Memory Well

US-Start-up will das Pflegesystem revolutionieren – mit Mini-Biografien

Einer US-Journalistin kam die Idee, mit Mini-Biografien sowohl den Patienten als auch dem Pflegepersonal zu helfen. Aber wie?

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Die Biografien sollen dabei helfen, das Verständnis des Pflegepersonals und engere Beziehungen zu den Patienten zu stärken.
Die Biografien sollen dabei helfen, das Verständnis des Pflegepersonals und engere Beziehungen zu den Patienten zu stärken.Zoonar/imago

Viele ältere Menschen in Pflegeheimen fühlen sich, als ob sie nicht mehr als Person wahrgenommen werden. Sie werden auf ihre alternde, körperliche Hülle reduziert. Was sie in ihrem langen Leben erlebt haben, interessiert nicht mehr oder geht im stressigen Pflegealltag unter. Ein Start-up aus den USA möchte das ändern und engagiert Autorinnen und Autoren, um Mini-Biografien über die Heimbewohnerinnen und -bewohner zu schreiben. Was steckt hinter der Idee?

Als die US-Journalistin Jay Newton-Small ihren an Alzheimer erkrankten Vater in ein Heim brachte, wurde sie gebeten, einen langen Fragebogen über sein Leben auszufüllen. Für sie ergab das keinen Sinn, denn wer würde sich an seitenweise, handgeschriebene Daten über Hunderte Bewohnerinnen und Bewohner erinnern? Als langjährige Korrespondentin des Time Magazines schrieb sie stattdessen eine Geschichte über ihren Vater und klebte sie an die Wände im Heim. Das sollte große Veränderungen nach sich ziehen. Die Grundidee für das Unternehmen Memory Well war geboren.

Wie sich herausstellte, lebte Newton-Smalls Vater zu Beginn seiner Karriere bei den Vereinten Nationen jahrelang in Äthiopien. Zwei seiner Betreuer waren Äthiopier und sie konnten es nicht glauben, dass einer ihrer Patienten in jungen Jahren mit dem Kaiser Haile Selassie zusammenarbeitete. Stundenlang fragten die Pfleger den Mann über seine Erfahrungen in ihrem Heimatland aus. Als die Journalistin sah, welchen Einfluss die Lebensgeschichte ihres Vaters hatte, beendete sie ihre Arbeit beim Time Magazine und gründete Memory Well.

Patienten aus Pflegeheimen erinnern sich an eigenes Leben zurück

Die Vision des Unternehmens ist „ein Gesundheitssystem, in dem alle Patienten über ihren Gesundheitszustand hinaus als Menschen an erster Stelle behandelt werden“. Memory Well schulte dazu freiwillige Krankenhausmitarbeitende darin, Patienten zu ihrer persönlichen und auch medizinischen Geschichte zu befragen, die sie dann aufschrieben. Wie sich zeigte, half das Teilen der Lebensgeschichte sowohl den Patientinnen als auch den Pflegern. Vor allem bei wechselndem Personal sollen die Biografien helfen.

Laut der Unternehmensseite stimmten 100 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu, dass ihnen die Arbeit mehr Spaß macht, wenn sie die Lebensgeschichten ihrer Patienten kennen. Außerdem helfen die Biografien dem Pflegepersonal, die Bedürfnisse und Wünsche besser zu verstehen. Und auch 100 Prozent der Patienten gaben laut der Website an, mit ihren Geschichten sehr oder äußerst zufrieden zu sein. Ein Heimbewohner sagte zu Memory Well: „Man vergisst leicht, wer man ist, wenn man an einen Ort wie diesen kommt. Wenn ich die Geschichte sehe, werde ich daran erinnert, wer ich bin.“

Vielleicht würde ein solcher Ansatz auch in Deutschland helfen, die Pflegesituation ein bisschen zu verbessern. Es ist kein Geheimnis, dass Menschen in diesem Beruf stark überlastet sind aus Personal-, Zeit- und Geldmangel. Wenn die Patientinnen und Patienten jedoch ihre Geschichte teilen können, könnte sich das positiv auf die Beziehung mit den Pflegenden auswirken.