Zwischen blau und rot
Warum die „Matrix“-Trilogie eigentlich eine Geschichte über Transgender ist
In „Matrix“ werden Menschen in einer Scheinwelt festgehalten, bis Hauptfigur Neo sich traut, aus dem System auszubrechen. Was hat das mit Transsein zu tun?

Kaum ein Film stellte unsere Vorstellung von Realität und Simulation derart auf den Kopf wie die „Matrix“-Filmreihe. Millionen Menschen strömten 1999 in die Kinosäle, um den eindrucksvollen Science-Fiction-Streifen mit revolutionären Spezialeffekten zu sehen. Im Internet wurde die Handlung schon damals heiß diskutiert. Und gerade wenn Sie dachten, den Film komplett verstanden zu haben, schleicht sich noch eine weitere Deutungsebene ein. In dem Film geht es nämlich nicht nur um Wirklichkeit und Schein, den Kampf zwischen Mensch und Technologie, sondern auch um die Suche zur Geschlechtsidentität. So haben Sie ganz bestimmt noch nie über die „Matrix“-Reihe nachgedacht!
Darum geht’s in „Matrix“
Bei Tag ist Thomas Anderson (gespielt von Keanu Reeves) ein stinknormaler Mitarbeiter einer Software-Firma. Nachts wird er zu Neo, einem Profihacker, der sich im Cyberspace bewegt. Als er einer geheimen Botschaft auf seinem Computer folgt, beginnt für ihn eine Reise, die sein Leben für immer verändert. Über die Hackerin Trinity (gespielt von Carrie-Anne Moss) lernt er den Anführer Morpheus (Laurence Fishburne) kennen, der ihn vor die Wahl stellt: Entscheidet er sich für die blaue Pille, bei der sein Leben im schönen Schein weitergeht, oder für die rote Pille, die ihm zeigt, dass die Menschen in einer von Robotern gesteuerten Simulation, in der Matrix, leben?
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Das Drehbuch des Kultfilms und seiner Fortsetzungen „Matrix Reloaded“ und „Matrix Revolutions“ schrieben die Wachowskis, damals noch als Wachowski-Brüder bekannt. Die Geschwister, die auch Regie führten, sind beide trans: Lana lebt seit 2012 offiziell als Frau, ihre jüngere Schwester Lilly outete sich im Jahr 2016. Ihre Intention war es nicht, einen Film über das Transsein zu machen, beide lebten zu der Zeit offiziell noch als Männer. Später bestätigten die Schwestern jedoch, dass der Film unterbewusst zu dem geworden ist: einer Transgender-Allegorie. Und das sind die Gründe dafür.

Transgender in „Matrix“? Von Neos Übergang zur wahren Welt, roten und blauen Pillen und transphoben Agenten
Der Hauptdarsteller Neo ist in einer Welt gefangen, in der er Mr. Anderson genannt wird, ein Name, den er abgrundtief hasst. Im Laufe des Films wird er sich bewusst, dass er gar nicht Mr. Anderson und die mit diesem Namen verbundene Identität ist. Er legt den Namen ab und lebt von da an seine wahre Identität aus, die er in Neo gefunden hat. Als Neo in der realen Welt aufwacht, beginnt seine Transition.
Zum Beginn des Films muss sich Neo entscheiden: Nimmt er die blaue oder die rote Pille? Er entscheidet sich für die rote, mit der seine Transition beginnt. Ein weiteres Zeichen, denn zu der Zeit, als der Film herauskam, waren Östrogen-Pillen, die zur Geschlechtsangleichung eingenommen werden, rot.
Und auch die Figur Switch (gespielt von Belinda McClory) ist ein weiteres Indiz. Ursprünglich sollte Switch je nach Welt ein anderes Geschlecht haben, in der Realität männlich und in der Matrix weiblich. Weil die Welt jedoch laut den Wachowskis Ende der 90er-Jahre noch nicht bereit war, wurde daraus nichts.
Erinnern Sie sich noch an den Agenten Smith (gespielt von Hugo Weaving)? Er verfolgt Neo und jene Menschen, die von der Matrix in die Wirklichkeit übergehen und ihre wahre Identität leben wollen. Die bösen Agenten könnten als Transphobe gedeutet werden, erklärt die Tiktokerin Lilly Tino in einem Video. „Sie werden alles tun, um die Menschen von ihrer Umwandlung abzuhalten, würden sogar Gewalt anwenden“, sagt die Transaktivistin in dem Video. „Kommt Ihnen das bekannt vor?“, fragt Lilly Tino und weist damit auf die Gewalt hin, der Transmenschen auch heute noch ausgesetzt sind.
Wachowski-Schwestern über „Matrix“: „Der Wunsch nach Veränderung“
Und was sagen die Wachowski-Schwestern zu den Filmtheorien? In einem Interview mit dem Streamingdienst Netflix aus dem Jahr 2020 erklärt Lilly Wachowski: „In ‚Matrix‘ geht es um den Wunsch nach Transformation, nach Veränderung.“ Auf die Frage, ob die Interpretation der „Matrix“-Filme als Trans-Allegorie beabsichtigt war, antwortet Lilly: „Das war Absicht, aber die Welt war noch nicht bereit dafür beziehungsweise die Unternehmenswelt war es noch nicht.“ Sie freue sich, wie sehr die Filme der Trans-Community geholfen haben. Einige Menschen hätten ihr gesagt, der Film hätte ihr Leben gerettet, weil sie ihre eigene Transformation mehr akzeptieren konnten. „Ich bin froh, dass die Menschen die ‚Matrix‘-Filme nun mit einem Trans-Narrativ schauen.“ Die Wachowski-Schwestern kreierten eine Welt, in der alles möglich ist, und bieten dem Publikum eine rote Pille an, eine Einladung, um über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.
Wenn Sie die Filmreihe nun mit einem frischen Blick sehen, werden Sie noch weitere Details finden, die darauf hinweisen, dass es auf einer zweiten Ebene um Geschlechteridentitäten geht. Wie beispielsweise in der Endszene, in der Neo einen Systemausfall auslöst und seine letzten Worte an die Agenten richtet: „Ihr habt Angst vor uns. Ihr habt Angst vor Veränderungen.“ Die Kamera zoomt dann auf die Wörter „System Failure“, genauer auf den vielsagenden Zwischenraum der Buchstaben M und F. Jener Raum zwischen den Geschlechtern männlich und weiblich, der Platz für alle Farben des Regenbogens in einer Gesellschaft lässt, jenseits der Geschlechterbinarität.