In Brokstedt gedenken Menschen der Opfer der Messerattacke.
In Brokstedt gedenken Menschen der Opfer der Messerattacke. Marcus Brandt/dpa

In Schleswig-Holstein sitzt der Schock nach dem gewaltsamen Tod zweier Jugendlicher in einem Regionalzug noch immer tief. Während die Angehörigen trauern, macht sich in der Politik die Frage breit, wie es dazu kommen konnte, dass der vorbestrafte Ibrahim A. zur Tatzeit auf freiem Fuß war. Offenbar führte ein Gutachten nur wenige Tage vor der Bluttat zu seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft.

Messer-Attacke in Regionalzug: Wieso war Ibrahim A. auf freiem Fuß?

Es war Innenministerin Nancy Faeser, die bei einem Besuch in Brokstedt die zentralen Fragen stellte: Wie konnte das passieren, dass er trotz so vieler Vorstrafen nicht länger in einer Justizvollzugsanstalt war? Und wieso wurde er so früh aus der Untersuchungshaft entlassen?

Die Gründe dürften bei der Hamburger Justiz zu suchen sein. Denn in der Hansestadt wurde der staatenlose Palästinenser am Amtsgericht St. Georg im August 2022 nach einem Messerangriff wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls zu einem Jahr Haft verurteilt. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig war und die Dauer der U-Haft bereits fast die komplette Haftdauer abgedeckt hatte, entschied man sich, vorbehaltlich eines psychiatrischen Gutachtens, den Mann wieder auf freien Fuß zu setzen.

Und das fiel offenbar positiv aus. „Ein Psychiater hat kurz vor der Entlassung keine Fremd- und Selbstgefährdung festgestellt“, sagte eine Sprecherin der Hamburger Justizbehörde am Donnerstagabend. Die Entlassung erfolgte am 19. Januar, sechs Tage später stach Ibrahim A. auf seine Opfer ein.

Messer-Attacke in Regionalzug: Anwalt überrascht über Haft-Entlassung

Dem Gutachten entgegen steht die Einschätzung des Richters bei der Verurteilung, der ein 50-prozentiges Risiko sah, dass Ibrahim A. wieder Straftaten begehe.

Und auch für den Anwalt von Ibrahim A. kam die Entlassung überraschend, wie er dem Spiegel sagte. Laut ihm wäre es „besser gewesen, man hätte ihn auf die Entlassung vorbereiten können“. Ibrahim A. sei vor der Inhaftierung obdachlos gewesen, nach der Entlassung aus der U-Haft stand er auf der Straße. Familienangehörige in Deutschland habe er nicht gehabt, ebenso wenig eine Ausbildung. In den Jahren zuvor habe er sich mit Fahrer-Jobs für Amazon und DHL durchgeschlagen.

Brokstedt in Schleswig-Holstein: Ermittler sammeln Spuren im Regionalzug.
Brokstedt in Schleswig-Holstein: Ermittler sammeln Spuren im Regionalzug. dpa/Jonas Walzberg

Bevor Ibrahim A. zum Täter wurde, war der staatenlose Palästinenser selbst zum Opfer von Gewalttaten geworden. Laut dem Amtsgericht St. Georg haben er und seine Angehörigen „schwerste Misshandlung durch die Hamas“ erlitten. Ibrahim A. selbst seien Verbrennungen und Schnittverletzungen zugefügt worden.

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Nun sitzt der staatenlose Palästinenser wieder in Untersuchungshaft. Bei einer Verurteilung dürften viele weitere Jahre im Gefängnis dazukommen.