Verzweiflungstat

Nach fast 70 Jahren Ehe: Mann (92) gesteht Tötung seiner dementen Frau

Nahezu rund um die Uhr habe er die 91-Jährige gepflegt, lediglich zweimal in der Woche Hilfe einer Sozialstation bekommen.

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Vor dem Landgericht Würzburg hat ein Prozess gegen einen 92-Jährigen begonnen, der seine kranke Ehefrau aus Mitleid getötet haben soll.
Vor dem Landgericht Würzburg hat ein Prozess gegen einen 92-Jährigen begonnen, der seine kranke Ehefrau aus Mitleid getötet haben soll.Nicolas Armer/dpa

70 Jahre lang war ein Paar aus Unterfranken verheiratet  bis der Mann eine Decke nahm, sie seiner Frau ins Gesicht drückte und sie tötete. Die Tat hat einen tragischen Hintergrund: Die Frau war an Demenz erkrankt.

Seit heute muss sich ein 92-Jähriger aus Gemünden (Landkreis Main-Spessart) wegen Totschlags vor dem Landgericht Würzburg verantworten. Er gestand seine kranke und pflegebedürftige Frau nach fast 70 Jahren Ehe getötet zu haben. Der Mann habe nicht aus Eigennutz oder Feindseligkeit gehandelt, sondern aus Liebe, sagte der Verteidiger am Dienstag zu Prozessauftakt im Namen seines Mandanten. „Ich habe mich in den all den Jahren bestmöglich um meine Frau gekümmert“, verlas der Anwalt eine Erklärung.

Nahezu rund um die Uhr habe er die 91-Jährige gepflegt, lediglich zweimal in der Woche Hilfe einer Sozialstation bekommen. Der Angeklagte sei verzweifelt gewesen, weil die Pflege ihn überfordert und er nicht gewollt habe, dass seine Frau in ein Heim muss. Beide hätten verabredet, gemeinsam zu sterben zu wollen.

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In der Tatnacht war laut Anklage für den 92-Jährigen alles zusammengekommen: die persönliche Überforderung durch die Pflege und die bevorstehende Trennung von seiner Frau. Am 3. November 2019 nahm der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft eine Decke, drückte sie seiner Frau ins Gesicht und erstickte sie. Auch die Anklage geht davon aus, dass der 92-Jährige aus Aussichtslosigkeit handelte – weil er mit seiner Frau kein gemeinsames Leben in Gesundheit und Selbstbestimmung führen konnte.

Der Angeklagte verfasste einen Abschiedsbrief mit Anweisungen für die Zeit nach dem Tod. Denn er wollte auch sich das Leben nehmen. Laut Anklage soll er geschrieben haben, dass es der gemeinsame Wille der Eheleute gewesen sei, zusammen aus dem Leben zu scheiden.

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Etwa eine Stunde nach der Tat rief der Angeklagte den Notarzt und bat, die Leichen abzuholen und die Hinterbliebene zu kontaktieren. Danach legt sich mit einem Föhn in eine Wanne voll Wasser und schaltet ihn an. Doch der Suizidversuch misslingt.

Hilflos, überfordert – die Polizisten, die den Rentner nach der Tat finden, berichten dem Gericht von einem gebrochenen Menschen. „Ich fand einen völlig verzweifelten, erschöpften und lebensmüden Mann vor mir“, sagt ein Beamter. Der Angeklagte habe noch in der Wanne gesagt: „Ich kann meine Frau nicht mehr versorgen. Es geht nicht mehr. Wir wollen nicht mehr leben.“ Irgendwie habe er in diesem Moment sogar Verständnis für den 92-Jährigen gehabt. „Ich habe ihm das geglaubt, dass er völlig fertig und erschöpft ist.“

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Ob die demenzkranke Frau geistig in der Lage gewesen war, über ihr Leben zu entscheiden und die Tragweite dieser Entscheidung zu überdenken, wird aller Voraussicht nach Bestandteil der Verhandlung werden.

Der 92-Jährige Ehemann muss sich nun wegen Totschlags verantworten, „ohne ein Mörder zu sein“, wie der Oberstaatsanwalt sagte. Er vermutet eine schwere depressive Verstimmung hinter der Tat und geht von einer verminderten Schuldfähigkeit aus.

Das Paar hatte keine Kinder. Der Prozess soll am Donnerstag fortgesetzt werden.