Unterricht zu Hause: Warum der Kontakt zur Schule oft verlorengeht
Die Kinder sitzen wieder zu Hause, um zu lernen. Die Kommunikation mit den Lehrern ist ein Problem dabei. Die Regierung ist daran nicht schuldlos.

Alle Eltern mal aufzeigen, die bisher nur gute Erfahrungen mit dem Schulunterricht zu Hause gemacht haben. Wenn man Umfragen glauben will, dann sind jetzt nicht sonderlich viele Finger nach oben gegangen. Fast die Hälfte der Mütter und Väter gab im Sommer in einer Befragung der Initiative D21 und der Technischen Universität München (TUM) an, dass sie unzufrieden damit waren, wie die Lehrer das digitale Lernen während des Lockdowns interpretiert hatten. An der Zahl dürfte sich nicht viel geändert haben.
Zu den Unzufriedenen gehört auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Die staatlich geprüfte Informatikerin und ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirats Baden-Württemberg hatte mit der Kanzlerin im September zum Bildungsgipfel geladen. Neben Hygienemaßnahmen, Finanzierung von Laptops für Lehrer und Tablets für Schüler wurde auch die Förderung des Unterrichts zu Hause beschlossen. Und was passierte dann auf Regierungsebene? „Da ist nichts geschehen, was sichtbar wäre“, sagt die SPD-Vorsitzende im Gespräch mit der Berliner Zeitung.
Dabei haben Experten schon im Frühjahr darauf hingewiesen, dass der Unterricht zu Hause eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Gute Plattformen helfen Lehrern und Kindern beim Vernetzen, Termine abzuklären, Hausaufgaben zu verteilen und wieder einzusammeln, über Videokonferenzen und Messengerdienste in Kontakt zu bleiben.
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Und jetzt im Herbst sind die Infektionszahlen so hoch, dass Präsenzunterricht immer häufiger infrage gestellt wird, weil Jugendliche und junge Erwachsene wesentlich zur Verbreitung der Infektion beitragen, wie Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) am Wochenende sagte. Vor allem in den weiterführenden Schulen müsse alles getan werden, um die Abstandsregeln einzuhalten. Darüber wollen Bund und Länder am Mittwoch diskutieren. Brauns Vorschlag: ältere Schüler vermehrt zu Hause zu unterrichten.
Aber ist das wirklich möglich? Nicht selten setzten die Lehrkräfte im Frühjahr darauf, die Aufgaben einfach zu kopieren und dann an die Kinder zu verschicken. Wer Kinder im schulpflichtigen Alter hat, merkte schnell, dass der Nachwuchs so den Kontakt zur Schule verlor, auch die Eigenmotivation ging zurück. Die Zahlen belegen, dass die Übermittlung der Lehrinhalte am häufigsten per E-Mails (81 Prozent) erfolgte, gefolgt von Videokonferenzen (44 Prozent) und Messengerdiensten (32 Prozent). Der Austausch von Materialien über einen Schulserver oder eine Lernplattformen kam etwas seltener zum Einsatz, ergab die Befragung der Initiative D21 und der Technischen Universität München (TUM).
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Sehr erstaunlich, dass es auch Schulen und Lehrer gab, die die Abholung von Lernmaterial in der Schule (16 Prozent) erwarteten oder auf die Übermittlung per Post vertrauten. Wie weit die Schulen von einem digital funktionierenden Alltag entfernt sind, zeigt auch ein Personalratsschreiben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vom Mai, das der Berliner Zeitung in Auszügen vorliegt. Darin heißt es, dass „niemand verpflichtet werden kann, fernunterrichtliche Angebote in digitaler Form, z.B. über Lernplattformen oder per E-Mail, zu erbringen“.
Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21, forderte schon im Frühjahr, dass die bestmögliche Unterstützung der Schüler beim digitalen Lernen nicht dem Zufall überlassen werden dürfe. „Wir brauchen bundesweite Standards, um sicherzustellen, dass Lehrkräfte über notwendige Digitalkompetenzen verfügen.“
Bundesweite Standards? Wer sich vorhandene Lösungsmodelle ansieht, stellt schnell fest, dass sie den hohen Ansprüchen einer Schüler-Generation, die nur das schnelle Leben mit Smartphones, Gruppenchats und rasanten Videos kennt, nicht immer gerecht werden. Gerade in Berlin wirkt die vom Senat unterstützte Plattform Lernraum.de eher grau und lahm. Jörg Ludwig hat in Niedersachsen mit IServ eine der erfolgreichsten Schul-Plattformen in Deutschland gegründet, die Darstellung wirkt aufgeräumt und innovativ. „Politisch wird leider massiv gegen uns gearbeitet“, klagt er.
Ludwig berichtet von den Versuchen, mit Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) ins Gespräch zu kommen, um über Standards bei der Technik und der Lehrer-Ausbildung zu sprechen. Das Resultat: keine Antwort, gar nichts, sagt Ludwig. Das Ministerium antwortet schriftlich auf eine Anfrage der Berliner Zeitung mit dem Hinweis, dass das Ländersache sei. „Schulen entscheiden sich für Plattformen nur im Rahmen der Bildungshoheit der Länder“, heißt es in der Mail.
Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt, der für Unmut sorgt: das Forschungsprojekt des Hasso-Plattner-Instituts. Das Bildungsministerium stellte 20 Millionen Euro zur Verfügung, damit das Institut in Potsdam sich mit der Nutzung digitaler Werkzeuge und Lernprogramme im Unterricht beschäftigt. Nach Ansicht von privaten Plattform-Anbietern ist das Institut in Potsdam zu weit gegangen. „Generell ist der staatliche Markteingriff durch die Entwicklung einer eigenen Schulcloud unnötig und kontraproduktiv“, heißt es in einem Schreiben, das sechs Anbieter von Plattformen im Frühjahr an die Bildungsministerin geschickt hatten. Ludwig warnt: „Wenn die Politik hier zu sehr in den Markt eingreift, ist das Wettbewerbsverzerrung auf dem Rücken der Schüler.“ Das Hasso-Plattner-Institut hebt in seiner Stellungnahme den Open-Source-Gedanken hervor, also die Vorteile von frei zugänglichen Programmcodes.
Der Unternehmer beklagt darüber hinaus, dass das Angebot des Hasso-Plattner-Instituts nicht ausgereift sei. Tatsächlich gab es im Frühjahr einen Hackerangriff. Das ARD-Politikmagazin Kontraste berichtete, dass es möglich war, Tausende von Schülernamen, Email-Adressen von Schülern, Lehrern und Administratoren aus dem System zu entnehmen. Die Sicherheitslücke konnte allerdings schnell geschlossen werden.
Der SPD-Chefin Esken würde es genügen, wenn es dem Hasso-Plattner-Institut gelänge, Interoperabiltät herzustellen, also eine Plattform zu schaffen, die ein Zusammenspiel verschiedener Systeme, Techniken oder Organisationen ermöglicht. Dann, so ihre Hoffnung, könnten die Schulen sich einen Überblick über die bundesweiten Angebote machen und sich für passende Lösungen entscheiden.