Schauspieler Michael Pink: Freiheit ist kostbar, aber leider nicht selbstverständlich

In seinen Filmen spielt er meist einen Bösewicht, in „Skyfall“ machte er 2012 an der Seite von Javier Bardem James Bond das Leben schwer. In anderen Filmen rennt Michael Pink oft vor Polizisten weg, knackt Tresore oder mordet. Jetzt ist er als grantiger Sterbehelfer zu sehen – auch ein unleidlicher Zeitgenosse, der sich aber wandelt. Wir sprachen mit dem Schauspieler über das Leben und den Tod, über Angst und Freude. Und über seine Zeitenwenden.
Michael Pink ist gerade aus Wien gekommen. Er drehte dort seit dem 3. Juni einen „Tatort“ und für Sat.1 den Film „Todesurteil“. Eine Krimireihe von Regisseur Christopher Schier. Michael Pink war froh, wieder arbeiten zu können, trug, wenn es sein musste, einen Mundschutz, vermied Menschenmengen und ließ sich am Set alle zwei Tage auf Corona testen. „Schauspieler haben Körperkontakt, sie müssen sich nah sein. Anders geht es gar nicht“, sagt er. Es sei großartig, dass ein Weg gefunden wurde, dass wieder gedreht werden kann.
Wir treffen Michael Pink im Bootshaus am Lietzensee. Er ist zu Fuß aus Schöneberg hergelaufen, später möchte er noch was mit seinen Kindern unternehmen. „Ich habe sie vier Wochen lang nicht gesehen“, sagt der zweifache Vater. Er bestellt sich einen Cappuccino und eine Zitronenlimonade.
Erst war es eine beklemmende Situation.
Michael Pink
Als Corona ausbrach, alles lahmgelegt wurde, empfand der Schauspieler das zuerst als „beklemmende Situation und dann als große Chance der Veränderung“. Daheim erstellte er für seine Familie einen Stundenplan, wann es essen, Homeschooling oder Unternehmungen am Tag gibt. „Wir waren alle zusammen, haben zu 100 Prozent am Alltag des anderen teilgenommen. Auch wenn das einerseits sehr anstrengend ist, verbindet uns das auf eine ganz neue Weise.“ Michael Pink liebt sein Vatersein, sagt er. Für ihn ist es wichtig, sich ständig selbst zu hinterfragen, um seinen Kindern einen Weg zu ebnen sowie Verantwortung zu übernehmen und weiterzugeben.
In der ersten Phase der Corona-Zeit erlebte er das sehr intensiv. Er genoss die Entschleunigung, dieses Auf-sich-zurückgeworfen-Sein, die Achtsamkeit, die er in seiner Branche und bei Freunden plötzlich erlebte. Er hatte aber auch Bedenken, dass seine Kinder mit der Selbstverständlichkeit eines Virus und von den damit verbundenen Einschränkungen geprägt aufwachsen könnten.
Und irgendwann juckte es ihn unter den Fingern, vor allem, als es hieß, der Lockdown könne jetzt noch ein Jahr lang so weitergehen. Er fragte sich: Was bringt die Zukunft, was ist mit meinem Beruf? Er spürte viel Angst um sich herum, die geschürt wurde und viele lähmte. Doch diese Zeit bestärkte ihn in der Überzeugung, dass Freiheit kostbar ist. Und auch nicht selbstverständlich sein sollte.

SWR/Un attimo Photographie
Am Mittwoch (24. Juni) ist der Schauspieler um 20.15 Uhr in der ARD in „Now or never“ (Jetzt oder nie) als zynischer, verbitterter Sterbehelfer Henry zu sehen. In dem Film erweckt dieser nicht gerade den Eindruck, als würde er am Leben hängen. Henry ist meistens verkatert, noch öfter mies gelaunt und als Sterbehelfer eher eine Zumutung. Er ist in sich selbst gefangen. Ganz im Gegensatz zu Rebecca (gespielt von Tinka Fürst). Sie ist jung, lebenslustig und sterbenskrank. Sie hat einen Gehirntumor. Henry soll sie auf ihrem Weg in den Tod begleiten. Dann aber überlegt Rebecca es sich anders und möchte zu einem Wunderheiler. Widerstrebend begibt sich Henry mit ihr auf einen Roadtrip. Beide auf der Suche nach einer Antwort auf den Tod, oder doch nach dem Leben?
