Luftkampf mit Kartoffelkäfern
In einer irrwitzigen Propaganda-Kampagne bezichtigte die DDR 1950 die Amerikaner, Kartoffelkäfer über ihren Feldern abgeworfen zu haben.

Leptinotarsa decemlineata, besser bekannt als Colorado Kartoffelkäfer, misst gerade mal 7 bis 15 Millimeter. Die Auswirkungen, die sein massenhaftes Auftreten hat, sind ungleich größer. Ganze Kartoffelfelder fressen der Käfer und seine Larven in Kürze leer, kein Wunder, dass das gestreifte Insekt bei Bauern gefürchtet war und ist. Im Mai 1950 sind besonders viele der Käfer auf den Feldern zwischen Ostsee und Thüringen unterwegs, das Jahr 1949 war ein trockenes, warmes Jahr.
Dass der Käfer nun so gehäuft auftritt, ist für die erst wenige Monate alte Republik DDR eine Katastrophe und Anlass für eine irrwitzige Kampagne. In den Sommermonaten des Jahres 1950 ist für die Agitatoren und bald auch hoffentlich für jeden DDR-Bürger klar: die Amerikaner haben die Käfer über ostdeutschen Feldern abgeworfen. Sie wollen die Republik in den Grundfesten erschüttern und am empfindlichsten Punkt treffen. Bei der sowieso schon prekären Versorgung mit Grundnahrungsmitteln.
Die Idee, mit Schädlingen ganze Ernten zu vernichten, ist nicht neu. Schon im ersten Weltkrieg erwogen Briten und Franzosen einen Abwurf über deutschen Feldern. Verwarfen den Plan aber aus Angst um die eigenen Ernte. Im zweiten Weltkrieg experimentierten die Nazis mit der biologischen Waffe. Zum Einsatz kamen die Krabbeltierchen doch wohl von keiner Seite. 1941 wurde ein Kartoffelkäferabfangdienst eingesetzt, die Gefahr, die von dem Käfer ausging, war stets präsent. Spätestens seit 1945 waren die Zeitungen voll von Meldungen über Einsätze gegen Kartoffelkäfer. „Erst einmal aber noch völlig ohne jede politischeVerbindung“, sagt Dr. Stefan Wolle, wissenschaftlicher Leiter im DDR-Museum.
Sonntags auf die Käferjagd
Für die Landbevölkerung in Ost und West war es völlig normal, im Sommer auf Käferjagd zu gehen. „Jeden Sonntag um halb sechs am Abend zog ein ganzer Trupp aus dem Dorf los um Kartoffelkäfer zu sammeln. Aus jedem Haus musste jemand mit“, erinnert sich Helene Dressel aus Brünn in Thüringen. 1950 war sie 20 Jahre alt, Kartoffelkäfer hatten bisher zu jedem ihrer Sommer gehört. In ein Glas gesammelt und unschädlich gemacht, hielt man die Plage meist in Schach. Nicht so 1950.
Die politische Großwetterlage sah düster aus. Spätestens seit 1948 befanden sich Ost – und Westmächte nach Berlin Blockade und Währungsreform im Kalten Krieg. Nur wenig später soll er sich in Korea zu einem der grausamsten Kriege auswachsen. Die Westmächte stehen im Visier der DDR. „Bis dahin galten die Siegermächte als unantastbar“, erklärt Stefan Wolle. Doch das ändert sich nun. Spätestens mit dem Angriff Nordkoreas auf Südkorea am 25. Juni 1950 begann eine Informations- und Diffamierungsschlacht in den deutschen Zeitungen - hüben wie drüben.
Der Westen befürchtete eine Infiltration durch die Kommunisten, ein Angriff stünde kurz bevor, überall jagte man Atomspione, Verräter, antikommunistische Hysterie war groß in Mode.
