KURIER bei den Flut-Opfern: „Ich habe eh keinen Balken mehr, an dem ich mich aufhängen könnte“
Das Hochwasser traf die Menschen an der Ahr völlig unerwartet. Jetzt räumen sie auf, versuchen die Schäden zu ermessen – und üben sich in Galgenhumor.

„Das ist nicht unser Wagen“, sagt die Frau. Mitte 50 mag sie sein, blondierter Kurzhaarschnitt, graue Trainingsjacke. „Wir hatten doch ein kleines Fenster neben dem Wappen.“ Ihr Mann ist skeptisch: „Doch, das ist er, guck doch mal.“ Die beiden stehen auf einer Straße am Hang der Ahr und starren die Böschung hinunter. Unten im Fluss, etwa sieben Meter tiefer, hat sich ein bizarres Knäuel in den Bäumen verkeilt. Unmengen von Hausrat, Bettwäsche, ein kleines Holzhaus – und die Trümmer von gut einem Dutzend Wohnwagen.
Einer davon könnte ihrer sein. Vielleicht hat ihn das schmutzig-braune Wasser aber auch längst viel weiter fortgerissen. Zwanzig Jahre lang seien sie aus Köln an den Wochenenden hierhergekommen nach Ahrdorf, erzählen sie noch. Jetzt wollen sie wenigstens verstehen, was aus ihrer kleinen Idylle geworden ist.

Es ist nicht leicht, an diesem Wochenende nach dem Hochwasser in der Eifel die Dörfer entlang der Ahr zu besuchen. Ganz praktisch ist es kompliziert, weil viele Straßen gesperrt sind. Manche sind unterspült, manche noch immer überschwemmt. Teils will die Polizei wohl auch einfach Gaffer und Plünderer fernhalten.
Und kommt man durch, dann muss man ertragen, was man sieht – und was jetzt die neue Realität ist für die Menschen, die in dem sanften Tal am Oberlauf des Flusses leben.
Versicherung gegen die Flut? Zu teuer
Der Campingplatz liegt ein kleines Stück weiter flussaufwärts auf einer Insel an einer alten Mühle. Mario Frings ist der Besitzer. Er steht buchstäblich in den Trümmern seiner Existenz. Sein Vater hat den Platz Ende der 1970er-Jahre aufgebaut, er hat ihn übernommen. Mehrere Angestellte, viele treue Stammgäste, vom frühen Morgen bis zum späten Abend immer etwas zu tun. Gerade erst war Corona überstanden, lief das Geschäft wieder an. „Meine Kinder müssen wohl etwas anderes lernen“, sagt er resigniert. Wenn er keine Hilfe bekomme, lasse sich das nie wieder aufbauen. „Ich bin 47 Jahre alt, und ich bin zum ersten Mal in meinem Leben ratlos.“

Hilfe ist schon da, es sind vor allem Freunde und Verwandte. Sie versuchen, Ordnung zu bringen in das Chaos, sortieren die Trümmer auf unterschiedliche Haufen – Metall, Stein, Kunststoff. Sie dürften noch wochenlang zu tun haben. Zahlt die Versicherung? Frings winkt ab. „In der Lage? Die Prämien hätte ich nicht bezahlen können.“
Und gerechnet haben sie hier am Oberlauf der Ahr auch nicht damit, dass der Fluss ihnen zur Gefahr wird. Wie hoch das Wasser stand, wissen sie nicht genau, die Pegel reichen nicht so weit. In normalen Zeiten ist die Ahr hier eher ein verträumter Bach, die Quelle ist nur zehn Kilometer entfernt. Aber am Mittwoch kam das Wasser von überall, die Hänge und Straßen hinunter, selbst winzige Nebenbäche wurden zu reißenden Strömen. Breit wie die Mosel sei die Ahr geworden, erzählen sie.
Viele Häuser am Ufer der Ahr standen seit mehr als 150 Jahren dort
Das schlechte Wetter war für Mario Frings auch ein Glück. Es waren nur gut zwei Dutzend Gäste da. Als das Wasser stieg, konnte er sie rasch evakuieren in die Gaststätte, die ein bisschen höher liegt. Am nächsten Platz flussabwärts, in Stahlhütte, riss das Wasser Wohnwagen mit, in denen sich noch Menschen befanden. An der Zufahrt zu Frings’ Campingplatz hängt ein nagelneuer Skoda im Gebüsch. Der Fahrer dachte, er würde es durchs Wasser schaffen. Schließlich gelang es ihm gerade noch, sich aus dem Auto zu befreien und sich auf eine Birke zu retten. „Das war keine Jahrhundertflut“, sagt Mario Frings. „Das war ein Jahrtausendereignis.“

Hätte man es dennoch ahnen können, hätte man sich vorbereiten können? Kaum, sagt ein Hydrologe im SWR-Radio. Für größere Flüsse lassen sich Modellberechnungen erstellen. Wollte man noch für die kleinsten Nebengewässer jederzeit zuverlässige Prognosen verfügbar haben, dann sei der Aufwand kaum zu bewältigen.
Es ist auch nicht so, dass sie sonderlich leichtsinnig gewesen wären an diesem Teil der Ahr. Es sind nicht wie andernorts Neubaugebiete aus den letzten Jahrzehnten, die sich das Wasser geholt hat. Es sind in vielen Fällen Häuser aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Viele Klärwerke entlang der Ahr hat das Hochwasser zerstört
Weiter ins Dorf. Es riecht seltsam modrig. Eine zähe Brühe sei die Flut gewesen, sagen die Leute. Eine Frau erzählt, ihr Mann arbeite bei den Wasserbetrieben und sei seit Mittwoch im Dauereinsatz, sie habe nichts von ihm gehört. „Alle Kläranlagen wurden überflutet, keine funktioniert mehr.“ Jetzt sei die Sorge, dass das Trinkwasser verschmutzen könnte.