Man setzt sich in diesem Film, der in der Schweiz spielt, unweigerlich mit Leben und Tod auseinander, ob man sein Leben beenden darf oder nicht – und vor allem, was das Gute am Leben ist.
Meine Rollen haben selten etwas zu lachen.
Michael Pink
Michael Pink erging das ebenso: „In dem Film ging es mir um das Leben, die Liebe und das Loslassen. Henry ist der Zurückgebliebene, der vor Jahren seine Frau verloren hat und der sich danach ständig bewusst mit dem Sterben konfrontiert.“ Er habe wissen wollen, warum Henry so ein Getriebener ist, der zwischen Tod und Leben wandelt.
Für ihn ist diese Rolle außerdem ein kleiner Gegensatz zu den Mördern und Ganoven, die er sonst vorwiegend gespielt hat. Er grinst: „Meine Rollen haben selten etwas zu lachen. Aber Henrys Reise mit Rebecca verändert ihn. Er darf es. Endlich.“
Denkt er heute, nach dem Film, anders übers Sterben? „Es hat mich in meiner Selbstbestimmung gestärkt, in Würde sterben zu wollen und zu können. Der Tod ist etwas sehr Individuelles.“ Es gehe darum, jemandem die Freiheit zu lassen, selbst zu entscheiden, wenn der Mensch noch dazu in der Lage ist.
Er fügt hinzu: „Es gab leider auch persönliche Erlebnisse, die es mir sehr schnell leicht gemacht haben, diese Rolle zu verstehen.“ Und als dann auch noch seine Oma mit fast 91 Jahren starb, war das seine erste Zeitenwende. Sie habe gespürt, dass ihre Zeit gekommen sei, und wollte gehen. „Durch sie habe ich das erste Mal bewusst losgelassen und mich verabschiedet.“ Danach habe ihn damals allerdings der Umgang mit dem Tod verschreckt und er habe erkannt, dass es wichtig sei, den Menschen, die man liebt, im Leben so nah zu sein, dass man sie auch gehen lassen kann, ohne egoistisch zu sein.

Michael Pink ist im österreichischen Kärnten geboren, am 18. Februar 1977. Sein Vater ist Versicherungsoberinspektor. Ein sehr auf Sicherheit bedachter Beruf. Michael Pink lernt zuerst EDV-Fachmann und beginnt, Biomedizinische Elektrotechnik zu studieren. Er weiß aber schnell, dass er in diesem Beruf nicht alt werden möchte. Als kleiner Junge will er schon weg, schreibt in sein Tagebuch: „Michael geht mal nach Berlin.“ Und Schauspieler möchte er werden. Als er das seinem Vater am Telefon sagt, ist dieser erst mal sprachlos.
Michael Pink bewirbt sich am Franz Schubert Konservatorium für Musik und darstellende Kunst in Wien. „Ich war bei der Bewerbung damals von Angst, noch länger auf meinen Traumjob warten zu müssen, getrieben“, erinnert er sich. Er wird aufgenommen, muss vorher aber noch die Frage beantworten, ob er lustig sei. Er antwortet: „Ja, klar!“
Er mag das Konservatorium. „Allein, was ich da fürs Leben gelernt habe. Alle sollten das machen. Es ist eine Art Psychologiestudium nur für einen selbst. Danach wollte ich mich der kompletten Welt öffnen. Ab diesem Zeitpunkt war ich Mensch und nicht mehr Staatsbürger.“
Nach Engagements in Wien zieht er 2003 nach Berlin, noch so eine Zeitenwende für ihn. Vorher ist er nie in der Stadt gewesen, nur einmal war er in Deutschland, aber in Hamburg. Er kennt Berlin also nicht, möchte aber trotzdem dort leben. „Ich habe es nie bereut“, sagt er. Er mag die Stadt mit ihrer Vielfältigkeit.
