hochwertig und zeigt auf, dass das Epigenom tatsächlich ein gutes Ziel sein kann, um altersbedingte Erkrankungen zu therapieren“, sagt Peter Tessarz, Leiter der Arbeitsgruppe Chromatin and Ageing am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln. „Ob und wie sich die Ergebnisse dieser Studie auf andere Erkrankungen oder Gewebe im Alter übertragen lassen, ist leider noch nicht absehbar.“ Das Gleiche gelte für die Übertragbarkeit auf den Menschen, so Tessarz.
In einem parallel veröffentlichten Begleitartikel zur Studie kommt der Autor Andrew Huberman zu dem Schluss, dass eine neue Ära der Medizin eingeleitet sei. Da die Wissenschaftler auch in Zellkulturexperimenten menschliche Neuronen umprogrammiert haben, könnte der Ansatz auch potenziell beim Menschen zum Erfolg führen. Gealterte und geschädigte Gehirne könnten so therapiert werden.
Lesen Sie auch: Den Prototyp hatte er dabei: Kein Witz - Elon Musk will uns Mini-Computer ins Hirn einpflanzen
„Prinzipiell stellt das eine faszinierende Möglichkeit dar, altersbedingten Degenerationskrankheiten entgegenzuwirken“, sagt Holger Bierhoff, Leiter der Arbeitsgruppe Epigenetik des Alterns am Institut für Biochemie und Biophysik der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Allerdings gebe es noch viele Fragen zu klären: Ist das Verfahren auch auf andere Gewebe übertragbar? Wie sieht es mit der Effizienz, Zielgenauigkeit und Sicherheit der genetischen Manipulation aus? Können Nebenwirkungen, wie Zelltoxizität oder Tumorbildung, ausgeschlossen werden? „Bisher werden die komplexen Vorgänge, die zu einer Fehlregulation des Epigenoms führen, noch sehr unzureichend verstanden. Die Ursachen und Konsequenzen für die zelluläre und körperliche Gesundheit müssen noch eingehend erforscht werden“, so Bierhoff.