Im Bürgerhaus sind ein Dutzend Leute damit beschäftigt, die Einrichtung vom Schlamm zu befreien. „Wir müssen schnell sein, sonst wird der Matsch hart wie Zement“, sagt Dietmar Schlecht vom Bürgerverein. Dass das Dorf zusammenhält, das sei jetzt das Wichtigste. Es hat längst nicht alle getroffen, die meisten Häuser stehen ein bisschen weiter oben am Hang, auch seines. „Durch meine Garage ist ein bisschen Wasser geflossen, das ist längst wieder weg.“
Ahrdorf ist auch günstiger gelegen als beispielsweise das Dörfchen Schuld, aus dem viele Fernsehkanäle nach der Flut sendeten. Dort beschreibt die Ahr eine Schleife, das Wasser staute sich, entwickelte zusätzliche Zerstörungskraft. In Ahrdorf schlängelt sich der Fluss ganz friedlich, und an seinem Ufer stehen nur wenige Häuser.
Hausrat hat das Hochwasser zu Unrat gemacht
Eines ist das von Roswitha Wirtz. Wieder und wieder fahren die Trecker auf ihren Hof. Helfer laden die Anhänger voll mit nassem, verdrecktem Hausrat, der jetzt nur noch Unrat ist. Teppiche, Sofas, Matratzen, Küchengeräte, Geschirr – alles nicht mehr zu gebrauchen. Oberhalb des Dorfes haben sie eine provisorische Deponie eingerichtet, wo sich der Sperrmüll türmt.
Wirtz steht ein bisschen abseits, lehnt sich an einen Rollator und guckt zu. Sie ist 64 Jahre alt, der Hof ist ihr Elternhaus, 1837 errichtet. Auch ihre Schwester wohnte hier, eines der Häuser hatte ein Nachbar erst vor wenigen Wochen saniert. Wirtz’ kleines Fachwerkhaus sieht äußerlich nur leicht verschmutzt aus, aber es wird womöglich nicht mehr zu retten sein. Ein Mann von der Versicherung sei schon dagewesen. Hoffnung habe er ihr keine gemacht, dass sich die Schäden beheben lassen. Eine Frau aus dem Dorf kommt zu ihr und sagt, sie hätte ein leer stehendes Haus nur ein paar Hundert Meter entfernt, da könne sie hin. Sie bedankt sich, schüttelt den Kopf. „Ich will hier nicht weg.“

Noch ein paar Kilometer den Fluss hinauf liegt das Nachbardorf Ahrhütte. Meinolf Fischer und einige seiner Nachbarn machen gerade eine kurze Verschnaufpause auf dem Hof. „Da, wo du jetzt stehst“, sagt er zum Reporter, „war am Donnerstag noch eine zwei Meter tiefe Grube.“ Das Wasser hat alles mitgenommen, die Pflastersteine, den Sand darunter. Vor allem aber fehlt die Ecke seiner Scheune, direkt am Ufer der Ahr. „Die Wände waren achtzig Zentimeter dick“, sagt Fischer, immer noch ungläubig. Jetzt hängt das Dach in Fetzen an der Fassade herunter, in der Fassade klafft ein großes Loch.
Das Werkzeug, die Antiquitäten, den BMW – alles hat der Fluss geholt
Am Mittwoch sei er noch einer Nachbarin helfen gegangen, der Wasser in den Keller lief. Als er zurückkam, wusste er, dass es brenzlig wird. Sie sind ins Auto gestiegen, auf den Hügel gefahren. Als der Regen aufhörte, kehrte er zurück in ein anderes Leben. Der Einsturz der Scheune hat auch Auswirkungen auf sein Wohnhaus, beide sind baulich verbunden. Der Hauswirtschaftsraum ist schon abgerutscht. Ob der Rest folgt, ob das Haus je wieder bewohnbar sein wird, lässt sich noch nicht absehen.

59 Jahre alt ist Meinolf Fischer. Vor 14 Jahren hat er das Haus gekauft, vor sieben Jahren ist er aus dem Ruhrgebiet permanent dort hingezogen. „Wir hatten uns verliebt in die Bude. Eigentlich war der Plan, dass wir hier unsere besten Jahre verbringen.“ In der Ecke des Hofs steht ein altes BMW-Cabrio, das wollte er renovieren. Die Scheune stand voll mit teuren Werkzeugen und mit Antiquitäten, die er nebenbei verkaufte. „Den französischen Schrank hätte ich für 2500 Euro verkauft. Keine Ahnung, wo es den hingetragen hat.“
Zumindest ist niemand gestorben im Dorf. Die Nachbarn sind da, helfen einander, teilen was sie haben und teilen ihre Last. „Ich habe eh keinen Balken mehr, an dem ich mich aufhängen könnte. Also mache ich weiter.“ Sagt er, lacht und packt wieder an.
50 Kilometer weiter in Erftstadt werden Häuser mitgerissen und verschwinden. Nur wenige Schritte entfernt von der Abbruchkante steht Karl Berger vor seinem Geburtshaus. Er ringt um Fassung. „Dieses Riesenloch“, sagt er, dann kippt die Stimme. Er kenne viele Menschen, die dort lebten. Am Donnerstag sei die Erft - eigentlich „ein juter Fluss“ – stetig angeschwollen. Jetzt sei alles weg. Alles.