Beruflich läuft es ebenso. Er spielt in Serien wie „Soko Wien“, „Ein starkes Team“ und oft im „Tatort“ mit. 2017 ist er in Adrian Goigingers mehrfach ausgezeichnetem Drama „Die Beste aller Welten“ dabei. Für seine Darstellung des „Griechen“ wird er für den Österreichischen Filmpreis in der Kategorie Beste männliche Nebenrolle nominiert. Beim Discover Filmfestival London wird Michael Pink 2018 als Best Actor für seine Schauspielerische Leistung in Michael Podogils „Fucking Drama“ ausgezeichnet.
Und er bekommt eine Rolle in „Skyfall“. Er lebt während der Dreharbeiten vier Monate lang in London. „Ich konnte mir diese Stadt das erste Mal leisten“, sagt er. Am Set ist er plötzlich Mitglied einer „professionellen großen James-Bond-Familie“. Es sei eine Erfahrung gewesen, von der er nachher noch profitiert habe. „Ich habe dort wahnsinnig viel gelernt.“
Ich glaube daran, dass aus der Krise eine bessere Gesellschaft hervorgehen kann.
Michael Pink
In der Corona-Zeit hatte er, so sagt er, „ebenso ganz großes Glück, zu einer kleinen Randgruppe zu gehören. Ich hatte vorher angefangen zu drehen und war so privilegiert zu wissen, dass ich nach dem Lockdown weiterdrehe.“
Er schaut auf den See. Die Sonne scheint an jenem Tag. Schwäne drehen ihre Runden. Menschen lachen. Es ist alles fast wie vor ein paar Wochen. Trotzdem hat sich vieles geändert.
Was hat ihn am meisten betroffen gemacht? „Dass sich viele Künstler plötzlich als System irrelevant gefühlt haben.“ Die Menschen hätten mehr Filme in der Zeit als je zuvor gesehen, Bücher gelesen, im Netz Ausstellungen oder Konzerte angeschaut. Und trotzdem sei die Kunst als unwichtig dargestellt worden. „Das Großartige an Kunst ist ja, dass für alle etwas dabei ist. Sie ist vielseitig. Kunst ist auch ein großer Wirtschaftsfaktor. Alle Kulturen sind durch Kunst weitergekommen.“ Es sei wichtig, die Vielfalt zuzulassen und Kunst nicht kleinzureden.
Man kann auch mit kleinen Dingen zufrieden sein.
Michael Pink
Trotzdem will er diese Zeitenwende positiv sehen: „Ich glaube daran, dass aus der Krise eine bessere Gesellschaft hervorgehen kann“, sagt er. „Die Saat ist gesät.“ Viele hätten sich besonnen, seien mehr bei sich gewesen. Hätten mal ihr Hamsterrad hinterfragt, in dem sie tagtäglich herumgejagt seien.
„Es beginnt im Kleinen, wir können nicht gleich Weltverbesserer oder Großentscheider sein, man kann bei sich im Umfeld anfangen, bewusster zu leben.“ Nachhaltig mit der Natur zu sein, im Umgang mit Menschen liebevoller. „Ich bin ja auch ein Verfechter, dass die Nachrichtensendungen positiver werden, dass sie Tipps geben, wie man mit Situationen besser umgehen kann.“
Er fügt hinzu: „Viele vergleichen sich mit Hollywoodstars oder anderen Persönlichkeiten und wollen so sein wie sie. Andere träumen von einem Lottogewinn, weil sie denken, sich erst mit ein paar Millionen aus dem System befreien zu können. Dabei ist das im realen Leben oft gar nicht notwendig, man kann auch mit kleinen Dingen zufrieden sein – und man hat so die Chance, das Reale als schön anzuerkennen.“