Mehr als 50.000 Corona-Tote: Darum hinkt der Vergleich zur Grippe-Welle
Gezählt werden Menschen, die „an“ und „mit“ dem Virus sterben. Wichtig ist die generelle Übersterblichkeit sowie die direkte Untersuchung der Todesursachen.

Die Zahl der im Zusammenhang mit Coronavirus-Infektionen in Deutschland verzeichneten Todesfälle seit Beginn der Pandemie hat die Marke von 50.000 überschritten. Wie das Robert-Koch-Institut (RKI) am Freitagmorgen unter Berufung auf Angaben der Gesundheitsämter mitteilte, wurden inzwischen insgesamt 50.642 Todesfälle registriert.
Damit gibt es inzwischen doppelt so viele registrierte Corona-Todesfälle wie Grippe-Todesfälle in der besonders schweren Saison 2017/18. In jenem Jahr starben schätzungsweise 25.100 Menschen in Deutschland an Influenza, wie das RKI mitteilte. Diese Zahl wird mitunter herangezogen, um zu argumentieren, dass die Corona-Epidemie in Deutschland „nicht schlimmer als eine Grippewelle“ sei.
Der Vergleich zur großen Grippewelle von 2017/2018 führt in die Irre
Doch was steckt hinter den Zahlen? Gezählt werden laut RKI bei den Corona-Todesfällen sowohl Menschen, die unmittelbar an der Erkrankung durch das Virus verstarben, als auch Menschen mit Vorerkrankungen, die infiziert waren, bei denen sich aber die genaue Todesursache nicht abschließend nachweisen lässt. Dies wird mitunter als „an“ und „mit“ Corona verstorben bezeichnet.
Doch auch jene Zahl von 25.100 Grippe-Toten in der Saison 2017/18 ist keine absolute Zahl. Damals gab es genau 1674 laborbestätigte Todesfälle. Das heißt: So viele wurden gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) als nachgewiesene Influenzavirus-Infektion an das RKI übermittelt. Zum Vergleich: Im Zusammenhang mit dem Coronavirus zählte das RKI bereits Mitte April 2020 mehr als 3000 laborbestätigte Todesfälle.
Die Zahl der Grippe-Toten in jener Saison war eine sogenannte Exzess-Mortalitäts-Schätzung. Dafür wird zuerst eine Hintergrundmortalität errechnet, also die erwartete Todesrate ohne Einfluss von Influenza. „Die mittels statistischer Verfahren geschätzte Anzahl zusätzlicher Todesfälle wird als Exzess-Mortalität bezeichnet“, schreibt das RKI. Man nennt dies Übersterblichkeit.
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Im Gegensatz zur damaligen Grippewelle sind alle bisher 50.642 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona laborbestätigt. Das heißt, das Virus Sars-CoV-2 wurde bei allen Betroffenen nachgewiesen. Zur Einschätzung des Gesamtgeschehens ist aber auch die Übersterblichkeit wichtig. „Betrachtet man die Entwicklung im Jahr 2020 nach Kalenderwochen, dann haben sich von der 13. bis zur 18. Kalenderwoche (23. März bis 3. Mai) durchgehend und deutlich erhöhte Sterbefallzahlen im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 gezeigt“, berichtet das Statistische Bundesamt (Destatis) in einer Sonderauswertung. Im gesamten April habe die Übersterblichkeit bei 10 Prozent gelegen. Im August habe sich dann eine Hitzewelle mit plus 7 Prozent ausgewirkt.
In der zweiten Oktoberhälfte seien „mit dem erneuten Anstieg der Covid-19-Todesfallzahlen auch die gesamten Sterbefallzahlen über den Durchschnitt hinaus“ angestiegen, so das Bundesamt. Im Oktober habe die Übersterblichkeit fünf Prozent betragen, im November 12 Prozent. In einer einzigen Woche – vom 21. bis zum 27. Dezember – seien mindestens 24.470 Menschen gestorben, mit einer Übersterblichkeit von 31 Prozent (5832 Fälle über dem Durchschnitt). In der Woche davor seien es 26 Prozent gewesen.
