Wertlose Dinge oder leere Kartons werden aus den Wagons geworfen und liegen dann zwischen den Gleisen.
Wertlose Dinge oder leere Kartons werden aus den Wagons geworfen und liegen dann zwischen den Gleisen. Enterpress

Zu Goldgräberzeiten nahmen Banditen in Kalifornien bevorzugt die Postkutschen ins Visier. 150 Jahre später sind es Frachtzüge der „Union Pacific“-Eisenbahn, die im Großraum Los Angeles zum beliebten Ziel von Dieben und Plünderern werden. Besonders gefragt: Fracht-Container mit Amazon-, FedEx und US-Post-Paketen.

Das Schienennetz südlich vom Union Station Hauptbahnhof in Downtown Los Angeles hat sich in eine gigantische Müllhalde verwandelt. Der Grund: Ganze Banden von oft mehr als 50 Personen springen auf die langsam fahrenden Frachtzüge und brechen die versiegelten Wagontore auf. Sobald sie ins Inneren eingedrungen sind, werden die Pakete durchsucht und geplündert.

Banden springen auf langsam fahrende Frachtzüge auf

Wertlose Dinge oder leere Kartons werden aus den Wagons geworfen. Andere Diebe werfen große Wertgegenstände raus, damit Komplizen sie dann aufsammeln und abtransportieren können. Jason Carlisle arbeitet für den Aufräumdienst der Stadtwerke und muss mit seinen Kollegen die Schienen teilweise regelrecht freischaufeln: „Wir finden alles, von Covid-Tests über Autoreifen, Waschmaschinen bis zu Fernsehern“.

Frachtzüge der „Union Pacific“-Eisenbahn werden im Großraum Los Angeles zum Ziel von Dieben und Plünderern.
Frachtzüge der „Union Pacific“-Eisenbahn werden im Großraum Los Angeles zum Ziel von Dieben und Plünderern. Twitter

Auf gut 10 Kilometern verteilen sich die Paketreste und Warentrümmer links und rechts von den Schienen. Für „Lincoln Heights“-Anwohner Armando Castillo, der von seinem Wohnzimmerfenster auf die Schienen schaut, „sieht es aus wie in einem Dritte Welt-Land.“ Er hat selbst schon beobachtet, wie Banden nach Einbruch der Dunkelheit ihre Plünder-Aktionen durchgeführt haben: „Von Polizei ist weit und breit nichts zu sehen!“

Für die Behörden ist es ein Katz-und-Maus-Spiel. Zwar wurden im letzten Jahr mehr als 100 Zug-Räuber von der Polizei festgenommen, doch mussten sie oft innerhalb von 24 Stunden wieder freigelassen werden. Ein Sprecher der Polizei im örtlichen TV-Sender „Fox11“: „Außer die Festgenommenen haben Beute im Wert von über 800 Dollar an sich, bekommen sie nur eine Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit. Wenn sie die Geldstrafe bezahlen, sind sie sofort wieder frei und wahrscheinlich auf dem Weg zum nächsten Zug.“

In den Monaten vor Weihnachten stiegen die Frachtzug-Überfälle um 350 Prozent.
In den Monaten vor Weihnachten stiegen die Frachtzug-Überfälle um 350 Prozent. Enterpress

In den drei Monaten vor Weihnachten stiegen die Frachtzug-Überfälle um 350 Prozent. Der Schaden an den Wagons allein betrug laut „Union Pacific“ im Jahr 2021 mehr als 5 Millionen Dollar. Der Gesamtverlust für Amazon, FedEx, den Großmarkt Target und den US Postal Service wird auf dreistellige Millionenhöhen geschätzt. Alle haben angekündigt, den Käufern bestellte und nicht angekommene Frachtzugware zu erstatten.

Viele ahnungslose Kunden warteten nun vergeblich auf Bestellungen, die niemals zu ihnen kommen werden. So wie die hochschwangere Eve Shaffer, die Anfang Dezember einen teuren Babysitz fürs Auto bei FedEx bestellt hatte. Ein Reporter des Senders „NBCLA“ fand diesen im halbaufgerissenen Karton verdreckt neben dem Schienenbett – mit Shaffers Adresse noch lesbar. Die werdende Mutter aus Seattle fiel aus allen Wolken, als sie von der TV-Station informiert wurde: „Das Verhalten einiger Menschen ekelt mich echt an. Ich habe mehrmals bei FedEx nachgefragt, warum der Sitz noch nicht da ist – und die hatten keine Ahnung.“

Polizeichef Alex Villanueva vom Los Angeles County hat inzwischen eine Spezialeinheit mit Namen „Cargo Cats Task Force“ gebildet, die die Attacken auf Frachtzüge verhindern oder zumindest eindämmen soll.