Eine Spritze mit Impfstoff.
Eine Spritze mit Impfstoff. Foto: imago images/ULMER Pressebildagentur

Das Prinzip aller heute zugelassenen Impfstoffe beruht darauf, dass sie im Körper die Bildung sogenannter neutralisierender Antikörper hervorrufen. Diese binden sich an das Virus und verhindern so, dass es an den menschlichen Zellen andocken und in diese eindringen kann. Doch dies setzt nur an einer Stelle der Immunabwehr an. „Für eine effektive Impfung muss man parallel T-Helferzellen stimulieren“, sagt Carlos A. Guzmán, Leiter der Abteilung Vakzinologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. „Nur so bekommt man effektive Antikörper, und es bildet sich ein immunologisches Gedächtnis, das bei einer Infektion die Produktion eben dieser Antikörper hervorruft.“ Man wisse zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, welche Impfstrategie schließlich von Erfolg gekrönt sein werde, so Guzmán. „Daher ist es sinnvoll, verschiedene Strategien parallel zu verfolgen.“ Laut offizieller Darstellung der WHO vom 15. Juli befinden sich zurzeit weltweit 23 sogenannte Impfstoff-Kandidaten in einer klinischen Evaluation. Hier ein Überblick:

Lebendimpfstoff: Von attenuierten (abgeschwächten) Erregern spricht man, wenn diese sich zwar noch vermehren können, jedoch ihre krankmachenden Eigenschaften verloren haben. Viren werden dazu etwa in anderen Organismen, zum Beispiel Hühnereiern, oder in Zellkulturen vermehrt. Sie verlieren dabei ihre Pathogenität. Viele Impfstoffe basieren auf attenuierten Erregern, etwa die gegen Mumps, Masern und Röteln. An einem Impfstoff gegen Covid-19 arbeitet das Serum Institute of India mit dem US-Unternehmen Codagenix. Von Vorteil wäre bei diesen Impfstoffen, dass ihre massenhafte Produktion wenig Probleme bereiten würde und eine Immunität erreicht werden könnte, die der natürlichen sehr ähnlich wäre. „Gegen Covid-19 wollen wir aber vor allem Menschen impfen, die besonders gefährdet sind“, sagt Carlos A. Guzmán. „Ausgerechnet für Individuen aus den Risikogruppen könnte ein Impfstoff aus einem abgeschwächten Virus zu gefährlich sein.“

Inaktiviertes Virus: Auch ein inaktiviertes Virus hätte als Impfstoff den Vorteil, eine der natürlichen Immunantwort ähnliche Reaktion im menschlichen Körper hervorzurufen. Chinesische Forscher zeigten schon im April, dass ein Impfstoff – basierend auf Sars-2-Viren, die mit der Chemikalie Propiolacton abgetötet worden waren – effektiv Makaken vor einer erneuerten Infektion schützte, obwohl diese mit einer extrem hohen Virusdosis infiziert wurden. Die Meerkatzen-Verwandten sind die Versuchstiere, deren Immunsystem dem menschlichen am ähnlichsten ist. „Diese Inaktivierungstechnik ist gut bekannt und gut einsetzbar für eine Produktion in anderen Einrichtungen – das spricht dafür, dass dieser Impfstoff in großem Maßstab hergestellt werden könnte“, schreibt Emma Risson von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York im Fachblatt Nature Reviews Immunology. Denn diese Art von Impfstoff wird gegen Hepatitis A und Tollwut angewendet, Produktionsanlagen existieren weltweit. Klinische Studien solcher Impfstoffe laufen in China.

Protein-Impfstoff: Bei dieser Art von Impfstoff wird ein Virus-Protein von der Oberfläche des Erregers (oder ein Teil eines solchen Moleküls) künstlich hergestellt und injiziert. Das Immunsystem bildet dann dagegen Antikörper. Hier besteht die Schwierigkeit darin, das richtige Virus-Molekül auszusuchen, damit Antikörper das Virus am Eintritt in die Zelle hindern und es für Zellen des Immunsystems markieren können. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, solche Impf-Proteine zu verabreichen, zum Beispiel gekoppelt an Nanopartikel. Klinisch getestet werden bislang vier Kandidaten. Alle benutzen jeweils ein modifiziertes Spikeprotein von Sars-CoV-2, also das Molekül des Erregers, das ihm den Eintritt in die menschliche Zelle verschafft.