Und auch im Osten war keine Lüge zu platt um den westlichen Feind zu diskreditieren. Die Kartoffel-Käfer Story wurde besonders detailreich erzählt. Das Neue Deutschland druckte Flurkarten, nannte Flugrouten von Amerikanischen Flugzeugen, ließ Augenzeugen zu Wort kommen. Am 16. Juni bringt das SED-Zentralorgan die Schlagzeile: „Außerordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen große Mengen Kartoffelkäfer ab.“ Die Zeitung veröffentlicht den Bericht einer Regierungskommission von Agrarstaatssekretär Paul Merker. „Ob die Leute das wirklich geglaubt haben, kann man heute nicht sicher sagen“ so der Historiker Wolle. Sichtbare Folge der Kartoffel-Käferplage aber sind gut besuchte Sammeleinsätze. „Das gemeinsame Handeln gegen die Gefahr von außen als Klammer, das hat schon funktioniert“, sagt Wolle.
Die Geschichte vom Abwurf der Käfer verbände den Vorwurf der Infiltration mit Ungeziefer, so Stefan Wolle. Das sei nicht neu, aber effektiv. Der Ami-Käfer, auf Flugblättern mit Stars and Stripes abgebildet, war der perfekte Schädling im Stimmungskrieg. Sogar die Tschechen und Polen stiegen ein, diagnostizierten ebenfalls abgeworfene Käfer auf ihren Feldern.
Dass es die gleichen Käfer auch im Westen gab, und dass die Amerikaner sich selbst mehr Schaden zugefügt hätten durch grenzignorierende Insekten sind nur zwei Belege dafür, dass es einen Käfer-Abwurf nie gab. Eine internationale Konferenz Ende Februar 1950 in Florenz zeigt: Der Kampf gegen den Kartoffelkäfer ist seit dem Ende des Krieges von vielen Staaten vernachlässigt worden. Zu diesen Versäumnissen kommt das Wetter hinzu. Der DDR-Pflanzenschutzdienst stellt fest, dass die für die Käfer günstige Witterung zur „vollen Entwicklung einer zweiten Generation im Jahre 1949“ geführt habe. Die Folge sei im Frühjahr 1950 eine massive Zunahme von „Altkäfern“.
Rache aus Pappe
„Erstaunlich ist nur, dass die Kampagne so schnell und heftig wie sie begann, auch wieder eingestellt wurde. Nach nur vier Monaten ist im August keine Rede mehr von Ami-Käfern“, sagt Stefan Wolle. Die Meldungen zu Kartoffelkäfern aber gehen weiter. Entweder habe man im Politbüro das Gefühl gehabt, den Bogen überspannt zu haben oder die alte Beißhemmung gegenüber den Amerikaner habe wieder gegriffen, so Wolle. Vermerke in den Akten gibt es zur Aktion Kartoffelkäfer jedenfalls nicht. Die einzigen Kartoffelkäfer, die über der DDR abgeworfen wurden, waren aus Pappe. Als propagandistische Gegenmaßnahme wurden von Mitarbeitern einer Abteilung des Pressereferats des Gesamtdeutschen Ministeriums in Bonn Kartoffelkäfernachbildungen aus Pappe mit aufklärerischen Politsprüchen und dem Buchstaben F für "Freiheit" auf der Rückseite an sämtliche Räte der Gemeinden der DDR versandt. Andere Papp-Kartoffelkäfer wurden ausgestanzt und tatsächlich über der DDR abgeworfen.
Und die Propaganda-Schlacht verlagerte sich en einen anderen Schauplatz: Noch im selben Jahr behauptete die DDR-Presse, die Amerikaner wollten den Lorelei-Felsen sprengen und so das gesamte Rheinland fluten. Ernst Busch dichtete ein Lied darauf. Sogar Fotos von Sprenglöchern wurden veröffentlicht. Und noch zehn Jahre später, als in Babelsberg der Film „Planet des Todes“ nach Stanislaw Lem gedreht wurde, hielt man die Raketenattrappe im Westen für eine echte russische Atomrakete.