In zahlreichen Laboren wird derzeit an Medikamenten und Impfstoffen gegen das Coronavirus geforscht. (Symbolbild)
In zahlreichen Laboren wird derzeit an Medikamenten und Impfstoffen gegen das Coronavirus geforscht. (Symbolbild) Foto: dpa/Stefan Albrecht

Es ist ein neuartiger Ansatz, doch er klingt selbst für Laien nachvollziehbar. Ein Forscherteam der Uni Tübingen hat eine Schwachstelle im neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 entdeckt, die für die Entwicklung von Wirkstoffen ausgenutzt werden könnte. Laut Mitteilung der Uni konnten Biochemiker Andreas Dräger und seine Kollegen im Modell die Vermehrung des Virus im menschlichen Körper stoppen. Lässt sich das auch in der Praxis realisieren, wäre das ein Meilenstein.

Im Zentrum des Ansatzes steht ein menschliches Enzym, das für das Virus entscheidend ist. „Wenn wir das Enzym – die Guanylatkinase 1 – ausschalteten, wurde die Virusvermehrung gestoppt, ohne die Wirtszelle zu beeinträchtigen“, wird Dräger auf der Homepage des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung zitiert. Das Modell, das dem Ansatz zugrunde liegt, geht von einem Virus aus, das sich bereits in den Alveolarmakrophagen, den Fremdstoff-Abwehrzellen der Lungenbläschen eingenistet hat und neue Viruspartikel herstellen will. Dazu nutzt es Materialien, die es aus dem Wirt abschöpft, und zwingt die Wirtszellen zur Produktion neuer Virusbestandteile.

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Im Modell fanden die Forscher heraus, dass die Virusvermehrung komplett stoppte, als das Enzym Guanylatkinase 1 abgeschaltet wurde. Die menschliche Zelle selbst hingegen könne ohne das Enzym auf andere biochemische Stoffwechselwege ausweichen, so Dräger. Das sei wichtig, wenn man das Enzym mit einem Wirkstoff hemmen wollte, ohne nachteilige Nebenwirkungen beim Menschen auszulösen.

Andreas Dräger arbeitete mit seinen Kolleginnen Alina Renz (l.) und Lina Widerspick an dem Projekt.
Andreas Dräger arbeitete mit seinen Kolleginnen Alina Renz (l.) und Lina Widerspick an dem Projekt. Foto: Uni Tübingen

Dieser Ansatz bietet gute Voraussetzungen, eine Medikament zu finden, dass die Vermehrung von Coronaviren stoppt. Dazu arbeiten die Tübinger Forscher mit dem Fraunhofer Institut in Hamburg zusammen. Das hat eine riesige Bibliothek aus rund 5600 Wirkstoffen, die bereits für irgendeinen Zweck in Deutschland zugelassen sind. Diese sollen nun auf ihre Wirksamkeit gegen Sars-CoV-2 getestet werden. 

Sollten die Fraunhofer-Wissenschaftler im Labor den passenden Stoff gefunden haben, ist die Schlacht aber noch nicht geschlagen. Zunächst müsse es sich in lebenden Organismen beweisen, wie der Hamburger Biochemiker Bernhard Ellinger im Interview mit ntv sagt. Denn erst dort könne man das Zusammenspiel von Wirkstoff und Immunsystem beobachten. „Vielleicht bekämpfen wir das Virus nicht zu 100 Prozent, sondern stoppen die Produktion nur zu 90 oder zu 85 Prozent. Und reicht das dann? Kaufen wir dem Immunsystem damit genug Zeit? Das wird sich dann erst zeigen“, so Ellinger. 

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Da alle infrage kommenden Stoffe bereits für die Behandlung von Menschen zugelassen sind, müsse man laut Ellinger nicht mehr so viel Rücksicht auf den Sicherheitsaspekt nehmen. Daher könne eine umgewidmetes Medikament, wenn alles nach Plan verläuft, bereits Ende des Jahres zugelassen werden. Übrigens würde das Medikament auch gegen sämtliche Mutationen gleich mitwirken, da der mögliche Wirkstoff den Viren einfach den Nachschub abschaltet, den diese für die Vermehrung brauchen.