Wehe, wenn das Coronavirus nach Moria kommt
Im griechischen Flüchtlingscamp Moria leben mehr als 20.000 Menschen unter schwierigsten hygienischen Bedingungen. Erreicht das Coronavirus das Lager, drohen tausende Tote.

Mytilini - Zu Hause bleiben, das ist das Gebot der Stunde. Um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, gelten in vielen Ländern Europas Ausgangssperren oder Kontaktverbote. Doch nicht überall ist das möglich. Auf der griechischen Insel Lesbos leben mehr als 20.000 Geflüchtete im Camp Moria, das eigentlich nur für rund 3000 Menschen ausgelegt ist. Rückzugsorte gibt es nicht, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Die Seenotrettung „Mission Lifeline“ schlägt Alarm.
Wasserversorgung brach in Teilen von Moria ab
Gut waren die Zustände in Moria nie gewesen. Doch die neuesten Nachrichten, die in den vergangenen Tagen von Beobachtern aus dem Lager dringen, klingen immer bedrohlicher: Nach Angriffen von Rechtsextremen und aus Angst vor der Corona-Pandemie haben immer mehr Helfer das Flüchtlingscamp verlassen. Wer noch da ist, zeichnet ein düsteres Bild.
Am Mittwoch berichtete die „Mission Lifeline“ auf Twitter, dass die Krätze im Camp ausgebrochen sei. Die Versorgung mit Medikamenten sei schlecht. Die Wasserversorgung brach ab. In Teilen des Camps, das in die sogenannte Sektion – ein Abschnitt mit einfachen, befestigten Häusern – und den sogenannten Dschungel – eine völlig überfüllte Zeltstadt – aufgeteilt ist, wurde die Wasserversorgung zeitweise komplett runtergefahren“, sagte „Mission Lifeline“-Sprecher Axel Steier dem KURIER. Die Lage habe sich am Freitag zwar ein bisschen verbessert, Hygienestandards seien aber weiter nicht einzuhalten.

Und in dieser Situation bedroht nun auch die Corona-Pandemie die Menschen im Camp. Fliehen können sie nicht. Laut Axel Steier werden nur noch 100 Menschen pro Stunde zum Einkaufen gelassen. Viele werden sogar ganz daran gehindert, das Camp zu verlassen. Sie stehen an, um einzukaufen, für die Ausgabe von Essen und Trinkwasser, das kürzlich auf neun Liter pro Tag und Familie rationiert wurde. Die Möglichkeit, Abstand zu halten, haben sie ebenso wenig, wie die, sich mit sauberem Wasser die Hände zu waschen.
Beobachter fordern Evakuierung von Moria
Das Corona-Virus ist bereits auf Lesbos angekommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch ins Camp Moria gelangt. „Wenn das so kommt, rechnen wir mit 1000 Toten“, sagt Steier. Andere Beobachter sehen die Lage sogar noch schlimmer. Lisa Papadimitriou ist für „Ärzte ohne Grenzen“ auf Lesbos. Dem „Spiegel“ sagte sie, dass viele der Flüchtlinge chronische Krankheiten haben. Sie gehören zur Risikogruppe. Drei Ärzte und eine Hand voll Pfleger seien noch im Camp. Man versuche alles, um einen Corona-Ausbruch herauszuzögern. Ältere oder chronisch erkrankte Menschen könne aber nur eine Evakuierung retten.
Eine solche Evakuierung plant die „Mission Lifeline“ schon länger. Die Organisation konnte 55 000 Euro für einen Charterflug sammeln, um so bis zu 100 Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen. Unterkünfte und Helfer stehen in Deutschland bereit. Auch eine 14-tägige Quarantäne könne sichergestellt werden. Denn die sei ohnehin üblich, sagt Steier. Doch alles hängt derzeit am Startsignal der Politik. „Wir brauchen einen Minister, der das Ganze unterschreibt“, sagt Steier. Doch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat die Zuständigkeit in Richtung der EU geschoben. Ehe die nicht entscheidet, kann der Rettungsflieger nicht starten.

Der Grünen-Politker Erik Marquardt, der seit fast vier Wochen als Beobachter auf Lesbos ist, kritisiert die Doppelstandards. Es sei absurd, dass es auf der einen Seite in Griechenland eine Straftat ist, sich mit mehr als zehn Leuten auf der Straße zu treffen, wenn wir andererseits Orte in Europa haben, an denen 20000 Menschen eng zusammengepfercht“ leben müssten, sagte er der Nachrichtenagentur AFP.
Trotz aller Appelle scheint es mit jedem Tag der vergeht, immer unrealistischer, dass die Situation in Moria sich noch dramatisch verbessert, bevor das Coronavirus im Camp ausbricht und sich unaufhaltsam verbreitet.