30.000 neue Spuren in Missbrauchsfall Bergisch Gladbach

In Gruppenchats motivierten sich die Pädophilen zur Tat

In Nordrhein-Westfalen sind Ermittler auf eine neue Dimension von Kindesmissbrauch gestoßen. Sie entdeckten Tarnnamen und Spuren von potenziell mehr als 30.000 Verdächtigen.

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November 2019: Polizei und THW durchsuchen im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfalls Bergisch Gladbach ein Haus im nordrhein-westfälischen Alsdorf. Nun sind viele weitere Spuren aufgetaucht.
November 2019: Polizei und THW durchsuchen im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfalls Bergisch Gladbach ein Haus im nordrhein-westfälischen Alsdorf. Nun sind viele weitere Spuren aufgetaucht.dpa/Dagmar Meyer-Roeger

Der Missbrauchsskandal von Bergisch Gladbach ist offenbar noch viel größer als zunächst angenommen. Denn die Ermittler sind auf neue Spuren gestoßen - und diese könnten zu mehr als 30.000 Verdächtigen führen, teilte das Justizministerium von NRW mit. Dabei gehe es auch in der Breite nicht nur um den Besitz von Kinderpornografie, sondern auch um schweren Kindesmissbrauch.

Offenbar habe de Fall Bergisch Gladbach internationale pädokriminelle Netzwerke mit Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum zu Tage geführt. Laut NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) gebe es Gruppenchats, in denen Täter wie selbstverständlich mit ihren Missbrauchstaten umgehen. Sie heizten sich an und gäben sich Tipps, etwa, welche Beruhigungsmittel man Kindern am besten verabreiche, um sie sexuell zu misshandeln.

„Wer zögert, wird von den anderen ermutigt und bedrängt, seine Absichten in die Tat umzusetzen“, berichtete NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU). In diesen Chats würden auch Verabredungen zum Missbrauch mehrerer Täter an einem Kind getroffen. Die Selbstverständlichkeit der Kommunikation über die Taten sei „in höchstem Maße irritierend“ und „zutiefst verstörend“, so der Justizminister, dem „speiübel geworden“ sei, nachdem er von den neuen Fakten gehört hatte. Es sei zu befürchten, dass in einer solchen Atmosphäre die Hemmschwellen sinken und auch solche Männer Missbrauchstaten begingen, die ohne entsprechendes Umfeld davor zurückgeschreckt wären.

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) informierte über den aktuellen Stand der Ermittlungen. 
NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) informierte über den aktuellen Stand der Ermittlungen. dpa/Federico Gambarini

Eine eigene „Task Force“ von Cyber-Ermittlern werde am Mittwoch die Arbeit aufnehmen. Sechs Staatsanwälte würden sich dann unter großem Zeitdruck zuerst um die Fälle bemühen, bei denen davon auszugehen ist, dass der Missbrauch von Kindern fortgesetzt werde. 

Ob es in allen Fällen gelinge, hinter den Pseudonymen, mit denen die Kriminellen kommunizieren, die tatsächlichen Namen zu ermitteln, sei unklar, sagte Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der Cybercrime-Zentralstelle NRW. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass sich hinter den 30.000 Spuren weniger als 30.000 Verdächtige verbergen, da pädophile Nutzer unter Umständen mehrere Konten nutzen. 

Der Fall in Bergisch Gladbach war im Oktober 2019 ins Rollen gekommen. Seither wurden bundesweit 72 Verdächtige identifiziert, zehn waren zuletzt in Untersuchungshaft. Sieben Anklagen wurden bereits erhoben. Ein Soldat (27) wurde als erster Täter bereits verurteilt - zu zehn Jahren Haft und Unterbringung in der Psychiatrie für unbestimmte Zeit.

Bundeswehrsoldat Bastian S. bei seinem Gerichtstermin. Er wurde bereits für seine Taten verurteilt. 
Bundeswehrsoldat Bastian S. bei seinem Gerichtstermin. Er wurde bereits für seine Taten verurteilt. dpa/Frank Christiansen

Zuletzt arbeiteten noch etwa 120 bis 140 Ermittler täglich an dem Komplex. In der Spitze waren es sogar 350. Drei von ihnen sind inzwischen krankgeschrieben, weil das Anschauen der Bilder zu belastend für sie gewesen sei. Viele andere Kollegen hatten psychologische Betreuung in Anspruch genommen. Durch ihren Einsatz gelang es bereits 44 Kinder zu identifizieren und aus ihrer Situation zu befreien. Darunter soll auch ein drei Monate altes Baby.

Während in diesem Komplex die Ermittlungen laufen, gab es im Zusammenhang mit dem Anfang Juni aufgedeckten Missbrauchsfall aus Münster am Dienstag mehrere Festnahmen. Bei Razzien in NRW, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hessen wurden mindestens drei Haftbefehle vollstreckt.