Frankfurter Gleisattacke jährt sich zum ersten Mal
Vor einem Jahr wurde ein Achtjähriger von einem Mann vor einen einfahrenden ICE gestoßen und starb. Wie steht es heute um die Sicherheit am Bahnsteig?

Es ist der Morgen des 29. Juli 2019, Ferienzeit. Am Frankfurter Hauptbahnhof warten Reisende an Gleis 7 auf den ICE nach München. Auch ein Achtjähriger aus dem Hochtaunuskreis will gemeinsam mit seiner Mutter in den Urlaub aufbrechen. Doch dann stößt ein Mann Mutter und Sohn vor den einfahrenden Zug. Der Junge wird überrollt, stirbt noch im Gleisbett. Die Frau kann sich gerade noch zur Seite rollen und überlebt. Die Polizei fasst wenig später den Tatverdächtigen: einen Familienvater aus Eritrea, der zuletzt in der Schweiz gelebt hatte.
In Frankfurt saß der Schock tief. Es gab eine Trauerandacht am Bahnhof. Viele Menschen legten wochenlang Blumen, Kerzen, Plüschtiere und Briefe am Gleis nieder. Bei einer Spendenkampagne im Internet sammelten Unterstützer 115.000 Euro für die Angehörigen.
Sie seien „tief berührt“ gewesen von der Anteilnahme, den Briefen und Spenden zahlreicher fremder Menschen, ließ die Familie jetzt über ihren Anwalt Ulrich Warncke mitteilen. Die Eltern und die Schwester des Jungen sind weiterhin in psychologischer Betreuung. „Seit dem tragischen Verlust unseres kleinen Sohns und Bruders geht es uns nicht gut, in den vergangenen Monaten stand einzig die Erinnerung und Trauer um unseren kleinen Leo im Vordergrund“, erklärte die Familie. Sein früher Tod sei der „schwerste Schicksalsschlag, dessen Schmerz uns das ganze Leben begleiten wird“.
Im August beginnt der Prozess
Der Jahrestag und die anstehende Hauptverhandlung seien besonders schwer zu ertragen, hieß es. Der Prozess beginnt am 19. August vor dem Frankfurter Landgericht. Die Schwurgerichtskammer muss über den Antrag der Staatsanwaltschaft entscheiden, den 41-Jährigen dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Die Anklage legt ihm Totschlag und versuchten Totschlag zur Last. Auch Mord und versuchter Mord kämen laut Gericht infrage, „sofern die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass der Beschuldigte unter bewusster Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer gehandelt hat“.

Nach der Attacke demonstrierten Bundesregierung und Bahn schnell Handlungsbereitschaft. Zumal nur wenige Tage vor der Tat eine Frau in Voerde in Nordrhein-Westfalen von einem 28-Jährigen vor einen Zug gestoßen und tödlich verletzt worden war. Mit moderner Videotechnik und 1300 zusätzlichen Bundespolizisten wollte man auf Abschreckung setzen. Beides sollte bis 2024 umgesetzt sein.
Bundesregierung, Bahn und Bundespolizei errichteten zudem eine gemeinsame Arbeitsgruppe, die verschiedene Maßnahmen „auf ihre tatsächliche Wirksamkeit“ prüfen soll. Zur Debatte stehen Zugangsbeschränkungen zu Bahnsteigen, die Simulation von Gittern vor den Bahngleisen oder das Aufbringen von Markierungen an Bahnsteigkanten. Bereits geplante Prüfungen mussten jedoch wegen der Corona-Pandemie verschoben werden.
Am Frankfurter Hauptbahnhof wurde die Polizeipräsenz bereits erhöht. Ansonsten erinnert nichts mehr an das schreckliche Geschehen. All die Blumen, Briefe, Kuscheltiere und Kerzen sind längst abgeräumt. Bald jedoch soll es ein Symbol des Gedenkens für den kleinen Jungen geben.