Der Angeklagte Nuradi A. spricht vor der Urteilsverkündigung im Saal des Landgerichts mit seinem Verteidiger Siegmund Benecken.
Der Angeklagte Nuradi A. spricht vor der Urteilsverkündigung im Saal des Landgerichts mit seinem Verteidiger Siegmund Benecken. David Inderlied/dpa

Fünf Jahre Haft für den gewaltsamen Tod eines Menschen: Dieses Urteil sorgt für Diskussionen nach einer Tat, die im Sommer 2022 Entsetzen ausgelöst hatte. Die Verurteilung erfolgt nach Jugendstrafrecht. Das psychologische Gutachten hatte Erstaunliches zum Vorschein gebracht.

Wegen des gewaltsamen Todes von Malte C. (25) in Münster ist der 20-jährige Angeklagte am Mittwoch zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Zudem ordnete das Landgericht Münster die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt für suchtkranke Straftäter an, wie ein Gerichtssprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Die Anschuldigung lautete auf Körperverletzung mit Todesfolge. Der verurteilte Mann hatte nach Gerichtsangaben die Tat eingeräumt. Die Verhandlung war zum Schutz des heranwachsenden Angeklagten teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt worden. (AZ: 21 KLs 16/22)

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Malte C. wollte CSD-Teilnehmerinnen vor Nuradi A. schützen

Das Strafmaß entspricht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Bis das Urteil rechtskräftig werde, bleibe der Angeklagte in Untersuchungshaft, erläuterte der Gerichtssprecher. Der 25-jährige Transmann Malte C. war im August des vergangenen Jahres am Rande des Christopher Street Day in Münster niedergeschlagen worden und an seinen schweren Verletzungen gestorben. Als Tatverdächtiger war wenige Tage nach dem Vorfall der 20-jährige Nuradi A. festgenommen worden.

Laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft soll der 20-Jährige drei Teilnehmerinnen, von denen eine ihr Geschlecht in einer späteren Vernehmung als männlich angab, in sexuell anstößiger Weise angesprochen haben. Als die Frauen auf diese Provokation deutlich ablehnend reagiert hätten, soll der Mann die Frauen mit homophoben und queerfeindlichen Worten beschimpft und ihnen Schläge sowie die Ermordung ihrer Familien angedroht haben.

Der 25-jährige Transmann Malte C. soll laut Staatsanwaltschaft den Mann aufgefordert haben, die Zeuginnen in Ruhe zu lassen. Daraufhin soll der Angreifer ihm einen Stoß gegen die Brust sowie gegen das Gesicht versetzt haben. Das Opfer soll zu Boden gegangen und mit dem Hinterkopf auf dem Pflaster aufgeprallt sein. Der 25-Jährige starb an den Folgen der Verletzungen.

Gutachten: Verdrängen seiner eigenen Homosexualität könnte Agressionen von Nuradi A. bestärkt haben

Die Tat hatte große Betroffenheit ausgelöst. Vertreter aus Bundes- und Landespolitik, der Kirchen sowie von Lesben- und Schwulenverbänden äußerten sich erschüttert und bekundeten Mitgefühl mit Angehörigen und Freunden des Gestorbenen.

Im Februar war der Inhalt des psychologischen Gutachtens zum Thema öffentlich geworden, demzufolge der Täter homosexuell sein soll. Dies soll Nuradi A. seit seinem 14. Lebensjahr bewusst gewesen sein. Wohl auch durch das konservative islamische Umfeld, in dem er groß wurde, soll er dies verdrängt haben. Er habe sich geschämt und befürchtet, dass sein in Tschetschenien lebender Vater von seiner sexuellen Neigung erfahren könnte. In diesem Zusammenhang könnte die Verdrängung seiner eigenen Homosexualität Aggressionen bestärkt haben, die er auf andere queere Menschen lenkte.

Das Strafmaß entspricht der Forderung der Anklage: Diese hatte einen Tötungsvorsatz ausgeschlossen. „Er nahm schwere Verletzungen billigend in Kauf“, so Oberstaatsanwalt Dirk Ollech in seinem Plädoyer am Dienstag. „Dass er ihn töten könnte, hat der Angeklagte in dem Moment nicht geglaubt.“ Als früherer Boxer habe Nuradi A. die Erfahrung gemacht, dass die Gegner nach einem K.-o. wieder aufstehen.

Verurteilt wurde Nuradi A. nach Jugendrecht: Das ist bei Erwachsenen bis 21 Jahre nicht zwingend, aber möglich und dann üblich, wenn im psychologischen Gutachten Entwicklungshemmnisse bescheinigt werden. „Er stand eher einem Jugendlichen gleich als einem Erwachsenen“, so hatte es der Oberstaatsanwalt in seinem Plädoyer formuliert.