Saskia von Bargen will Miss Germany werden.
Saskia von Bargen will Miss Germany werden. dpa/Sina Schuldt

Seit 100 Jahren wird der Titel „Miss Germany“ verliehen: Hildegard Kwandt war die allererste Titelträgerin, die 1927 gerade aus Ostpreußen in die Metropole gekommen war. Wie eine Königin wurde die Neu-Berlinerin in einer rauschenden „Nacht der Frauen“ im Berliner Sportpalast gekürt.

Die erste Miss Germany Hildegard Kwandt mit Jury, 1927
Die erste Miss Germany Hildegard Kwandt mit Jury, 1927 Bundesarchiv, Bild 146-1977-062-16 / CC-BY-SA 3.0/Free Commons

In Berlin wurde eine Miss Germany zuletzt im Jahre 2002 gewählt, seit 2003 findet die Veranstaltung im Europapark Rust bei Freiburg statt. Dort könnte fast 100 Jahre nach der ersten Miss-Wahl eine Sensation stattfinden. Schönheit allein reicht längst nicht mehr, um den Titel zu gewinnen: Gesucht wird eine Preisträgerin mit „Mission“, einer Geschichte, die andere Menschen inspiriert. 

Wird Saskia von Bargen die erste transgeschlechtliche „Miss Germany“?

Unter den zehn Kandidatinnen ist eine, die sich als Botschafterin für ein Thema versteht, dass viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, immer mehr Verständnis, aber auch Hass in sozialen Medien und auf den Straßen: Saskia von Bargen ist trans. Würde sie gewinnen, wäre die 19-Jährige die erste „Miss Germany“ werden, in deren Personalausweis einmal ein männlicher Vorname stand.

Wenn Saskia von Bargen alte Fotos von sich anschaut, sieht sie ein Kind, das aussieht wie ein Junge - und stets am liebsten mit Mädchen spielte und Kleider anziehen wollte. Bereits mit fünf Jahren erklärte das Kind, dass es ein Mädchen sei - auch wenn es bei der Geburt als Junge eingeordnet worden war. „Meinen Eltern war schnell klar, dass das keine Phase ist“, sagt die 19-Jährige, die mit ihren Eltern und drei jüngeren Schwestern in Friedrichsfehn im niedersächsischen Ammerland lebt.

Diese Kandidatinnen wollen 2023 Miss Germany werden: Sandra Friedrichs (hintere Reihe, l-r) , Vanessa Didam, Catharina Convents, Saskia von Bargen, Chantal Epli, Lena Petrides, Kira Geiss, (vordere Reihe, l-r) Audrey Boateng, Eva Placzek und Romy Kölzer.
Diese Kandidatinnen wollen 2023 Miss Germany werden: Sandra Friedrichs (hintere Reihe, l-r) , Vanessa Didam, Catharina Convents, Saskia von Bargen, Chantal Epli, Lena Petrides, Kira Geiss, (vordere Reihe, l-r) Audrey Boateng, Eva Placzek und Romy Kölzer. dpa/Philipp von Ditfurth

Mit elf nahm sie Hormonblocker, um nicht in die männliche Pubertät zu kommen. Zwei Jahre später bekam sie weibliche Hormone, mit 13 outete sie sich in der Schule. Als sie volljährig war, ließ sie sich geschlechtsangleichend operieren. Saskia versteht sich als Botschafterin für das Thema Transgeschlechtlichkeit. Aus diesem Grund habe sie sich auch bei der aktuellen „Miss Germany“-Wahl beworben. Sie ist unter die letzten zehn Kandidatinnen gekommen, am 4. März wird im Europa-Park in Rust das Finale ausgerichtet.

