Behandlung von Covid-19 : Mediziner zur Corona-Therapie: „Wir haben enorm viel gelernt“
Erst seit wenigen Monaten kennen die Ärzte Covid-19. Seitdem haben sich die Erkenntnisse zur Erkrankung deutlich verändert – und damit auch die Methoden der Behandlung. Eine Bestandsaufnahme.

Covid-19 ist eine eigenständige Krankheit mit einem vielfältigen Bild. Die Mediziner, die in den Kliniken weltweit damit zu tun haben, mussten und müssen viel lernen. Zwar erkranken die meisten Infizierten überhaupt nicht oder nur leicht. Aber ein Teil landet am Ende doch in der Klinik – zurzeit zum Glück sehr wenige.
Der medizinische Lernprozess lässt sich unter anderem an den intensivmedizinischen Leitlinien erkennen. Erste Empfehlungen zur Therapie schwerkranker Covid-19-Patienten hatten mehrere deutsche Fachgesellschaften bereits im März veröffentlicht. Die zweite Version folgte im Juni, die dritte Ende Juli. „Wir fangen jetzt an mit der vierten Version“, sagt Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
Der Erreger Sars-CoV-2 war im Januar in Deutschland angekommen. „Wir wussten anfangs nur, dass das Virus Lungenerkrankungen mit dramatischen Verläufen verursachen kann“, sagt Janssens, der am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler nach dem Karneval Covid-19-Patienten aus dem benachbarten Kreis Heinsberg behandelte. „Seitdem haben wir enorm viel gelernt.“
Inzwischen weiß man: Covid-19 betrifft längst nicht nur Lunge und Atemwege. „Man hat schnell an den Verläufen gemerkt, dass die Patienten verschiedenste Symptome hatten“, sagt Julian Schulze zur Wiesch, Infektiologe am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). „Covid-19 ist eine vielschichtige Erkrankung.“ Clemens Wendtner, der in München die ersten Patienten in Deutschland behandelt hat, vergleicht das Wissen über die Krankheit mit der Spitze eines Eisbergs. „Das Ausmaß der Erkrankung wird erst schrittweise deutlich“, sagt der Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing.
Auf die Infektion mit Sars-CoV-2 reagieren die Menschen sehr unterschiedlich. Die meisten Infizierten sind asymptomatisch oder haben lediglich milde, unspezifische Symptome. „Bei 81 Prozent der Patienten ist der Verlauf mild, bei 14 Prozent schwer, und 5 Prozent der Patienten sind kritisch krank“, heißt es in der aktuellen Leitlinie. UKE-Mediziner haben Patienten der Uniklinik, die während der schweren Grippewelle 2017/2018 wegen Influenza behandelt wurden, mit Covid-19-Patienten verglichen. „Die Covid-Patienten waren bei der Aufnahme tendenziell jünger und wurden deutlich länger behandelt“, fasst Julian Schulze zur Wiesch die Resultate zusammen. „Die Covid-Patienten hatten schwerere Verläufe und eine höhere Sterblichkeit.“
Wenn das Immunsystem überreagiert
Generell teilen Mediziner den Verlauf von Covid-19 grob in zwei Phasen ein: Die erste ist die virale Phase, in der sich der Erreger in den Atemwegen vermehrt. Sie dauert bis zu zehn Tage nach Symptombeginn. Die zweite ist die inflammatorische Phase, gekennzeichnet durch Entzündungsprozesse, die weit über die Atemwege hinausreichen und nahezu alle Organsysteme betreffen können.
Gefährlich ist vor allem diese zweite Phase, die aber längst nicht bei jedem Erkrankten eintritt. Viele Faktoren können auf einen schweren Verlauf hindeuten – eine geringe Sauerstoffsättigung im Blut, eine schnelle Atmung und insbesondere hohe Entzündungswerte, etwa beim C-reaktiven Protein (CRP). Im schlimmsten Fall droht Patienten ein sogenannter Zytokinsturm, eine ausufernde Reaktion des Immunsystems.
Doch auch ohne Zytokinsturm können die Entzündungen viele Organe in Mitleidenschaft ziehen, etwa Nieren, Leber, Verdauungstrakt, Herz und Gehirn. So können diese Prozesse das Endothel schädigen – jene Zellschicht, die die Innenseite der Blutgefäße auskleidet – und zu Blutpfropfen führen. Diese Thromben können in verengten Gefäßen die Blutversorgung blockieren und so Herzinfarkt, Schlaganfall oder Lungenembolie verursachen. Deshalb sind insbesondere Menschen mit Gefäßschädigungen gefährdet, zum Beispiel bei Bluthochdruck oder koronarer Herzerkrankung, aber auch Menschen mit vorgeschädigter Lunge, Niere und Leber. „Dieser Prozess kann jedes Organ schädigen, das über die Blutbahn versorgt wird“, sagt Wendtner.
Untersuchungen zeigen, dass die Gabe von Blutverdünnern wie etwa Heparin solche Probleme verhindern kann. So berichteten US-Mediziner nach einer Studie mit knapp 4400 Teilnehmern im „Journal of the American College of Cardiology“, dass Blutverdünner nicht nur die Sterberate deutlich senken, sondern auch das Risiko für eine künstliche Beatmung. Besonders wichtig: Thrombosen fanden die New Yorker Mediziner auch bei jenen Covid-19-Verstorbenen, bei denen es zuvor keine Hinweise auf ein besonderes Thromboserisiko gegeben hatte. Daher empfiehlt die Leitlinie bei Covid-19-Patienten auch die prophylaktische Gabe von Blutverdünnern.