Zu beachten ist, dass nicht nur von Woche zu Woche Unterschiede bestehen, sondern auch von Region zu Region. Sachsen zum Beispiel verzeichnete Mitte Dezember eine Übersterblichkeit von 109 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019. In Brandenburg waren es 41, in Thüringen 36, in Hessen 32, in Baden-Württemberg 27 Prozent. In Schleswig-Holstein und Hamburg dagegen gab es sogar eine leichte Untersterblichkeit von -1 und -4 Prozent.
Insgesamt soll sich die Sterblichkeit in Deutschland um drei Prozent erhöht haben, mit starken Unterschieden zwischen den Bundesländern. Auch in anderen Ländern Europas ist sie erhöht, vor allem in England, Frankreich, Belgien, Spanien und Italien, aber auch in Schweden und der Schweiz.
Altersstruktur hat einen großen Einfluss auf die Zahl der Todesfälle
Viele Faktoren sind dabei zu beachten. So betonte das Statistische Bundesamt bereits bei der Auswertung der Daten bis zur letzten Maiwoche 2020, „dass die überdurchschnittlichen Fallzahlen zum Teil auch auf Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung zurückzuführen sind“. Die Zahl der 80-Jährigen und Älteren sei zwischen 2016 und 2019 um 15 Prozent gestiegen – von 4,9 Millionen auf 5,7 Millionen.
Auch unter den 1674 gemeldeten Grippetoten von 2017/18 war die Hälfte 80 Jahre alt oder älter. Insgesamt 87 Prozent gehörten zur Altersgruppe ab 60 Jahre. Bei Corona sind sogar etwa 85 Prozent aller Verstorbenen älter als 70 Jahre. Ein großer Teil litt an einer oder mehreren Vorerkrankungen. Ganz klar zu beobachten sind vermehrte lokale Ausbrüche in Heimen, so wie sie Mitte Dezember aus sechs Pflegeheimen in Berlin gemeldet wurden.
Zu berücksichtigen ist aber auch der Lockdown selbst. Es könnte auch insgesamt mehr Todesfälle geben, weil andere Krankheiten mitunter nicht mehr adäquat behandelt werden – etwa Herzinfarkte und Schlaganfälle – oder alte Menschen vereinsamen. „Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie können allerdings auch dafür sorgen, dass weniger Sterbefälle durch andere Infektionskrankheiten wie beispielsweise die Grippe verursacht werden“, so das Bundesamt, „was sich ebenfalls auf die Differenz zum Durchschnitt auswirkt.“ Es könnte auch sein, dass einige Covid-19-Todesfälle gar nicht als solche registriert werden, weil es keinen Test gab.
Untersuchungen zufolge stirbt die Mehrzahl der Infizierten „an Corona“
Die Verbände der Pathologen haben sich jedenfalls schnell bemüht, herauszufinden, ob die Übersterblichkeit tatsächlich vor allem im Zusammenhang mit Covid-19 steht. Von Beginn an obduzierten sie möglichst viele vermutete Corona-Todesfälle, um die Ursache des Todes festzustellen. So fanden Forscher der Uniklinik Aachen bei der Auswertung bundesweiter Obduktionsergebnisse heraus, dass rund 85 Prozent der obduzierten Corona-Toten tatsächlich an Schäden verstarben, die das Coronavirus selbst oder das überschießende Immunsystem verursacht hatte – auch wenn teilweise Vorerkrankungen vorlagen. Das berichtete die „Tagesschau“.
Unter anderem aus dem stark betroffenen Bayern sind genauere Untersuchungen bekannt geworden. Hier lägen zu 91 Prozent der gemeldeten Infektionsfälle mit Sars-CoV-2 Informationen zur Todesursache vor, teilte das Landesamt für Gesundheit mit. Davon seien etwa 88 Prozent an Covid-19 und 12 Prozent an einer anderen Ursache verstorben. Auf den Punkt gebracht heißt das: Die meisten Corona-Toten sind tatsächlich an der Infektion verstorben.