Passanten trauern um die Opfer auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Brokstedt.
Passanten trauern um die Opfer auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Brokstedt. dpa/Marcus Brandt

Die tödliche Messerattacke im Regionalexpress zwischen Kiel und Hamburg wirft erneut viele unbequeme Fragen auf. Schnell waren wieder die ‚üblichen Verdächtigen‘ mit einfachen Erklärungen und pauschalen Anschuldigungen in den sozialen Medien unterwegs. Bei Markus Lanz behauptete der Psychologe Ahmad Mansour, es gäbe generell ein „Problem mit Menschen, die Schutz suchen und das Land verachten“ – eine Aussage, die offen lässt, wer genau damit gemeint sein soll und vor allem bei Leuten ankommt, die sowieso Vorbehalte gegen Asylbewerber haben.

Ibrahim A. (33) war schon vor der Tat als Gewalttäter polizeibekannt

Es hat sie schon öfter gegeben: Männer, die mit vielen anderen Leuten nach Deutschland kamen und dann scheinbar aus unerfindlichen Gründen zur tödlichen Tat griffen. Doch beim genaueren Hinsehen kamen immer wieder Details zum Vorschein, die ganz andere Fragen in den Vordergrund drängten. So viel steht fest: Ibrahim A. (33) war schon vor der Tat als Gewalttäter aufgefallen, wurde aber trotz mehrerer Vergehen nicht als Intensivtäter geführt.

Laut Behördenangaben war der staatenlose Palästinenser im Dezember 2014 nach Deutschland eingereist, und kaum dass er angekommen war, gab es Probleme, Streitereien, gewalttätige Übergriffe. Bis 2020 sei er in Nordrhein-Westfalen gemeldet gewesen, so der Kieler Stadtrat Christian Zierau. Von Juli bis November 2021 habe er in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Kiel gelebt. Dort habe er nach mehreren Auseinandersetzungen und Regelverstößen ein Hausverbot erhalten.

Für einen terroristischen Hintergrund bei der Messer-Attacke „nicht die geringsten Hinweise“

Erst am 19. Januar sei Ibrahim A. aus der Untersuchungshaft in Hamburg entlassen worden. Im Verfahren sei es um eine gefährliche Körperverletzung gegangen, sagte die schleswig-holsteinische Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). Seit 2015 war der Tatverdächtige in Nordrhein-Westfalen und Hamburg mehrfach straffällig geworden, unter anderem wegen Gewaltdelikten. Die Ermittler stünden jetzt in engem Kontakt zu den Behörden in Hamburg, „um mit Hochdruck alle Informationen zusammenzutragen“, betonte Sütterlin-Waack.

Für einen terroristischen Hintergrund gebe es „nicht die geringsten Hinweise“, betonte Carsten Ohlrogge, leitender Staatsanwalt von Itzehoe. Sütterlin-Waack warnte vor verfrühten politischen Schlussfolgerungen: Ergebnisse der Vernehmungen gebe es bisher nicht, sodass mögliche Motive weiterhin unklar seien. Laut Ohlrogge wurden zuvor beim Tatverdächtigen ein Betäubungsmitteldelikt, eine Körperverletzung und eine schwere Körperverletzung registriert. Dennoch sei er kein Intensivtäter. Sexualstraftäter, wie verschiedene Medien berichteten, sei er nicht gewesen, so Ohlrogge.

Am Donnerstag wurde gegen Ibrahim A. Haftbefehl erlassen. Laut Oberstaatsanwaltschaft Müller-Rackow kommt der Mann nun in die Justizvollzugsanstalt Itzehoe in Untersuchungshaft. Der Leiter der Polizeidirektion Itzehoe, Frank Matthiesen, sagte bei einer Pressekonferenz in Kiel, es seien 24 Zeugen befragt und zahlreiche Gepäckstücke sichergestellt worden. Zudem liefen die Ermittlungen der Spurensuche.

Noch am Morgen der Tat hatte sich Ibrahim A. in Kiel gemeldet – „keine Auffälligkeiten“

Bei dem Messerangriff waren am Mittwoch eine 17-Jährige und ein zwei Jahre älterer Bekannter getötet worden. Beide stammen laut Sütterlin-Waack aus Schleswig-Holstein. Außerdem seien fünf Menschen verletzt, von denen drei weiterhin im Krankenhaus behandelt würden. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof von Brokstedt (Kreis Steinburg) hatte der Tatverdächtige Polizeiangaben zufolge die Reisenden mit einem Messer attackiert.

Der Kieler Stadtrat Christian Zierau erklärte, der Tatverdächtige habe sich am Morgen der Tat noch bei einem dauerhaft eingerichteten Informationsstand der Stadt Kiel gemeldet. Dort habe er die Mitarbeitenden wegen eines Aufenthaltstitels angesprochen, sei aber an das Einwohnermeldeamt verwiesen worden. „Die Mitarbeitenden haben mir keine Auffälligkeiten gemeldet“, sagte Zierau.

Viele der insgesamt 120 Fahrgäste aus dem Regionalexpress standen nach der Tat unter Schock. Fünf Kräfte der Notfall- und Feuerwehrseelsorge in Schleswig-Holstein waren am Bahnhof Brokstedt, um die Reisenden zu betreuen. „In solch schlimmen Momenten versuchen wir, für die Menschen da zu sein und die Situation mit ihnen auszuhalten“, sagte der als Notfall-Seelsorger tätige Pastor Frank Conrads.

Die Mordkommission Itzehoe bittet mögliche Zeugen um Hinweise. Für das anonyme Hochladen von Video-, Foto- und sonstigen Dateien ist ein Hinweisportal über den Link https://sh.hinweisportal.de/ freigeschaltet.