Erbsubstanz-Impfstoff: Die Erbsubstanz von Coronaviren besteht aus RNA. Bei RNA-Impfstoffen injiziert man die genetische Information für ein Virus-Protein (meist verpackt in Nanopartikeln) in den Menschen. Daraus stellen unsere Zellen das Protein selbst her, das etwa bei Protein-Impfstoffen injiziert wird. Das Prinzip ist also ähnlich wie bei einer echten Infektion, nur dass hier lediglich ein sehr kleiner Teil des Virus-Bauplans geliefert wird, auf dessen Grundlage kein komplettes Virus gebildet werden kann. Aber durch die Produktion des Virus-Proteins in der menschlichen Zelle ahmt auch dieses Verfahren eine natürliche Infektion nach. „Dadurch steigt die Chance, dass durch die Impfung auch Killerzellen für die Abwehr einer späteren Infektion mit Sars-CoV-2 aktiviert werden“, sagt Guzmán. „Das Risiko einer Impfung mit RNA wird gering eingeschätzt, denn sie gelangt nicht in den Zellkern und wird relativ schnell abgebaut.“ Das Funktionsprinzip eines DNA-Impfstoffes wiederum ist ähnlich wie bei der RNA-basierten Variante – mit dem Unterschied, dass DNA in der Zelle erst in RNA umgeschrieben werden muss. Allerdings ist DNA langlebiger als RNA. „Man muss befürchten, dass sie sich eventuell ins Genom integriert“, berichtet Guzmán.

Die Produktion eines Impfstoffes aus Erbsubstanz ist simpel, weil nur die Buchstabenfolge des Genoms bekannt sein muss – deshalb gehörten diese Impfstoffe zu den ersten, bei denen Tests am Menschen begannen. Diese laufen mit fünf RNA-Kandidaten und zwei DNA-Vakzinen. Obwohl es heute einfach ist, RNA und DNA synthetisch herzustellen, existieren noch keine großen Produktionsanlagen, denn bisher wurde noch kein Erbsubstanz-Impfstoff zur präventiven Impfung zugelassen. „Jedoch sind die ersten Ergebnisse aus den klinischen Studien mit dem Moderna-RNA-Impfstoff ermutigend“, sagt Carlos A. Guzmán. Die US-Biotech-Firma Moderna hatte jüngst von Impfstofftests berichtet, die positiv verlaufen. Ende Juli will sie große Testreihen mit 30.000 Freiwilligen beginnen.

Vektorviren-Impfstoff: Wie bei einer RNA- oder DNA-Vakzine wird bei einem Vektor-Impfstoff ein Stück Erbgut des Coronavirus in eine menschliche Zelle gebracht und dort in ein Protein übersetzt. Als Vehikel dient hier aber ein harmloses Virus. Der Vorteil besteht darin, dass eine Infektion stattfindet. Die Chance, dass dies das Immunsystem auf verschiedenen Wegen anregt – inklusive natürlicher Killerzellen und T- Helferzellen – ist groß. Klinisch getestet werden zurzeit Vektorviren, die sich nicht im Körper vermehren können.

„Es ist möglich, dass Menschen immun gegen Vektorviren sind“, sagt Guzmán. Dann könnte das Immunsystem diese vernichten, bevor sie einen Immunschutz gegen das Coronavirus aufbauen. Bei einem von der chinesischen Firma CanSino Biologics entwickelten Impfstoff wäre das theoretisch denkbar, denn es handelt sich um einen Adenovirus Typ 5, der beim Menschen vorkommt. Der an Universität Oxford entwickelte Impfstoff dagegen, von dem vier europäische Staaten vergangenen Monat 300 Millionen Impfdosen gekauft haben, umgeht dieses Problem, weil der Vektor auf einem Adenovirus basiert, das nur bei Schimpansen vorkommt. Es ist deshalb extrem unwahrscheinlich, dass Menschen dagegen Antikörper haben.

„Dieser Kandidat hat Affen gegen die Covid-19-Pneumonie geschützt", sagt Guzmán. Der Impfstoff habe aber weder die Virus-Infektion noch die Freisetzung des Virus verhindern können. „Wenn das auch bei Menschen der Fall ist, dann können geimpfte Individuen wahrscheinlich immer noch andere Menschen anstecken.“ Die Produktion von Vektor-Impfstoffen ist relativ einfach – allerdings werden sie bisher kaum angewendet. Nur zwei sind bereits zugelassen, einer gegen Dengue-Fieber und einer gegen Ebola. „Es gibt keine ideale Technologie", sagt Guzmán, „und vielleicht wird eine zweite Generation von Covid-19-Impfstoffen nötig sein, um einen optimalen Schutz gegen das Virus in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu erzielen.“

Der Kandidat des chinesischen Biotechunternehmens CanSino soll angeblich schon bald bei Angehörigen des chinesischen Militärs eingesetzt werden – ohne Abschluss der klinischen Studien. Das gleiche gilt für den Impfstoff des indischen Herstellers Bharat Biotech, der auf einem abgeschwächten Tollwut-Virus als Vektor beruht. Dies sind gefährliche Experimente. „Je kleiner die Gruppen bei der klinischen Entwicklung sind, desto weniger kann man seltene Nebenwirkungen feststellen“, erläutert Carlos Guzmán. „Und wenn man die Versuchsteilnehmer nicht lange nachverfolgt, dann wird man auch zeitverzögerte Nebenwirkungen nicht finden.“