„Miss Germany“-Kandidatinnen sollen eine Inspiration sein – „Das Äußere spielt absolut keine Rolle mehr“

Seit bald 100 Jahren werden „Miss Germany“-Wahlen abgehalten. Bis vor wenigen Jahren stellten dazu Frauen unter anderem auch in Bademode ihre Schönheit auf dem Laufsteg zur Schau. 2019 vollzog das Oldenburger Unternehmen, das die Wahlen alljährlich organisiert, eine radikale Wendung. Seitdem stehen unter dem Motto „Schärpe trägt, wer bewegt“ die Persönlichkeit und die „Missionen“ der Teilnehmerinnen im Vordergrund. „Sie sollen eine Inspiration sein“, sagt Jil Andert vom Unternehmen Miss Germany Studios über die Kandidatinnen. 15 000 Frauen bewarben sich nach Unternehmensangaben für die aktuelle Staffel.

Früher seien bei der Bewerbung Größe und Gewicht abgefragt worden, das passiere nicht mehr, auch der Laufsteg gehört der Vergangenheit an. „Das Äußere spielt absolut keine Rolle mehr“, versichert Andert. Von bisherigen Werbepartnern wie Anbietern von Brautkleidern oder Modeschmuck trennte sich das Unternehmen. Neue Kooperationspartner, die für Nachhaltigkeit stehen, werden gesucht. Erstmals wird in diesem Jahr eine Fördersumme von 25 000 Euro an die Gewinnerin ausgezahlt, die diese für ihre „Mission“ einsetzen kann.

Transgeschlechtliche „Miss Germany“-Kandidatin Saskia von Bargen: 12 OPs, einiges lief schief

Die Freiburger Soziologin Nina Degele hält das Format „Miss Germany“ trotzdem für überholt. Es sei ein „Aufwärmen von Überkommenem, das aus der Zeit gefallen ist“, betont sie. Dass die Miss-Wahlen immer noch Interesse wecken, erklärt sie sich so: „Es ändert sich viel und immer schneller, da sind Stabilitäts-Strohhalme für viele die letzte Rettung.“ Für die Professorin steht fest: „Das Format müsste abgeschafft und durch etwas gänzlich anderes ersetzt werden.“

Saskia von Bargen dagegen empfindet das Format als „perfekte Plattform“ für sich. „Ich will meine Geschichte erzählen“, sagt die 19-Jährige, die eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau in einem Modehaus macht. „Ich will Außenstehende darüber aufklären, was es bedeutet, eine trans Frau zu sein.“ Offen erzählt sie davon, dass einiges bei ihrer ersten Operation schief gelaufen sei. Insgesamt hat sie deshalb zwölf operative Eingriffe hinter sich. „Das war richtig heftig.“ Trotzdem würde sie sich immer wieder dafür entscheiden: „Ich hatte mir das mein ganzes Leben lang gewünscht.“

Saskia von Bargen: Ihre Eltern unterstützten sie, doch in der Schule sollte sie Jungenkleidung tragen

Dass sie nicht als Junge leben wollte, hätten ihre Eltern von Anfang an akzeptiert und später auch unterstützt. In der Schule sollte sie zwar Jungenkleidung tragen, um nicht gemobbt zu werden. Zu Hause und im Urlaub durfte sie aber anziehen, was sie wollte. Den Namen Saskia suchte sie sich selbst aus.

In der weiterführenden Schule sei es dagegen nicht immer einfach gewesen. „Das grenzte schon an Mobbing“, erzählt die Niedersächsin. Doch als sie sich schließlich outete, sei es besser geworden: „Die haben das angenommen.“ Pöbeleien oder Angriffe auf der Straße habe sie nie erleben müssen: Niemand sieht ihr an, dass ihr bei ihrer Geburt ein anderes Geschlecht zugeschrieben worden war.

Bereits im vorigen Jahr kam eine trans Frau bis ins Finale. Saskia hofft nun auf den Titel. Im Finale stehen unter anderem auch eine Schornsteinfegerin, die sich für Frauen im Handwerk engagiert, sowie eine Hebamme, die ein Geburtszentrum gründen will. „Es ist herausfordernd, einzelne, gänzlich unterschiedliche Missionen im Zuge der Auszeichnung zu vergleichen“, sagt Jil Andert, die mit in der Jury sitzt. Erwogen werde daher, ob in Zukunft mehrere Preise in unterschiedlichen Kategorien vergeben werden. Den bekannten Markennamen „Miss Germany“ zu ersetzen - das steht jedoch nicht zur Debatte.