Hilfsgüter im Türkischen Adana. (Symbolfoto)
Hilfsgüter im Türkischen Adana. (Symbolfoto) AP/Emrah Gurel

Die Zerstörung ist unübersehbar und jeden Tag fördern die Bergungs- und Rettungsarbeiten im Erdbebengebiet in Syrien und der Türkei tausende Todesopfer an die Oberfläche. Derweil brauchen die Überlebenden auch weiterhin dringend Hilfe. Zahlreiche Organisationen versuchen derzeit, Hilfsgüter und medizinische Unterstützung in die Erdbebengebiete zu bekommen. Nachdem der kurdische Rote Halbmond bereits beklagte, in Syrien vom Assad-Regime nicht ohne die Abgabe von Gütern in die Krisengebiete gelassen zu werden, gibt es nun auch Vorwürfe gegen Erdogans AKP. Sie soll Hilfsgüter einfach umetikettiert haben.

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Erdbeben in der Türkei: Erdogans AKP etikettiert offenbar Hilfsgüter um

Die Vorwürfe wiegen schwer, sie werden aus Reihen der linken Oppositionspartei HDP aber immer wieder formuliert und auch mit Fotos und Videos versucht zu belegen: Die Regierungspartei AKP stoppt immer wieder mit Hilfe von Polizei und Armee Hilfs-Konvois, die die HPD organisiert hat. Diese werden nur durchgelassen, wenn sie umetikettiert werden dürfen: Die HDP-Banner kommen ab, Banner der AKP dafür dran. In einem Video auf Instagram wird Ömer Faruk Coskun, der Gouverneur der Region Meres, sogar direkt für die Umdeklarierung verantwortlich gemacht.

Hintergrund dieser Umetikettierung dürfte die anstehende Wahl im Mai sein. Eigentlich war der Urnengang für den 14. Mai 2023 angesetzt gewesen. Doch das Erdbeben hat Unzufriedenheiten in Teilen der türkischen Wählerschaft Unzufriedenheiten geschürt. Aus zahlreichen Gegenden gab es Beschwerden, dass spät oder gar keine Hilfe eingetroffen war. Vor allem in Gebieten mit mehrheitlich kurdischer Bevölkerung soll kaum staatliche Hilfe eingetroffen sein. 

Während Erdogan das zunächst leugnete, räumte er später Mängel in der Reaktion seiner Regierung ein. „Solche Dinge sind immer passiert. Es ist Teil des Plans des Schicksals“, rechtfertigte er sich öffentlich. 

Erdbeben in der Türkei: Kritik an Erdogan und seiner Regierung

Der Erdogan-Regierung werden verschiedene Versäumnisse vorgeworfen. Es geht um Veruntreuung der Erdbebensteuer, die jahrelang nicht in die Stabilisierung und Modernisierung von Gebäuden geflossen ist. Es geht um Erteilung von Baugenehmigungen in Gebieten, in denen Experten schon seit langer Zeit vor einem heftigen Erdbeben warnen. Und auch, dass die Erdogan-Regierung auf die Katastrophenschutzorganisation AFAD, anstatt auf die Armee setzte, die 1999 beim letzten großen Erdbeben in der Türke viel richtig machte, wird kritisiert.

Ein Mann läuft mit seinem Hund durch die Schuttberge von Antakya.
Ein Mann läuft mit seinem Hund durch die Schuttberge von Antakya. AP/BO

Erdbeben in der Türkei: Wird die Wahl verschoben?

Entsprechend groß ist der Druck. Das Umdeklarieren der Hilfsgüter soll über die eigenen Verfehlungen hinwegtäuschen. Im Netz kursiert ein Foto von einem Lkw, der offenbar von der Verwaltung der Region Izmir ins Krisengebiet geschickt wurde. Doch das Banner, das darauf hinweist, wurde bald durch eines der AKP ersetzt. Ähnlich erging es Konvois aus den von der Oppositionspartei CHP regierten Regionen Istanbul und Ankara. Die Katastrophenschutzorganisation AFAD soll direkt an den Flughäfen Hilfsgüter umetikettiert haben. 

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Ob diese Finten im Kampf um Wählerstimmen funktionieren werden ist offenbar auch im Umfeld der AKP selbst umstritten. Dort wird bereits eine Verschiebung der Wahl diskutiert. Erdogans ehemaliger Weggefährte und langjähriger Vize-Premier Bülent Arinc forderte auf Twitter bereits eine Verschiebung der Wahlen um ein Jahr.

Laut Verfassung muss sie aber spätestens am 18. Juni stattfinden. Für CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu käme eine Wahlverschiebung daher einem „Putsch“ gleich. Das Problem: Wegen des Erdbebens ist an eine faire Wahl in den Erdbebengebieten kaum zu denken. Die Zeit könnte für Erdogan spielen. 

Zahlen zum Erdbeben in der Türkei und Syrien

Am Freitagmorgen wurde die Zahl der Todesopfer mit 42.000 beziffert. Davon wurden bislang 6000 in Syrien gefunden. Dort gehen die Rettungs- und Bergungsarbeiten aber nur schwer voran. Es werden unzählige Opfer unter den Trümmern vermutet. Die Zahl der Verletzten wird derzeit mit rund 100.000 angegeben. Laut Schätzungen sind rund 23 Millionen Menschen direkt von dem Erdbeben betroffen.