Die Welt wartet auf den Impfstoff gegen Corona. 
Die Welt wartet auf den Impfstoff gegen Corona.  Foto: Imago Images

Die EU-Staaten gehen davon aus, dass ein Corona-Impfstoff in einigen Monaten verfügbar sein sollte. Einer der Leiter der entsprechenden EU-Steuerungsgruppe, der Sonderbeauftragte für Gesundheit der österreichischen Bundesregierung, Clemens Martin Auer, sagte der Berliner Zeitung: „Etwa die Hälfte der Hersteller hat vertraglich zugesichert, zu Jahresbeginn 2021 einen marktfähigen Impfstoff zu liefern.“ Dies bedeutet, dass der Impfstoff dann auch durch die Aufsichtsbehörde EMA zugelassen wäre. Auer sagte: „Die Zulassungsbehörde arbeitet völlig unabhängig. Sie ist frei in ihrer Entscheidung und steht auch seitens der EU nicht unter Zeitdruck.“

Sollten die Hersteller den Zeitplan nicht halten können, seien in den Verträgen Verlängerungsmöglichkeiten vorgesehen. Auer sagte, dass dies nötig sei, da es sich teilweise um völlig neue Methoden der Impfstoffentwicklung handle. Auer, der die Steuerungsgruppe gemeinsam mit der stellvertretenden EU-Generaldirektorin Sandra Galina leitet, sagte: „Für uns ist entscheidend, dass die Qualität der Impfstoffe gesichert ist.“ Dennoch stehe die „zeitliche Verfügbarkeit“ an oberster Stelle der EU-Prioritäten. Der Preis sei das dritte Kriterium. Hier will die EU die Hersteller entlasten, wenn sie niedrigere Preise anbieten: Sie wird die Hersteller bei eventuellen Schadenersatzklagen wegen Nebenwirkungen unterstützen und die eingeklagten Summen ersetzen, wenn das Medikament billig gewesen ist. Wenn die Hersteller ein sehr teures Medikament anbieten, dann soll diese Regelung nicht greifen, sagte Auer.

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Die EU habe sich hinsichtlich der Preise von den USA abgekoppelt.  In den USA sind die Preise für Medikamente nicht staatlich reguliert. Das bedeutet, dass Hersteller faktisch jeden Preis verlangen können, falls sie eine gewisse Marktposition erreicht haben. Auer: „Unsere Steuerungsgruppe zeigt, wie sinnvoll es sein kann, wie die EU-Staaten ihre Kräfte bündeln. Natürlich hätten die Hersteller gerne mit jedem einzelnen Staat verhandelt. Wir haben nun einen transparenten und inklusiven Prozess, wo auch die kleinen EU-Staaten mitwirken können.“

Insgesamt will die Europäische Union 1,4 Milliarden Impfdosen für die Europäer kaufen.
Insgesamt will die Europäische Union 1,4 Milliarden Impfdosen für die Europäer kaufen. Foto: imago images/Christian Ohde

Die 27 EU-Staaten haben ihre Einkaufstätigkeit in der Steuerungsgruppe zusammengefasst. Die Gruppe verhandelt mit den Herstellern die Vorverträge. Insgesamt will die Europäische Union 1,4 Milliarden Impfdosen für die Europäer kaufen. Das Gesamtvolumen beträgt etwa 13 Milliarden Dollar. Die EU werde in allen Verträgen das Recht erwerben, die Impfdosen auch weiterzuverkaufen oder zu verschenken. Es gäbe bereits Anfragen aus einzelnen Nicht-EU-Staaten, das Medikament zu erwerben, sagte Auer. Als Grundlage der meisten Verträge gilt, so Auer, eine „Kaufverpflichtung“.

Das bedeutet, dass die EU die Impfdosen den Herstellern garantiert abnimmt, wenn sie marktfähig und zugelassen sind. Zunächst werden Anzahlungen geleistet. Diese stammen aus dem von der EU eingerichteten ESI-Fonds. In diesem Fonds befanden sich ursprünglich 2,2 Milliarden Euro. 200 Millionen Euro wurden für verschiedene Covid-Maßnahmen wie etwa für den Ankauf von Remdesivir ausgegeben, dem ersten in der EU zugelassenen Medikament, das in der Corona-Behandlung eingesetzt wird.

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Um weitere Impfstoffe produzieren zu lassen, haben die EU-Gesundheitsminister bei einem informellen Meeting vereinbart, den Topf um 750 Millionen Euro aufzustocken, sodass nun etwa 2,7 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Auer: „Wir haben ursprünglich mit sechs Herstellern verhandelt, Impfstoffe bereitzustellen. Es war uns wichtig, ein breites Portfolio an Impfstoffen zu bekommen, um nicht nur auf eine Technologie zu setzen. Die Erhöhung ist notwendig, weil wir einen weiteren Hersteller hinzugenommen haben, der einen Impfstoff nach der klassischen Protein-basierten Methode entwickelt und nicht auf der völlig neuen RNA-Methode.“

Während sich die Zuständigkeit der Steuerungsgruppe auf die finanziellen und rechtlichen Aspekte bezieht, liegt die Verantwortung für die Zulassung bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Dort verfolgt man die Entwicklung aufmerksam – auch weil bekannt ist, dass die Pharmaindustrie nicht zimperlich ist, wenn es um die Durchsetzung von Medikamenten und Preisen geht. So hatte zu Beginn der Pandemie Sanofi offen gedroht, seinen Impfstoff nur in die USA zu verkaufen. Die Argumentation der Industrie, so sagt ein Insider, laute, dass der Ankauf des Impfstoff die einzige Möglichkeit sei, um die Wirtschaft wieder aufzumachen. Die Kosten von 15 Milliarden Euro seien ein vergleichsweise geringer Betrag, wenn man den Schaden für die Wirtschaft dagegenrechne.

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Yannis Natsis von der Europäischen Allianz für Öffentliche Gesundheit (EPHA), warnt vor allem vor dem Zeitdruck: „Heute kündigen Politiker an, dass wir den Impfstoff bereits vor Weihnachten haben können. Wir haben aber noch nichts gesehen.“ Die Pharmaindustrie liefert, so der Insider, der EMA immer wieder Statusberichte über die Entwicklung. Diese sind aber nicht vollständig und rein informell. Das tatsächliche Zulassungsverfahren kann erst mit der offiziellen Einreichung bei der EMA beginnen.

Die EMA will sich nicht drängen lassen. Natsis, der als Vertreter der Patienten im Board der EMA sitzt, sagte dieser Zeitung: „Wir wollen dafür sorgen, dass das Vertrauen der Bürger erhalten bleibt. Für uns ist wichtig, dass die Impfung sicher ist.“ Trotzdem gibt es bereits Druck hinter den Kulissen. Bei der US-Behörde FDA kam es sogar schon zu ersten Rücktrittsdrohungen. In Europa besteht noch eine andere Möglichkeit, die EMA zu umgehen: Es gäbe einige Staaten, die planen, den Impfstoff bereits vor der offiziellen Zulassung durch die EU-Behörde in Umlauf zu bringen.